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Zu Gast Von Emotionen und Krimis

Der langjährige Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert spricht in Magdeburg über Frankreich und seine Bücher.

Von Grit Warnat 04.07.2017, 01:01

Herr Wickert, wann sind Sie wieder in Paris?

Dieser Tage.

Sie reisen oft in Ihre Lieblingsstadt?

Ja. Und da ich gerade an einem Buch über Frankreich schreibe, will ich noch recherchieren. Ich bin mit dem diplomatischen Berater von Emmanuel Macron befreundet und will mit ihm für das letzte Kapitel meines Buches über einige Dinge sprechen. Das Buch ist fast fertig.

Sie schreiben also wieder ein Sachbuch?

Ja. Es geht sehr tief in die französische Geschichte. Ich habe grundsätzliche Fragen der Identitätskrise der Franzosen aufgegriffen, wie man Präsident wird und warum die Bewegung „La République en Marche“ alles überrolt hat. Ich beleuchte die Macht des Präsidenten und blicke auf Deutschland und Europa. Macron war der einzige Präsidentschaftskandidat, der sich ganz klar zu Europa bekannt hat.

Sie haben vor der Frankreich-Wahl gesagt, Macron wird gewinnen. Woher nahmen Sie diese Sicherheit?

Weil ich das Wahlverhalten der Franzosen kenne. Ich habe als Journalist seit 1969 alle Präsidentschaftswahlen begleitet. Anfangs in der ARD, dann bei Arte, jetzt zuletzt in den Wahlnächsten bei Phoenix.

Wie gut tut es Frankreich, dass Macron auf „No Names“, also auf Quereinsteiger setzt?

Das bedeutet ja nicht, dass die Leute inkompetent sind. Der große Reiz für den französischen Wähler war ja, nicht auf diejenigen zu setzen, die seit 10, 20, 30 Jahren in der Politik sind. Und so gewann eine junge Frau, die in der Landwirtschaft arbeitet, plötzlich gegen einen Berufspolitiker. Es ging den Franzosen um Leute, die im wirklichen Leben stehen.

Wie wird es bei unseren Nachbarn weitergehen?

Macron ist sehr machtbewusst, im positiven Sinne autoritär. Er ist sehr konkret, wenn es um seine Vorstellungen geht, wie Politik sein muss, wie Politiker sich verhalten müssen. In seinem ersten Kabinett waren einige belastet, die mussten gehen. Macron sagt sehr deutlich, dass es mit ihm keine Selbstbedienungsmentalität und kein Umgehen von Parteigesetzen gibt. Da ist er sehr radikal. Das tut dem Land gut.

Sind die Franzosen mit dieser Entwicklung glücklich?

Französische Feunde sagen mir jetzt immer wieder, die Stimmung sei plötzlich positiv geworden, weil sie sehen, dass da Leute sind, die handeln, die sich einsetzen und nicht nur an sich selbst denken.

Sie haben dieses An-sich-selbst-Denken auch in Ihren Krimis thematisiert. Sie schreiben über Korruption und Affären bei französischen Spitzenpolitikern.

Ich glaube, ich bin zu stark Journalist, als dass es anders sein könnte. In meinen Krimis geht es immer um Fälle, die nicht erfunden sind, sondern aus der Wirklichkeit kommen.

Zum Beispiel?

Der ehemalige Innenminister von Sarkozy ist im Januar zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er in seinem Ministerium immer wieder in die Kasse gegriffen hatte. Im Mai wurde der ehemalige Premierminister Edouard Balladur angeklagt, weil er angeblich Gelder aus einem Waffengeschäft bezogen hat, um seinen Wahlkampf zu thematisieren.

Das hatten die Franzosen satt.

Das erste Gesetz, das von Macron vorliegen wird, dreht sich um die Moralisierung des öffentlichen Lebens. Darin wird geschrieben stehen, was man nicht mehr darf. Es geht auch um eine Beschränkung der Amtsdauer. Das wird natürlich auch zu einem Wechsel im politischen Gewerbe führen, was ihm aber guttut, weil dadurch mehr Leute in die Verantwortung genommen werden.

Haben Sie Macron persönlich kennengelernt?

Ja, bei einem Abendessen in Hamburg, da war Macron gerade zum Wirtschaftsminister ernannt worden. Ich hatte eine Dreiviertelstunde Zeit, mit ihm alleine zu reden, und ich war absolut begeistert von ihm, weil er die Probleme Frankreichs völlig unideologisch sah. Ich dachte: Der tut richtig gut. Das war im September 2014. Ich habe ihn damals auch gefragt, wie es 2017 mit den Präsidentschaftswahlen ausgehen wird, und er sagte, das sei einfach: Wer neben Marine Le Pen in den zweiten Wahlgang kommt, der gewinnt. Da dachte man an Hollande und Sarkozy, nie aber an ihn.

Sie sind Kenner und Freund der Grande Nation. Was lieben Sie so an den Franzosen?

Ach, da gibt es sehr vieles. Wenn man etwas sehr gut versteht, dann entwickelt man auch Emotionen.

Das genussvolle Essen gehört nicht dazu?

Man kann auch in Deutschland gut essen. Für mich sind es die Menschen.

Sie kennen die Franzosen nicht erst seit ihrer Arbeit für die ARD. Sie gingen in Paris zur Schule.

Ich habe damals in der französischen Schule in Paris schon den Zugang zur Sprache und zu den Menschen gefunden. Ich finde, die Franzosen sind sehr angenehm, sehr witzig und mit einem Humor, den man nur versteht, wenn man französisch gut beherrscht.

Und sie stehen für Diskretion. Wenn ich in Hamburg mal bei rot über die Ampel gehe, obwohl kein Auto kommt und kein Kind zu sehen ist, schimpft gleich jemand mit erhobenem Zeigefinger, das ist aber verboten. In Frankreich würde nie jemand versuchen, dich zu belehren.

In Magdeburg werden Sie über die politische Situation in Frankreich reden. Sie stellen sich aber auch als Kriminalautor vor.

Ich lese aus meinem Krimi „Das Schloss in der Normandie“.

Was hat Sie bewogen, sich an Krimis zu wagen?

Bevor ich Journalist wurde, wollte ich schon Krimis schreiben. Das war ein Traum von mir, weil ich Krimis gerne lese.

Wen lesen Sie besonders gern?

Meine Lieblingsautoren sind die amerikanischen Krimi-Klassiker, allen voran natürlich Raymond Chandler.

Warum lassen Sie in Paris morden?

Nicht nur morden, auch bestechen und betrügen. In Paris kann ich einen Untersuchungsrichter ermitteln lassen. Die Untersuchungsrichter, die es in dieser Funktion in Deutschland nicht gibt, haben unglaublich viel Macht, ihnen kann keiner eine Weisung geben, sie entscheiden über Durchsuchungen, über Festnahmen. Dadurch werden sie Gegenspieler zur Macht. Das finde ich sehr spannend.

Wenn Sie jetzt wieder nach Paris fahren: Was werden Sie als Erstes machen, wenn Sie ankommen?

Essen gehen, da hört man schon vieles. Und ich werde natürlich Freunde treffen. Ich will mit ihnen über alles reden, was gerade in Frankreich passiert. Ich will erfahren, wie sie die Zukunft sehen.

 

Zum 10. Jahrestag des Festivals FRANKO.FOLIE! ist Ulrich Wickert am 6. Juli zu Gast an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Im Podiumsgespräch ab 18 Uhr im Audimax spricht der Journalist über die aktuelle Situation in Frankreich. Ab 20 Uhr folgt eine Lesung im Grünen. Der Eintritt ist frei.