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Corona-Krise Ein Schildbürgerstreich

Gastronomen in Sachsen-Anhalt schimpfen über die Bürokratie vor der Öffnung nach Corona-Sperre.

Von Herbert Spies 15.05.2020, 23:01

Havelberg l Es ist laut im großen Saal des Arthotels in Havelberg. Zehn Gastronomen und Hoteliers sitzen in gebührendem Abstand voneinander und diskutieren über die mögliche Öffnung der Restaurants in Sachsen-Anhalt am Montag nach acht Wochen Corona-Zwangspause. Mal spricht nur einer, mal reden viele durcheinander. Am Ende steht fest: „Wir werden keinen Antrag auf Öffnung unseres Restaurants am Montag stellen. Wir finden, das ist nicht umsetzbar. Inhaltlich nicht und nicht in der Kürze der Zeit“, sagt Renate Lewerken, Inhaberin des Arthotels in Havelberg. „Wir werden von der Bürokratie an die Wand genagelt!“ schimpft Manfred Hippeli, dem die Gül­de­ne Pfan­ne in Havelberg gehört.

„Auch wir haben entschieden, am Montag noch nicht zu öffnen. Ich bin sehr wütend über die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern. Wir werden jeden Tagen mit Fragen unserer Gäste überhäuft und können ihnen keine Antworten geben“, sagt Melanie Busse vom Schloß Tangermünde, „irgendwann haben die Leute die Faxen dicke.“ Sabine Schulze, Chefin der Fischerstube in Warnau, nickt. „Ich bin auch wütend. Und enttäuscht. Ich habe den Beruf Hotelfachfrau gelernt, und ich liebe ihn. Jetzt heißt es, wir müssten alle Salz- und Pfefferstreuer nach jeder Benutzung desinfizieren. Das ist eine Zumutung“, sagt sie und erntet hörbare Zustimmung aus der Runde.

„Nur ungefähr 30 Prozent der 3000 gastronomischen Betriebe im Land wollen am Montag öffnen“, sagt Micha­el Schmidt, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes in Sachsen-Anhalt. „Die meisten wollen sich nämlich für vier Tage nicht diesem bürokratischen Martyrium unterziehen. Denn ab dem 22. Mai reicht es, das Öffnen anzuzeigen“, so Michael Schmidt. Die Landesregierung übergibt die Verantwortung an die Landräte und Bürgermeister. Diese müssen alle Anträge der Gastronomen vor Ort prüfen. Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) hat bereits abgewinkt. Weil das nicht zu schaffen sei.

In Havelberg regen sich die Anwesenden über die Regelungen im für sie zuständigen Kreis Stendal auf. „Antrag auf erweiterte Öffnung eines Gaststättengewerbes (bei dem die Speisewirtschaft deutlich überwiegt)“, steht sperrig über dem sechsseitigen Formular.

Besonders aufgebracht sind die Hoteliers und Gastronomen über Punkt 3 der Behördenvorgaben: „Einhaltung von 1,50 Meter Abstand beim direkten Serviervorgang (normale Gästeansprache nur mit Entfernung)“ heißt es dort. „Das ist ein Schildbürgerstreich“, lacht Dehoga-Präsident Micha­el Schmidt. Renate Lewerken sagt verärgert: „Das ist ein Bürokratiemonster.“

Laut Dehoga genügt im Burgenlandkreis eine Fotodokumentation, die Stadt Halle nehme bereits seit dem 8. Mai Anträge an. In geschlossener Runde ist zuvor auch Landrat Patrick Puhlmann (SPD) zu Gast gewesen. „Er hat zugesagt, den umstrittenen Passus im Formular zu ändern. Jetzt soll gelten, dass am langen Arm serviert werden soll“, erzählt Renate Lewerken. Die Anwesenden sind bereit, auf das Geschäft am Herrentag zu verzichten. Alexander Kreutz vom Schwarzen Adler in Tangermünde sagt leise: „Ich schlafe schlecht. Bald ertrage ich das Hin und Her nicht mehr.“