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Volkshochschule 100 Jahre Bildung für alle

In Sachsen-Anhalt sind von 41 Volkshochschulen nach der Wende nur 15 geblieben. Die Häuser sind gefragt.

31.10.2019, 23:01

Magdeburg l Volkshochschule – der Begriff versprüht ein wenig den Charme angestaubter Selbstverständlichkeit. Jeder kennt sie, fast jeder war schon da, egal, ob zum Computer-, Sprach-, Trommel- oder Yogakurs. Das dürfte ein Grund dafür sein, warum das durchaus aufwändig begangene 100-jährige Bestehen der Volkshochschule in diesem Frühjahr an einer breiteren Öffentlichkeit fast unbemerkt vorüberzog. Zu Unrecht: Das, was die Gründungsväter 1919 auf den Weg brachten, war nicht weniger als eine kleine Revolution.

Das Versprechen lautete Bildung in nie gekannter Breite für alle Schichten, unabhängig von Stand, Beruf oder Geschlecht. So etwas hatte es in Deutschland bis dahin nie gegeben. Der Zusammenbruch des Kaiserreichs und die erste deutsche Demokratie lieferten das passende Umfeld.

Im 100. Geburtsjahr ist das Konzept nach wie vor populär. Und doch stehen die Volkshochschulen vor Herausforderungen. Nachdem die Kreisgebietsreformen die Zahl der Standorte in Sachsen-Anhalt von 41 im Jahr 1990 auf heute 15 schrumpfen ließen, kündigen eine alternde Bevölkerung und die Digitalisierung die nächsten Umbrüche an.

An der Magdeburger Volkshochschule, einem historischen Backsteingebäude, ist an diesem sonnigen Vormittag im Oktober davon wenig zu spüren. Während Leiter Ralf Liebe in seinem Büro im Erdgeschoss empfängt, herrscht in den Räumen über ihm Hochbetrieb. Kurse aus allen großen Fach-Bereichen finden gerade statt, darunter Sprachen, Mensch und Gesellschaft, Kunst und Kultur, Gesundheit, Grundbildung sowie Beruf und Karriere.

Die Volkshochschule im Haus einer früheren Töchternschule ist eine Nummer, sie zählt zu den größten im Land. „20 000 Unterrichtsstunden in fast 660 Kursen bieten wir im Jahr an“, sagt Liebe. Damit erreichte die Einrichtung zuletzt gut 9000 Teilnehmer. Rückgänge bei der Nachfrage? – verzeichnet die Einrichtung trotz alternder Bevölkerung und eines veränderten Informationskonsums nicht. Verantwortlich dafür ist auch die stabile Nachfrage nach Sprachen – aktuell vor allem nach Deutsch als Fremdsprache (DAF). In einem Klassenraum im zweiten Geschoss übt Dozentin Katrin Goetze mit einer Gruppe von 30 Zuwanderern gerade ein beliebtes Gesprächsthema in Deutschland: Es geht ums Wetter. „Wie warm ist es heute in Magdeburg“, fragt Goetze in die Runde. Eine Frau mit Kopftuch antwortet, es ist 17 Grad.“ „Es sind 17 Grad“, korrigiert die Dozentin freundlich, dann ist der Nächste dran.

„Wir brauchen Anstrengungen, um neue Zielgruppen insbesondere in den Altersgruppen unter 50 Jahre zu erreichen.“

Marco Tullner, Bildungsminister

Rund 7000 der 20 000 Unterrichstsstunden sind in der Magdeburger Volkshochschule aktuell DAF-Kurse, sagt Liebe später – auch ein Grund dafür, warum heute deutlich mehr Männer als noch vor Jahren Kurse in der Volkshochschule belegen. In den 90er Jahren war das noch anders: „Nach der Wende hatten wir einen Riesen-Boom bei Englischkursen.“

Der Leiter erzählt von Semestern in den 90er Jahren, in denen 13 Englischkurse auf einmal starteten. Gefragt ist Englisch bei deutschen Kursteilnehmern auch heute. Andere Sprachen aber holen auf. So haben die Magdeburger etwa ihre Liebe fürs Italienische wiederentdeckt, erzählt Elena Orsini, Dozentin aus der Toskana, die in Magdeburg lebt.

Obwohl Italienisch mit 85 Millionen Sprechern weltweit weitaus weniger verbreitet ist als Französisch (300 Millionen), hat es die westliche Nachbarsprache im Beliebtheits-Ranking inzwischen eingeholt. Das alles klingt eher nach entspanntem Wandel als nach Herausforderungen – und für die Volkshochschule Magdeburg sind die Zeiten wohl tatsächlich keine schlechten.

