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Zeitgeschichte Westliche Kultur unerwünscht

Die DDR-Staatsmacht stempelte Ende der 1950er Jahre Mädchen in Magdeburg als Rowdys ab, weil sie so sein wollten wie West-Stars.

Von Bernd Kaufholz 11.10.2018, 01:01

Magdeburg l Mit den Sissi-Filmen hatte sich der Teenager Romy Schneider zwischen 1955 und 1957 in die Herzen – besonders der jungen Mädchen – gespielt. Nicht nur im Westen, auch im Osten Deutschlands wollten sich viele Heranwachsende so kleiden und so sein wie ihr Idol.

Allerdings war die Schwärmerei für den späteren Weltstar in der DDR nicht erwünscht und hatte sogar Konsequenzen. Das ergaben Volksstimme-Recherchen im Zusammenhang mit dem 80. Geburtstag der 1982 in Paris verstorbenen Schauspielerin.

So ist in der Akte 164 mit dem Titel „Berichte und Analysen der Kriminalpolizei der nachgeordneten Dienststellen der BDVP (Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei) Magdeburg über Rowdytum und Jugendkriminalität 1959-1960“ auf Blatt 74 vermerkt: „... Neuerdings tritt in Erscheinung, dass sich in den Großbetrieben illegale Klubs bilden, z. B. im Karl-Liebknecht-Werk unter dem Namen ,Romy Schneider‘. Dabei handelt es sich überwiegend um weibliche Jugendliche.“

Besonders hervorgehoben wurde, dass sich unter den Romy-Schneider-Fans auch FDJler befanden. Nach unbestätigten Hinweisen soll es sich um acht Mädels gehandelt haben, die aufgrund „ihres Hanges, westliche Schauspieler anzuhimmeln“, verwarnt wurden.

Doch nicht nur „Sissi“ stand ganz oben auf der Beliebtheitsliste von Magdeburger Mädchen. „Es ist auch ein Beispiel aus dem Dimitroff-Werk bekannt geworden“, so der Polizeibericht, „wo man sich unter dem Namen ,Catharina Valente‘ (italienische Sängerin, Tänzerin, Gitarristin, Schauspielerin und Entertainerin) zusammenfand.“

Im „Protokoll einer Aussprache bezüglich des Anwachsens des Rowdytums und der Zusammenrottung Jugendlicher im Jahr 1960 ist auf Blatt 84 zu lesen:

„... In der weiteren Bearbeitung der Gruppierung Jugendlicher gab es besonders in den Betrieben VEB Karl Liebknecht und im VEB Georgi Dimitroff Anzeichen von Clubbildungen.“

Es wird darauf verwiesen, dass im Dimitroff-Werk ein „Micky-Maus-Club“ schon „recht organisiert“ war. Die Mitglieder „hatten sich in sofern organisiert, dass sie nach außen das Abzeichen der Micky Maus trugen.

Ihre Ziele bestanden darin, heiße Musik zu hören, sich mit westdeutschen Schauspielern und Sängern, sogar mit Radio Luxemburg zu schreiben.“ Es sei bekannt geworden, dass die Gruppe bereits zweimal an den westlichen Sender geschrieben und Schlagerwünsche übermittelt habe.

„Die Gruppe wurde durch die Dienststelle des MfS (Stasi) aufgeklärt. Gleichzeitig seien Maßnahmen eingeleitet worden, dass diese Mädels im Werk durch die Arbeit nicht mehr zusammenkommen können. Sie wurden in verschiedene Betriebsteile versetzt“, heißt es in den Akten. Seitens des Betriebes sei mit ihnen eine „ordentliche Aussprache geführt“ worden. Unverständnis äußerte das „Staatsorgan“ darüber, dass die Betreffenden „durch ihr Zuhause eigentlich eine ordentliche Erziehung haben müssten“.