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Versteigerung Schloss zum Schnäppchenpreis!

Seit fünf Jahrhunderten steht in Schlagenthin (Jerichower Land) ein Schloss, das kaum jemand kennt. Dabei hatte es berühmte Besitzer.

07.06.2019, 23:01

Schlagenthin l Kein Supermarkt, kein Arzt, eine Bushaltestelle. Schlagenthin ist für Kulturliebhaber kein buntes, frohlockendes Bällebad, das zum Reinspringen einlädt. Es ist eher das kleine Mauerblümchen am Wegesrand zu Brandenburg, das da eben immer schon stand und selten Erwähnung findet. Eine Beschreibung, die auch und vielleicht genau deshalb auf das Schloss im Ort zutrifft.

Dabei steht es Überlieferungen zufolge seit knapp fünf Jahrhunderten in Schlagenthin. „Ein Schloss? Nee, wir haben hier kein Schloss“, sagt eine Frau im Ortskern im selbstbewussten Tonfall. Zwei Irrfahrten später deutet sich hinter der Bushaltestelle ein kleiner Weg mit Kopfsteinpflaster an. Das letzte Haus passiert, taucht es im Blickwinkel dann doch auf: Auf vier weißen Säulen gestützt, erstreckt sich das cremefarbene Schloss mit dem großen Balkon, kleinen Turm und gepflegten Vorgarten. Grundstücksfläche: rund 6942 m². Ein beeindruckendes Anwesen, das in knapp einer Woche in Berlin versteigert wird. Das Mindestgebot liegt bei 349.000 Euro.

Bianca Gehrmann hat gerade die Schubkarre auf dem großen Parkplatz im Garten abgestellt. Sie wohnt direkt gegenüber und kümmert sich seit Monaten um den riesigen Schlossgarten. Sie hat ihr ganzes Leben in Schlagenthin verbracht und setzt große Hoffnungen in die Auktion in knapp einer Woche in Berlin. „Wir hoffen, dass der neue Besitzer auch wieder etwas zum Leben hier in Schlagenthin beitragen kann“, so Gehrmann. Eine Arztpraxis, das wäre toll, sagt sie. „Dann müssen wir nicht immer nach Genthin fahren.“

Ein Museum, um die Geschichte dieses Schlosses zu ehren, „das wäre ja mal was“, wirft Rolf Weiß ein. Seit zwei Jahren gehört dem gebürtigen Hamburger das Anwesen. Eigentlich wollte er selbst einziehen, entschied sich angesichts der Größe von allein 800 m² Wohnfläche dann aber dagegen. „Ein Schloss mit dieser historischen Bedeutung hat eine bessere Verwendung verdient“, sagt Weiß.

Jochen von Tresckow soll das Schloss im 16. Jahrhundert erbaut haben. Das märkische Adelsgeschlecht verewigte sich 1944 in den Geschichtsbüchern, als Henning von Tresckow mit seinem Attentat an Adolf Hitler scheiterte. Um 1764 ging das Anwesen in den Privatbesitz von Prinz Ferdinand von Preußen über, der 20 Jahre später das berühmte Schloss Bellevue errichtete. Später soll die Autorin Elisabeth von Arnim-Schlagenthin, in deren Besitz das Schloss zu Beginn des 20. Jahrhunderts war, viele Ideen für ihre Geschichten beim Schreiben im Vorgarten erhalten haben.

Doch von der romantischen Schriftsteller-Idylle war der Garten vor drei Monaten noch weit entfernt. Die heute strahlende Fassade war von Sträuchern, Unkraut und anderen weniger dekadenten Dingen verdeckt. Eine Gärtnerei übernahm den Großteil der Arbeit. Auch Weiß packte mit an, erneuerte die heruntergekommenen Säulen, ließ alte Bilder vom Dachboden restaurieren – und entfernte 200 Kubikmeter Müll im Inneren, darunter viele Personalakten.

Seit den 1970er Jahren bis zirka 2014 wurde das Schloss als Kinderheim genutzt. Auch deshalb kennen viele Bewohner in Schlagenthin „ihr“ Schloss nicht – es war schlichtweg immer nur ein Kinderheim. Weiß vermutet, dass das Anwesen auch aufgrund seiner Lage nie bekannter geworden ist. Außerdem war es oft in Privatbesitz und damit selten öffentlich zugänglich.

Immer wieder wurde das Gebäude renoviert und verändert, deshalb stand es nie unter Denkmalschutz. „Es ist offenbar zur Zeit der Denkmalerfassung in den 1990er Jahren schon so stark verändert gewesen, dass die damaligen Inventarisatoren sich gegen eine Aufnahme in die Denkmalliste entschieden haben“, sagte Landeskonservatorin Ulrike Wendland. Damit ein Gebäude zum Denkmal werden kann, muss ein Mindestmaß an Authentizität der Oberflächen und der Denkmalumgebung vorhanden sein.

So sucht man beim Betreten des Schlosses historische Ornamente oder Relikte vergangener Jahrhunderte zunächst vergebens. PVC-Bodenbeläge, Raufasertapete, ein insgesamt altes, aber eben nicht historisch beeindruckendes Erscheinungsbild. Doch das ist für die Versteigerung kein schlechtes Omen – im Gegenteil. „Natürlich hängt die Summe, die man nachträglich noch investiert, davon ab, was der Käufer mit dem Schloss machen will“, sagt Mario Schadenberg vom Auktionshaus Karhausen in Berlin.

Man könne aber eben auch direkt einziehen. Das Inventar, darunter ein 200 Jahre alter Konzertflügel mit geschätztem Wert von 12.000 Euro, ist im Kaufpreis inbegriffen. Anfragen gab es viele, 50 Personen ließen ein Exposé anfordern. Sechs Interessenten schauten sich das Anwesen bisher an. Ein Arzt ist derzeit der größte Favorit. Laut Weiß könne der sich vorstellen, im Schloss eine Praxis zu eröffnen. „Vielleicht bringt das auch neue Arbeitsplätze“, sagt Gehrmann.