Plattdeutsch Up Platt

Gladigauer spielen seit 15 Jahren Theater auf Plattdeutsch in der Altmark. Die Vorstellungen sind meist vor der Premiere ausverkauft.

Von Astrid Mathis 10.12.2017, 08:53

Osterburg l Norbert Lazay hat die Ruhe weg. Im Gladigauer Pfarrhaus behält er zwischen Büchern und Programmheften den Überblick. Auf seinem Schreibtisch liegt das aktuelle Stück des Gladigauer Dorftheaters, das im Hotelmilieu angelegt ist und damit 2018 in die 16. Spielzeit geht. Natürlich up Platt. Es ist die neunte Regiearbeit des Pfarrers. „Die Zehn möchte ich noch voll kriegen“, kündigt Norbert Lazay lächelnd an.

„Wir haben zwei Verlage, mit denen wir zusammenarbeiten, Karl Mahnke aus Bergen/Aller und den Plausus Verlag aus Bonn“, bemerkt der Pfarrer und gibt zu: „Ich bevorzuge Stücke, die 100 Jahre alt sind.“ Aber der 59-Jährige macht auch Ausnahmen: In den 50ern spielte „Mannslü‘ sind ok bloß Menschen“, in den 90ern „Opa lässt es krachen“.

Als sich Lazay in diesem April durch 20 Komödien las, war das Bestechende die Hotelsituation und das Stück schnell entschieden. Nachdem in der letzten Spielzeit mit acht Mann die Maximalbesetzung erreicht war, proben derzeit Undine Reisner, Otto Kaufmann, Danny Schulz, Beate Henning, Christine Neumann und Torsten Dahms für die Bühne im Dörpschen Krug. Im Mai bespricht Regisseur Norbert Lazay mit Intendant Horst Bannehr die Rollenverteilung vor, im Juni und Juli machen sich die zwei an das Bühnenbild, das Bannehr mit viel Aufwand und Liebe zum Detail umsetzt. Ende Juli wird an einem Grillabend vor dem Ensemble das Geheimnis um Stück und Besetzung gelüftet.

Bei den Leseproben im August sitzt Plattdeutsch-Expertin Ursula Müller an Lazays Seite und diktiert ihm das norddeutsche ins altmärkische Platt übersetzt in die Feder. Die gebürtige Gladigauerin ist mit Plattdeutsch in ihrer Familie aufgewachsen. Weil sie die vom Aussterben bedrohte Sprache liebt, gibt Ursula Müller sie gern an Schüler weiter. Nicht nur aus Gladigau, sondern auch aus Rossau und Orpensdorf kommen sie seit 2011 zur „Sommerschule“, um bei ihr Gedichte, Sketche und Theaterstücke „up Platt“ zu lernen und aufzuführen. Auch im Advent studieren die jungen Plattschnacker etwas für die Dorfbewohner ein.

Parallel dazu laufen nach den Leseproben für die neue Inszenierung von Mitte September bis Weihnachten schließlich die szenischen Proben, bis Weihnachten steht das Grundgerüst. Ursula Müller sorgt sprachlich für den Feinschliff.

51 Mitglieder zählt der Verein aktuell, um die 25 sind mit Maske, Kostüm, Technik, Soufflieren und Einlass an jedem Vorstellungsabend beschäftigt. 18 Termine von Februar bis März sind angesetzt: drei Vorstellungen am Premierenwochenende, fünf an den folgenden, mit je 90 Plätzen. Zuletzt knackte das Ensemble die 20.000er Zuschauermarke.

Wenn Norbert Lazay im Januar zum Pressetermin einlädt, sind die Fans aus dem Häuschen, egal, welches Stück gespielt wird. An einem Sonnabendvormittag beginnt der Kartenvorverkauf, zwischen acht und elf Uhr sind erfahrungsgemäß alle 1620 Karten weg. Manche stellen sich schon nachts um halb zwölf an und zwar nicht die Jüngsten. „Sie verlassen sich darauf, dass sie sich bei uns amüsieren und einen interessanten Abend haben. Die meisten kaufen gleich für andere mit“, erklärt sich Lazay den Zuspruch, „davon träumt jedes Theater.“ Noch vor der Premiere ausverkauft zu sein. Viele Altmärker sind gespannt darauf, zu sehen, wie sich Bekannte auf der Bühne verändern.

Christine Neumann, in Osterburg an der Förderschule Lehrerin, war hin und weg, als sie zum ersten Mal zuschaute und wusste: „Ich will das auch.“ Das Plattdeutsche lernt sie in ihrem 10. Jahr wie immer gern auswendig. Der alte Professor in „De ole Kommod“ war für die Osterburgerin die Feuerprobe, seit der sie vom plattdeutschen Laientheater nicht lassen möchte. Dank Besuch von Ministern und Bürgermeistern wird die Spielzeit stets zum gesellschaftlichen Stelldichein. Anfangs kamen Leute aus dem wendländischen Theaterbereich, dann aus der Börde mit Bussen, berichtete Lazay. Inzwischen sind Zuschauer aus München, die früher in der Altmark lebten, aus Dresden, Berlin, Hannover und Hamburg zu Gast.

