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Vor 100 Jahren Kohlenmangel lähmte das Leben

Schulen in Anhalt und der preußischen Provinz Sachsen blieben im Februar 1919 geschlossen und die Freiheit beim Tanz wurde eingeschränkt.

Von Manfred Zander 03.03.2019, 09:44

Magdeburg l Es war ein kalter Monat. In der Nacht zum 8. Februar fiel das Thermometer auf acht Grad unter Null. Und in der Nacht darauf wurden sogar zwölf Minusgrade gemessen. Stillstehende Gewässer in Magdeburg wie der Adolf-Mittag-See oder der Winterhafen trugen bereits eine begehbare Eisfläche. Drei Tage später trieb Eis auf der Elbe. Kähne und Schlepper suchten Schutz im Hafen.

Was zu früheren Zeiten Neugier und Gleichgültigkeit gefunden hätte, machte jetzt Angst. „Bei der herrschenden Kohlenknappheit und dem empfindlichen Mangel an warmer Kleidung ist es verständlich, wenn bei vielen Tausenden Menschen Kummer und Sorge herrschen“, befand die Volksstimme am 9. Februar. Im Umland sei die Not noch größer, wurden Berichte zitiert, nach denen in einigen Orten „überhaupt noch kein Heizmaterial für den Winter geliefert werden konnte“.

Aus Kohlenmangel wurden in Althaldensleben und in Gommern die Schulen geschlossen, in manchen Industriebetrieben die Arbeitszeit von acht auf vier Stunden täglich gesenkt. Auch in Stendal ruhte der Schulunterricht. Weil viele Familien zu Hause froren, ließ der Arbeiter- und Soldatenrat die Keller der Häuser nach Feuerungsmaterial durchsuchen. Der Halberstädter Magistrat wandte sich mit einem Hilferuf direkt an eine Kohlenzeche. Das Ergebnis war ernüchternd. „Wir können auf keine Belieferung rechnen“, teilten die Stadtväter in der Presse mit.

Am 6. Februar wandte sich auch die Geschäftsführung der Magdeburger Firma R. Wolf AG an die Öffentlichkeit: „Nachdem die Firmen Krupp-Grusonwerk und Schäffer und Budenberg schon seit einigen Wochen infolge Kohlenmangels zu einer bedeutenden Einschränkung ihrer Tätigkeit gezwungen worden sind, hat heute auch die Firma R. Wolf, A-G. ihre Werke in Buckau und Salbke infolge Kohlenmangels stilllegen müssen.“

Das könne weitreichende Folgen haben, wurde vom Unternehmen betont. R. Wolf stelle auch Dampfpflüge her, die für Staaten der Entente bestimmt seien. Würden diese nicht „pünktlich innerhalb weniger Monate abgeliefert“, drohten Deutschland neue Repressalien.

Ungewöhnliche Schritte sollten die Kohlennot lindern. Die Magdeburgische Zeitung berichtete am 6. Februar aus den Meuselwitzer Kohlengruben über den Einsatz zusätzlicher Arbeitskräfte: „Die Werbearbeit in den Großstädten hat anscheinend einigen Erfolg gehabt, denn täglich treffen auswärtige Arbeiter im Kohlenrevier ein. Die Förderung hat zugenommen, jedoch fehlt es am nötigen Eisenbahnmaterial“.

Restaurants, Kaffeehäuser, Theater und Kinos waren in diesen froststarren Tagen auch gefragt, weil sie neben der Unterhaltung auch für ein paar Stunden erträglichere Temperaturen bescherten. Die Werbung der Direktion des Magdeburger Fürstenhofs „Wer es liebt, in einem schönen, behaglich ausgestatteten Raume bei guten Darbietungen zu weilen, der besuche die Fürstenhof-Diele“ dürfte wie ein Magnet gewirkt haben.

Doch das galt ebenso für weniger gehobene Vergnügungsstätten. „Schon lange vor Beginn der Vorstellung gab es im Innenraum, die Notausgänge mitgerechnet, kein leeres Plätzchen mehr“, notierte der Volksstimme-Kulturredakteur am 4. Februar über den Auftakt des Circus-Busch-Gastspiels im Gebäude des Zirkus Blumenfeld. Die Besprechung ließ er in der Voraussage ausklingen: „Mit gutem Grunde kann gesagt werden, daß dem Gastspiel ... noch eine ganze Reihe ausverkaufter Häuser bevorstehen.“

Wer Zerstreuung suchte, hatte in Magdeburg die Qual der Wahl: Im Panorama-Lichtspielhaus lief der „Der Wahn ist kurz“ mit Maria Fein, am Breitenweg 57 eröffnete am 1. Februar das „Erste Magdeburger Bierkabarett“, die Stephanshallen von Richard Froherz luden zum Varieté ein, Friedrichs Festsäle an der Großen Diesdorfer Straße zum Militärkonzert. Im Werderschlößchen wurde der „Große Gesindeball“ gefeiert, in der Deutschen Fahne ein „Großes Kappenfest“, im Restaurant an der Salzquelle ein „Elite-Ball“ und im Gesellschaftshaus Zur Linde ein „Großer Gesellschaftsball“.

Es gab Schwof, anspruchsvolle Kunst, Konzert, Klamotte, und manchmal ging es über die Stränge. Am 12. Januar ordneten Polizeipräsident und Arbeiter- und Soldatenrat an: „Öffentlicher Tanz wird nur sonntags, solcher geschlossener Gesellschaften nur Sonnabend und sonntags nach Antrag ... zugelassen. Masken- und Kostümbälle werden nicht genehmigt.“

Es gab ein Vorspiel, weshalb der Magdeburger Arbeiter- und Soldatenratan bereits am 5. Febrauar angeordnet hatte, dass „bis auf weiteres sämtliche öffentliche Lokale um 9 Uhr abends zu schließen haben. Von 10 Uhr abends an bis 4 Uhr morgens werden alle Straßen der Stadt für den öffentlichen Verkehr gesperrt.“

Den Anlass lieferten Vorfälle in der Nacht vom 4. zum 5. Februar, über die von der Volksstimme getitelt wurde: „Auch in Magdeburg ist jetzt Blut geflossen.“ Militär sei mit Schüssen gegen eine Menge vorgegangen, die in der Nähe der Katharinenkirche versucht hatte, ein Konfektionshaus zu plündern. Es fielen Schüsse. Dabei gab es mehrere Verwundete. Auch von Toten sei berichtet worden. Bereits in der Nacht zuvor hatten rund 100 mit Handgranaten, Gewehren und Maschinengewehren Bewaffnete das Sudenburger Gefängnis gestürmt und 160 Gefangene, darunter ein Mörder und weitere Schwerverbrecher befreit. „Man wird auf der Seite, die gegen die neuen poltischen Verhältnisse ist, versuchen, das ... verbrecherische Treiben auf die Revolution zurückzuführen“, mutmaßte die Volksstimme. Das sei politische Heuchelei. „Nicht die Revolution hat die moralische Verkommenheit und die wilden Instinkte geweckt, die sich jetzt austoben.“ Die blutigen Nächte von Magdeburg sollten nicht der letzte Angriff auf die neue Ordnung bleiben.