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Geld für jüdische Einrichtungen: Debatte um Innenminister

Wie können sich Jüdinnen und Juden in Sachsen-Anhalt sicher fühlen und der Antisemitismus zurückgedrängt werden? Die Landesregierung will diese Frage an dem Tag beantworten, an dem ein Minister aus ihren Reihen dem Vorwurf ausgesetzt ist, Antisemitismus zu schüren.

06.10.2020, 17:54

Halle (dpa/sa) - Mehr Geld für den Schutz jüdischer Gemeinden, ein umfangreiches Programm für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus: Eigentlich wollte Sachsen-Anhalts Landesregierung wenige Tage vor dem ersten Jahrestag des rechtsextremen Terroranschlags in Halle ein Zeichen für die eigene Entschlossenheit setzen, wie es Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Dienstag selbst formulierte. Doch die Sitzung, in der das schwarz-rot-grüne Kabinett die Vereinbarungen und Programme auf den Weg brachte, wurde überschattet von Kritik des Zentralrats der Juden an Äußerungen des Innenministers - zum Polizeischutz für jüdische Einrichtungen.

Zentralrats-Präsident Josef Schuster hatte dem CDU-Politiker Holger Stahlknecht in einem Interview des Redaktionsnetzwerks Deutschland vorgeworfen, dem Antisemitismus Vorschub zu leisten, indem er den Eindruck erwecke, Juden seien gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen privilegiert. Er legte Stahlknecht den Rücktritt nahe- Anlass war ein Bericht der "Mitteldeutschen Zeitung", in dem der Minister nach einem Besuch in einem Polizeirevier damit zitiert wird, dass die Einsatzstunden zum Schutz jüdischer Einrichtungen an anderer Stelle fehlten.

Nach dem Zentralrat forderten am Dienstag auch mehrere Politiker der Opposition Stahlknechts Rücktritt. Kritik kommt zudem aus den Reihen der Koalitionspartner SPD und Grüne. Darauf angesprochen, zeigte sich Stahlknecht nach der Kabinettssitzung zerknirscht. Er habe bei dem Besuch am Freitag klar gemacht, dass der Schutz jüdischer Einrichtungen für ihn nicht verhandelbar sei und höchste Priorität habe. Damit habe er um Verständnis bei den Bürgerinnen und Bürgern werben wollen. "Wenn das missverstanden worden ist, tut es mir leid."

Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wollte sich bei der gemeinsamen Pressekonferenz der Landesregierung mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden am Dienstag zu den neuerlichen Vorwürfen des Zentralrats der Juden und anderer Kritiker gegen seinen Innenminister zunächst nicht äußern. Stahlknecht habe sich gerade erklärt, sagte er. Das vorgestellte Programm müsse die Botschaft senden, dass die Landesregierung alle bisherigen Anstrengungen intensivieren werde, damit sich eine Tat wie der Terroranschlag nicht wiederhole. Das sei ihm und der gesamten Landesregierung eine Herzensangelegenheit, betonte Haseloff. "Wir werden daran gemessen, dass das alles auch Wirklichkeit wird, Realität wird, und auch funktioniert."

Tatsächlich verpflichtete sich das Kabinett unter anderem dazu, mit weiteren Millionensummen den Schutz jüdischer Einrichtungen zu verbessern. In einem ersten Schritt stellt das Land bis Ende nächsten Jahres 2,4 Millionen Euro bereit. Damit soll weitere Technik angeschafft und Umbauten ermöglicht werden. Im Anschluss soll eine Zusatzvereinbarung zu einem seit 14 Jahren bestehenden Staatsvertrag weitere Finanzhilfen garantieren. Dabei sind auch Gelder für Wachpersonal vor Ort eingeplant. Die Erweiterung des Staatsvertrags muss der Landtag billigen.

Der Vorsitzende des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden, Max Privorozki, lobte die Einigung als sehr gute Lösung. Damit könne alles umgesetzt werden, was Sicherheitsexperten für notwendig erachteten, sagte er. Wie viel Geld tatsächlich nötig sein wird, ist offen. Eine Kommission mit Fachleuten des Landeskriminalamts, der jüdischen Gemeinde sowie Sicherheitsexperten des Zentralrats der Juden sollen die Maßnahmen nach den jeweils aktuell geltenden Standards festlegen.

