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Wahl-Affäre Das Schweigen des Landrates

Trotz Ungereimtheiten gelang es Stendals Landrat, dass die Wahl für gültig erklärt wurde. Dabei gab es falsche Behauptungen.

28.08.2016, 23:01

Stendal l Beim Thema Wahlfälschung zeigt Stendals Landrat Carsten Wulfänger (CDU) auf der Internetseite des Landkreises verbal eine klare Kante: Die „Höchststrafe“ fordert er dort für „den oder die Täter“: „Die Menschen sind 1988/89 nicht auf die Straße gegangen, um 27 Jahre später wieder belogen zu werden.“

Wulfänger könnte in diesen Tagen aufklären, was im Juni 2014 hinter den Türen des Stendaler Landratsamtes und des Rathauses genau passiert ist. Ex-Landtagspräsident Hardy Peter Güssau (CDU) hatte sich bei der Rechtfertigung in eigener Sache in den vergangenen Tagen so verheddert, dass ihm nur noch der Rückzug blieb. Doch der Landrat wehrt in diesen Tagen alle Fragen ab.

Verbrieft ist, dass Güssau den Kontakt mit dem ehemaligen Landeswahlleiter Klaus Klang (CDU) suchte, der auch Jahre nach seiner Zeit im Innenministerium als Ratgeber gefragt ist.

Klang erinnert sich daran. Und er betont gegenüber der Volksstimme, dabei keine Details erfahren zu haben. Er habe auch keine Beurteilung zu den Stendaler Verhältnissen abgegeben, nur seine persönliche Meinung geäußert: „Ich habe nie eine Empfehlung oder einen Ratschlag abgegeben.“

Die Situation bei der Stendaler Kommunalwahl im Mai 2014 ist bislang einmalig in Sachsen-Anhalt: 179 Briefwahl-unterlagen sind von nur zwölf Bevollmächtigten abgeholt worden. Erlaubt waren aber jeweils nur vier. Recherchen des Landeswahlleiters haben im Nachhinein ergeben, dass dieser Fehler in keiner anderen Kommune passiert sei.

Das Kommunalwahlgesetz ist eigentlich eindeutig: Dies war ein klarer Verfahrensfehler. Und sollte sich dieser Fehler auf das Ergebnis ausgewirkt haben können, muss die Wahl ganz oder in Teilen wiederholt werden.

Hinter den 179 Briefwahlunterlagen verbergen sich mehr als 1000 Stimmen – 537 für die Kreistagswahl und ebenso viele für den Stadtrat. Beim Kreistag lag im Stendaler Wahlbereich der Vorsprung bei einem Kandidaten, der knapp in den Kreistag eingezogen ist, bei rund 100 Stimmen. Im Stadtrat war es noch knapper – in einem Fall vier, in einem anderen sieben Stimmen. Es ist eine Rechenaufgabe für die zweite Grundschulklasse – die so genannte „Mandatsrelevanz“ lag bei beiden Wahlen vor. „Briefwahl neu“ wäre auch für den Kreistag die Konsequenz gewesen.

Warum der Landrat eine andere Empfehlung abgegeben hat? Es ist eine der Fragen, die bislang unbeantwortet geblieben sind.

Wulfänger und der Stendaler Stadtwahlleiter Axel Kleefeldt entscheiden sich damals jedenfalls für einen Unterschriftenvergleich. Verwaltungsmitarbeiter gleichen die Signaturen von den Vollmachten mit denen im Einwohnermeldeamt hinterlegten ab.

Am Ende bleiben bei dieser Betrachtungsweise 16 Zweifelsfälle. Drei davon „geben Anlass zu Bedenken“, erklärt der Landrat schließlich im Kreistag. Eine Strafanzeige stellte er allerdings nicht. Monate später identifiziert eine Schriftgutachterin des Landekriminalamtes nahezu alle Vollmachten als gefälscht.

„Wir haben weiter geprüft und uns mit der Stadt und auch mit dem Landeswahlleiter zu diesem Thema ausgetauscht“, unterstreicht Wulfänger in der Kreistagssitzung am 3. Juli 2014.

Das hat man in Magdeburg allerdings völlig anders registriert: Der Landkreis Stendal habe „nach hier vorliegender Aktenlage an den Landeswahlleiter keine Anfrage gestellt, wie die 179 Fälle wahlrechtlich behandelt werden sollen beziehungsweise sich nach der Möglichkeit der Unterschriftenprüfung erkundigt“, teilt das Innenministerium auf Nachfrage mit.

So argumentiert Wulfänger im Kreistag auf der Basis des Laienvergleichs. Drei Stimmzettel mit je drei Stimmen – neun Stimmen seien strittig. Diese hätten keinen Einfluss auf das Wahlergebnis, erklärt er und empfiehlt die Annahme der Wahl. Zwei Drittel des Kreistags folgen ihm.

Der Landrat widerspricht auch nicht, als CDU-Fraktionschef Wolfgang Kühnel ihm im Kreistag assistiert und betont, der Landeswahlleiter habe „gesagt“, dass die Anerkennung der Wahl „geht“. Dazu das Innenministerium: „In Bezug auf die zu treffende Wahlprüfungsentscheidung zur Kreistagswahl erfolgte keine vorherige Einbeziehung der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters durch den Landkreis Stendal beziehungsweise den Landrat.“

Die Fraktion Linke/Grüne will Wulfänger jetzt von seinem Amt als Kreiswahlleiter entbinden. Darüber entscheidet der Stendaler Kreistag am 1. September. „Er kann und darf es nicht zulassen, dass aus parteipolitischem Kalkül der Wählerwille missachtet und die gewählten Kreistagsmitglieder wissentlich belogen werden“, betont Fraktionsvorsitzende Helga Paschke (Linke).

Unterstützung gibt es auch von der eher konservativen Kreistagsfraktion Landwirte für die Region/FDP. Deren Fraktionschef Frank Wiese ist ernüchtert und empört: „Man weiß nicht mehr, ob man anderen immer noch trauen kann.“