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Maschinenpistolen und Milliardengewinne: Diebe aus Osteuropa

Berlin ist die perfekte Stadt für die Profis: zahlreiche teure Autos, die oft einfach an der Straße abgestellt sind. Und die Grenze zu Polen ist in weniger als einer Stunde erreicht.

Von Andreas Rabenstein, dpa 18.11.2019, 13:59

Berlin (dpa/bb) - Die Autodiebe kommen abends über die Grenze nach Berlin, stehlen nachts ein Dutzend Limousinen oder SUVs und sind am Morgen bereits wieder in Polen. Die osteuropäischen Banden gehen hochprofessionell vor und nutzen die offenen EU-Grenzen. Die deutsche Polizei hat nur mit Hilfe von Kollegen aus Nachbarländern überhaupt eine Chance auf Erfolg in ihrem Kampf gegen diese Form der Organisierte Kriminalität. Das zeigt ein von der EU mitfinanziertes Polizeiprojekt mit dem Titel "Limes" (lateinisch: Grenze), das nach knapp drei Jahren jetzt auslief.

Die Kriminalpolizei aus Berlin und Brandenburg ermittelte dabei mit deutschen und europäischen Kollegen gegen Banden von Autodieben und Organisierte Kriminalität aus Russland. Die Erfolgsbilanz, die am Montag vorgestellt wurde, ist beeindruckend, zeigt aber auch die Größe des Problems.

Die Fahnder gingen nach Stand vom Oktober gegen 88 Banden und fast 800 Verdächtige, unter denen auch ein Berliner Polizist war, vor. Sie nahmen rund 350 Verdächtige fest, durchsuchten mehr als 400 Wohnungen und andere Räume und führten mehr als 2200 Ermittlungsverfahren. Bislang gab es 47 Verurteilungen, zahlreiche weitere sollen folgen.

685 gestohlene Autos und LKW wurden beschlagnahmt. Nebenbei stießen die Fahnder auf kiloweise Drogen wie Kokain, Cannabis und Ecstasy sowie Waffen, darunter mehrere Maschinenpistolen und eine Handgranate. Die bislang ermittelte Höhe des Schadens liegt demnach bei knapp 60 Millionen Euro. Nach Schätzungen der Polizei wurden von den zahlreichen Banden insgesamt mehr als 10 000 Fahrzeuge gestohlen.

Neben den Landeskriminalämtern aus Sachsen und Sachsen-Anhalt waren an dem Projekt Polen, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen und Schweden sowie Europol eng beteiligt. Hilfe kam aber auch von Polizeidienststellen aus zahlreichen anderen Ländern aus halb Europa und von außerhalb, wo die Kriminellen agierten: unter anderem Belgien, Ungarn, Schweiz, Weißrussland, Ukraine, Frankreich, Israel, Portugal, USA. Die EU steuerte 500 000 Euro bei, vor allem für Reisekosten der beteiligten Polizisten und technische Ausstattung wie GPS-Sender.

Thomas Susebach vom Berliner LKA, der das Projekt "Limes" leitete, beschrieb das Vorgehen der Diebe: "Mein typischer Täter ist zwei, drei, vier Stunden in Berlin, hat fünf oder zehn Diebstähle begangen und ist nach sechs Stunden wieder aus Deutschland weg." Die Hälfte der Autos würde erstmal nur umgestellt, "weil er hat ja gar nicht genug Kuriere, um sie nach Polen oder wohin auch immer zu überführen". Diese Autos würden dann später von Fahrern abgeholt und ebenfalls über die Grenze gefahren. Die Banden sind laut Polizei zum Teil spezialisiert: die einen auf MAN-LKWs, andere auf Mercedes-Sprinter, auf Audi, BMW und Volvo oder auf japanische Autos.

Planung, Verwertung, Logistik - "alles passiert nicht in Deutschland", sagte Susebach. Auch die Hintermänner und Chefs der Banden träten in Deutschland gar nicht auf. "Es wurde mit niederländischen und französischen Zulassungspapieren gearbeitet, es wurde mit slowakischen, tschechischen und österreichischen Personaldokumenten gearbeitet, die Fahrzeuge wurden von polnischen und auch deutschen Verdächtigen entwendet, es gab Verdächtige aus Saudi-Arabien, aus Jordanien, Fahrzeuge wurden bis nach Tunesien, bis nach Algerien weiterverschifft." Eine internationale Zusammenarbeit der Polizei sei hier "zwingend erforderlich." Zum Teil würden die Autos auch blitzschnell zerlegt und die Teile verkauft und versendet - bis nach China.

Michael Will von Europol, der europäischen Polizeibehörde, wies dabei auf die großen Gefahren durch die russischsprachige Kriminalität hin. Fast jedes EU-Land sei von diesen Banden betroffen, es gehe um Waffenhandel, Rauschgift, Gewaltkriminalität und Geldwäsche. Das Geld sei nur schwer aufzuspüren. "Wir gehen davon aus, dass nur zwei Prozent der Gewinne eingefroren und nur die Hälfte davon konfisziert wird. Das ist natürlich viel zu wenig", sagte Will. "Es geht um Milliardengewinne und wir sind als Strafverfolgungsbehörde einfach nicht gut genug, den Tätern das Geld wieder wegzunehmen. Denn das ist das, was richtig weh tut."