Ein ebenfalls verabschiedetes, mehr als 100 Seiten umfassendes Landesprogramm für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus beschäftigt sich neben dem nötigen Schutz für die Einrichtungen auch mit Bildungsangeboten und möglichen Ansätzen, um Rechtsextremismus und Antisemitismus zu bekämpfen, sagte Haseloff.

Verbandschef Privorozki gehörte zu den mehr als 50 Gläubigen, die am 9. Oktober 2019 in der Synagoge in Halle den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur feierten, als der Anschlag begann. Diese Erlebnisse würden er und alle anderen, die dort waren, nie vergessen.

In den Mittagsstunden hatte ein schwer bewaffneter Attentäter zunächst versucht, in die Synagoge einzudringen. Als das misslang, erschoss er in der Nähe zwei Menschen, griff einen Dönerimbiss an und verletzte auf seiner Flucht zahlreiche weitere Menschen, ehe er von der Polizei gefasst wurde. Vor dem Oberlandesgericht läuft der Prozess gegen den 28 Jahre alten Angeklagten Stephan Balliet. Der Deutsche hat die Taten eingeräumt.

Schon direkt nach dem Anschlag hatten viele Kritiker moniert, dass die Polizei keine dauerhafte Wache postiert hatte, sondern nur sporadisch einen Streifenwagen vorbeischickte. Direkt nach der Tat hatte der Innenminister ununterbrochenen Polizeischutz für jüdische Einrichtungen im Land angeordnet. Stahlknecht hatte den Polizeieinsatz beim Terroranschlag gelobt - und sich auch damals schon Kritik vom Zentralrats-Präsidenten Schuster eingehandelt.

Nach den gemeinsamen Gesprächen in Halle legte auch der Landesverband Jüdischer Gemeinden um Privorozki in seiner Kritik noch einmal nach und erneuerte die Vorwürfe des Zentralrats: Stahlknecht habe mit seinen Äußerungen einen Zusammenhang zwischen dem Mangel an Polizisten und der Bewachung jüdischer Einrichtungen hergestellt, hieß es in einer am Nachmittag verbreiteten Erklärung. Damit werde antisemitischen Vorurteilen Vorschub geleistet und sozialer Unfrieden zwischen Jüdinnen und Juden und der Mehrheitsgesellschaft geschürt.

"Der Staat muss für den Schutz aller bedrohten Menschen sorgen, ganz egal, ob jüdische Gemeinden oder ein Innenminister zu schützen sind", sagte der Landeschef der mitregierenden Grünen und Innenexperte, Sebastian Striegel. Es sei der grassierende Antisemitismus, der das Land unsicher mache und nicht der leider täglich nötige Polizeischutz für jüdische Einrichtungen. Es sei unverantwortlich, der Bevölkerung zu suggerieren, der Schutz jüdischer Einrichtungen verhindere andere Polizeiaufgaben, meinte SPD-Fraktionschefin Katja Pähle.

Rückendeckung erhielt Stahlknecht von den Christdemokraten, deren Landeschef er ist. "Die aktuell geführte Debatte zeigt, wie schnell man bei diesem sensiblen Thema missverstanden werden kann", twitterte CDU-Generalsekretär Sven Schulze. Die CDU im Magdeburger Landtag sei sich sicher, dass Stahlknecht missverstanden worden sei, ergänzte der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Chris Schulenburg.

Tweet des FDP-Vize-Landeschefs Faber zu Stahlknecht

Tweet von SPD-Spitzenkandidatin Pähle zum Thema

Mitteilung der Linken in sachsen-anhaltischen Landtag zum Thema

Tweet der designierten Linken-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl, Eva von Angern, zum Thema

Tweet von CDU-Generalsekretär Schulze

Tweet des SPD-Innenexperten Erben zum Thema

Tweet des Grünen-Innenpolitikers Striegel

Tweet des Direktors der Anne-Frank Begegnungsstätte

Sachsen-Anhalts Landesprogramm für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus

Mitteilung der Landesregierung zu zusätzlichen Finanzhilfen für den Schutz der jüdischen Gemeinschaft

Mitteilung der Landesregierung zum Landesprogramm für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus