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Vom Glücks- zum Problemfall: Landtag bespricht Enercon-Krise

Der Windanlagenbauer Enercon baut Hunderte Jobs am Standort Magdeburg ab. Das allein ist schon für viele Landtagsabgeordnete problematisch. Doch die Liste an kritischen Punkten ist noch viel länger.

22.11.2019, 18:51

Magdeburg (dpa/sa) - Nach dem angekündigten groß angelegten Stellenabbau beim Windanlagenbauer Enercon haben Landespolitiker in Sachsen-Anhalt das Unternehmen wegen seiner Firmenpolitik scharf kritisiert. Arbeitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) skizzierte bei einer Debatte im Magdeburger Landtag am Freitag ein Klima der Angst bei den Enercon-Beschäftigten.

Linken-Fraktionschef Thomas Lippmann warf dem Unternehmen Verantwortungslosigkeit gegenüber den Beschäftigten vor, aber auch gegenüber der Stadt Magdeburg sowie gegenüber dem ganzen Land. Auch der CDU-Wirtschaftsexperte Ulrich Thomas sagte, Enercon sei kein Musterbeispiel für ein deutsches Unternehmen, das sich zudem zu lange allein auf das Inlandsgeschäft verlassen habe.

Vor zwei Wochen hatte Enercon angekündigt, die Rotorblattfertigung ins Ausland zu verlagern - und sich künftig auch stärker auf das Auslandsgeschäft zu konzentrieren. Nach Angaben der Firma mit Sitz im niedersächsischen Aurich fallen bis zu 3000 Jobs weg, die Hälfte davon in Sachsen-Anhalt. Diese Ankündigung war der Anlass für eine Debatte über die Situation.

Aus der dafür angesetzten Stunde wurden zweieinhalb - in der hitzig und mit vielen emotionalen Zwischenrufen diskutiert wurde. Der Ton wurde so rau, dass Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch vier Ordnungsrufe an AfD-Abgeordnete verteilte - jeweils zwei an Tobias Rausch sowie den parlamentarischen Geschäftsführer Robert Farle.

Enercon sei für Magdeburg Anfang der 1990er Jahre ein Glücksfall gewesen, ergänzte der SPD-Abgeordnete Falko Grube. Die lange Tradition des Maschinenbaus in der Region drohte nach der deutschen Einheit und der Abwicklung zahlreicher Großbetriebe wegzubrechen. Enercon sprang in diese Lücke und schaffte in Hochzeiten 6000 Arbeitsplätze. Nach Einschätzung der Enercon-Geschäftsführung könnten 2000 übrig bleiben. Andere Komponenten fern des Rotorblatts sollen weiter vor Ort produziert werden.

Auf den ursprünglichen Glücksfall verwies auch der CDU-Abgeordnete Thomas. Er kritisierte das Unternehmen aber auch für seine Geschäftsstrategie. Es sei unredlich von Enercon, die eigene Wettbewerbsfähigkeit vom Windkraftzubau auf dem deutschen Festland abhängig zu machen. Zudem sei Enercon kein Vorbildunternehmen. "Versteuert wurden die Gewinne in der Regel in den letzten zwei Jahrzehnten in Aurich." Parallel dazu sei das Unternehmen aber "nicht zimperlich" damit gewesen, von Magdeburg einen Ausbau der Infrastruktur zu fordern.

Als nicht zimperlich gilt Enercon auch im Umgang mit den eigenen Mitarbeitern. Das habe seine Partei schon in der Vergangenheit mehrfach kritisiert, sagte Linken-Fraktionschef Lippmann. Er verwies unter anderem auf die Praxis des Unternehmens, viele exklusive Zuliefererunternehmen zu betreiben, die faktisch als Töchter zum Unternehmen gehören.

Angst halte die Belegschaft vom Magdeburger Domplatz fern, um öffentlich gegen den Jobabbau zu protestieren, sagte Arbeitsministerin Grimm-Benne. Die Beschäftigten würden eingeschüchtert und hätten Angst, ihre Jobs noch eher zu verlieren oder die Chance auf einen Sozialplan zu verwirken. Enercon sei bereits in der Vergangenheit mit seiner wenig sozialpartnerschaftlichen Firmenphilosophie aufgefallen.

Die Arbeitsagentur Magdeburg sei darauf vorbereitet, mit den betroffenen Beschäftigten einen neuen Job zu suchen, sagte Ministerin Grimm-Benne. Es gebe in der Stadt derzeit 7000 offene Stellen, die sofort besetzt werden könnten. Darunter seien 1100 in der Industrie. Bis Weihnachten soll es ein Signal an die Beschäftigten geben, wie sie aufgefangen werden, hatte Grimm-Benne jüngst angekündigt.

"Jedem Einzelnen, der die Stelle verlieren wird, muss der Übergang in einen neuen Job leicht gemacht werden", forderte AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner. Allerdings gehöre es zu einer liberalen Marktwirtschaft, dass Jobs wegfielen und an anderer Stelle neue entstünden.