Über alle Einrichtungen der Erwachsenenbildung hinweg sinkt die Teilnehmerzahl an Kursen allerdings seit Jahren – dazu gehören neben den Volkshochschulen auch andere Träger, etwa der Kirchen. Lag sie 2016 noch bei 160 000 ging sie bis 2018 auf 148 000 zurück. Das geht aus dem im September veröffentlichten Erwachsenenbildungsbericht der Landesregierung hervor. Problematisch auch: Der typische Nutzer ist über 50 (60 Prozent). Nur jeder fünfte Teilnehmer ist jünger als 34. Für den zuständigen Bildungsminister Marco Tullner (CDU) ist der Trend ein Warnzeichen: „Wir brauchen Anstrengungen, um neue Zielgruppen, insbesondere in den Altersgruppen unter 50 Jahre zu erreichen“, sagt er.

Uwe Jahns, Geschäftsführer des Landes-Volkshochschulverbands, teilt die Sorge. Bei rund 85 000 Kursteilnehmern nur in den Volkshochschulen sei im Vergleich zu anderen Bundesländern „Luft nach oben“, sagt er. Angesichts einer alternden Bevölkerung und Wegstrecken von mehr als 100 Kilometern in manchem Landkreis sei die Frage weniger: „Wie kriege ich die Volkshochschule voll, sondern, wie kriege ich die Bildung zu den Menschen.“

Für Jahns liegt die Antwort auf der Hand. Er sieht sie in einer umfassenden Digitalisierung und dem Zuschneiden des Angebots auf Jüngere. So habe sein Verband mit Projektmitteln bereits Online-Kurse für Deutsch als Fremdsprache für Medizin und eine Mathe-Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss entwickelt, sie warten derzeit auf Erprobung.

Ein aktuelles Projekt in Abstimmung mit dem Bildungs- und Wirtschaftsministerium will den Volkshochschulen ab Frühling 2020 eine landesweite Nutzer-Plattform zur Verfügung stellen, auf der jede Einrichtung ihren eigenen Bereich verwalten kann. Darauf sollen Kursangebote und Downloads wie Videos zur Verfügung stehen.

„Wer damit bis zum Sankt-Nimmerleinstag wartet, wird nur noch reagieren können.“

Uwe Jahns, Geschäftsführer Landes-Volkshochschulverband

In einem ersten Schritt sollen schon in der nächsten Woche erstmals alle Einrichtungen der Erwachsenenbildung im Land die Möglichkeit erhalten, ihre Angebote auf einer zentralen Webseite zusammenzuführen. „Es geht darum, die Volkshochschulen zukunftsfähig aufzustellen“, sagt Jahns. „Wer damit bis zum Sankt-Nimmerleinstag wartet, wird nur noch reagieren können.“

Die Volkshochschule im ländlichen Altmarkkreis Salzwedel hat reagiert. Den demografischen Wandel bekommt sie ganz anders zu spüren als etwa die große Schwesterneinrichtung in der Landeshauptstadt Magdeburg. Von einst drei Standorten in Salzwedel, Gardelegen und Klötze sind nach der Kreisgebietsreform heute noch ein Hauptstandort und eine Außenstelle in Gardelegen geblieben. Rund 3300 Teilnehmer belegen hier rund 450 Kurse, insgesamt gut 12 000 Unterrichtsstunden im Jahr. Wegen der langen Wegstrecken im Kreis setzt die Leitung auf dezentrale, wohnortnahe Angebote. „Viele ältere Teilnehmer nehmen das gern in Anspruch“, sagt Blödow. Kurse finden außer in den Niederlassungen in Salzwedel und Gardelegen so auch in kleineren Orten, etwa in Sekundarschulen, statt.

Um mehr junge Leute zu erreichen, hat sich die Einrichtung daneben Angebots-Nischen gesucht, sagt die Leiterin. So bietet sie Vorbereitungen auf die Meisterprüfung ebenso an wie solche auf den Haupt- und Realschulabschluss für Nichtschüler. Letzteres gebe es sonst nur an Abendschulen in Magdeburg oder Halle, so Blödow.

Vor allem setzt die Volkshochschule seit 2018 aber zunehmend auf Webseminare, zum Beispiel bei Weiterbildungen in der Finanzbuchhaltung. „Die Leute kommen nicht mehr so leicht wie früher in die Volkshochschulen, darauf muss man reagieren“, sagt Cornelia Blödow. Auch an der Magdeburger Volkshochschule gibt es eine ganze Palette von Online-Kursangeboten vor allem im Business-Bereich. Wer sich für die Angebote interessiert, kann sie online einsehen:

 

https://www.vhs.magdeburg.de/index.php?id=92 sowie: https://www.vhs-salzwedel.de/index.php?id=1