Doch wie fing es überhaupt an? 2002 brachte Torsten Dahms das oft erwähnte Thema wieder auf den Tisch. Schon vor vielen Jahren wurde in Gladigau Theater gespielt, damals war sein Vater mit von der Partie. Reinhard Bäthge und Horst Bannehr schwebte unbedingt Plattdeutsches vor. „So ein Dorfvergnügen müssten wir doch auch hinkriegen“, war die einhellige Meinung. Zwei, drei Mal zwischen Weihnachten und Neujahr aufzutreten, hatten sie vor, mehr nicht. 2003 wollten sie drei Mal spielen, daraus wurden gleich sieben Vorstellungen. Goswin Moniac, seinerzeit Intendant am Theater der Altmark Stendal, führte bei „Tante Adelheid“ Regie. Dessen Nachbar Reinhard Bäthge hatte ihn angesprochen, ein plattdeutsches Lustspiel zu übernehmen. Und Moniac sagte zu mit dem Hinweis: „Ihr müsst aber laufen lernen.“ Bei „De ole Kommod“ war Norbert Lazay schon der zweite Regie-Mann im Proberaum der alten Schule und übernahm sogar die ganze Inszenierung, als Goswin Moniac die Zeit fehlte.

Ganz ins kalte Wasser wurde er damit nicht geschmissen, denn „ich wollte auch mal Schauspieler werden.“ Als er in Greifswald Theologie studierte, besuchte er mit Vorliebe Vorlesungen in Kunst- und Musikgeschichte und übernahm die Einführungsvorträge der Bach-Wochen. Mit dem Theater hatte der in Pasewalk Geborene als Jugendlicher in seiner Stendaler Schulzeit Erfahrungen gesammelt. In die Rolle des Oberhaushofmeisters aus dem Märchen „Die Nachtigall“ schlüpfte er im Studium erfolgreich noch einmal, machte Kabarett, gründete eine kleine Gruppe und inszenierte.

Als die Altmärker nach Mitstreitern fragten, rannten sie bei ihm offene Türen ein. Norbert Lazay wurde eines von neun Gründungsmitgliedern. Am 14. April 2002 war das Dorftheater Gladigau geboren. Zwei Mal wöchentlich zu proben, ist nicht nur für einen Pfarrer nicht ohne. Oft müssen die Proben wegen der Schichten von Stammschauspieler Torsten Dahms am Sonntagabend stattfinden. Da hat der Geistliche meist drei oder vier Gottesdienste hinter sich. Den Kirchenchor und den Posaunenchor Gladigau leitet der Musikliebhaber, der sieben Instrumente beherrscht, obendrein. „Man muss ganz schön jonglieren, aber es macht Spaß. Andere gehen angeln“, sagt Lazay, „die Faszination ist eben, das Stück zu erarbeiten und sich in die Figuren hineinzuknien. Spielen kann ich als Pfarrer nicht.“ Schließlich löst allein das Vormachen immer große Heiterkeit aus. Die Arbeit mit der Sprache, an den zwischenmenschlichen Beziehungen, all das sei ein wahres Abenteuer. Und Geduld gefragt, „aber wir sind keine Berufsbühne und wollen es nicht sein,“ stellt Lazay klar.

Das Dorftheater Gladigau wirkt bei ihm gut aufgehoben, denn der Presseverantwortliche und Regisseur Lazay ist außerdem Vorsitzender des Altmärkischen Heimatbundes. Als die Interessengemeinschaft 2002 unter dem Dach des Heimatbundes gegründet wurde, feierte dieser gerade zehnjähriges Bestehen. Mit der Pflege plattdeutscher Mundart hatte das Dorftheater bei der Fachstelle zur Förderung der Künste gute Karten und Lazay einen kurzen Anfahrtsweg, das neue Kind bekannt zu machen. Das „e.V.“ haben sie sich damit auch erspart. Zum Zehnjährigen des Dorftheaters selbst gab es zur Freude der Fans die ganze Spielzeit über eine Ausstellung mit Puppen der vergangenen Stücke. Erst zum 20. soll wieder ein Jubiläum gefeiert werden. Otto Kaufmann führt derweil akribisch die Chronik und gestaltet die Roll-ups, Marita Roloff hat die Finanzen im Griff, Horst Bannehr als Vorsitzender die Übersicht über Verein und Bühnenbau.

„Alles hat seine Zeit“, weiß Lazay, „auch Torsten Dahms will mal eine Pause einlegen, aber ich hänge wie er am Dorftheater. Es gehört zur Erfolgsgeschichte des Altmärkischen Heimatbundes.“ An der er mitgeschrieben hat, denn am 11. November wurde Norbert Lazay in Halle an der Saale für vier Jahre zum Vizepräsidenten des Landesheimatbundes Sachsen-Anhalts gewählt. Darüber hinaus ist er als Mitglied im Bundesrat für Niederdeutsch für die Förderung der plattdeutschen Sprache zuständig.

Und noch etwas! Wenige Tage vor der Premiere von „Raphael vör Gericht“ in der letzten Spielzeit wurde das Dorftheater Gladigau als erste und einzige Bühne Sachsen-Anhalts in die bundesweite Liste des Immateriellen Kulturerbes der Unesco 2017 eingetragen. Die Gladigauer wissen schon jetzt: Die nächste Spielzeit im Dörpschen Krug wird ausverkauft sein. Wen wundert es da, dass Gladigau 2016 beim Bundeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ für seine Kultur- und Sportvereine zu den zehn besten Deutschlands gewählt worden ist?