Biathlon Kein Patronennachschub für weißrussisches Team / Schönebecker Firma darf nicht liefern Entscheidet ein Embargo eventuell über Medaillen?
Schönebeck l Im Schönebecker Gewerbegebiet West, in der Wilhelm-Dümling-Straße, lagert derzeit eine Charge, die gut 600 Kilometer südlich - bei der Biathlon-Weltmeisterschaft in Ruhpolding - dringend benötigt wird. Konkret geht es um 290 000 Schuss hochwertiger Munition, hergestellt von der im Salzlandkreis ansässigen Lapua GmbH. Empfänger wäre die weißrussische Nationalmannschaft der Skijäger - und in diesem Team steht mit Darja Domratschewa die wahrscheinlich größte Konkurrentin des deutschen Biathlon-Darlings Magdalena Neuner.
Und genau da, beim Wort Weißrussland, beginnen die Probleme. Weil nämlich die Europäische Union (EU) seit Juni 2011 ein Waffenembargo gegen die frühere Sowjetrepublik verhängt hat, dürfen Waffen und "Güter zur internen Repression" nicht in das osteuropäische Land ausgeführt werden. Ein entsprechendes Schreiben des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle liegt bei Lapua-Geschäftsführerin Kathrin Sondershausen auf dem Schreibtisch. "Es ist nicht etwa so", sagt sie im Volksstimme-Gespräch, "dass wir nicht liefern können oder wollen, wir dürfen nicht. Wir würden uns strafbar machen."
"Wir sind der Markt- führer bei Biathlon-Hochleistungsmunition"
Lapua-Geschäftsführerin Kathrin Sondershausen
Beim vor 183 Jahren gegründeten ältesten Sportmunitions-Hersteller Europas respektiert man einerseits die Entscheidungen der politischen Gremien, wie Sondershausen betont, "andererseits steht aber Lapua dafür, dass weltweit alle Sportler bei der Munition die gleichen Bedingungen haben können und keiner benachteiligt wird". Und so steht die Chefin fast täglich in Kontakt mit den zuständigen Gremien - ein positives Resultat gibt es bis heute allerdings nicht.
Um wirtschaftliche Aspekte geht es Lapua, seit 1992 Tochtergesellschaft eines finnischen Unternehmens, nach eigenem Bekunden ebenfalls nicht. Sondershausen: "Wir können sagen, dass wir weltweit der Marktführer bei Hochleistungsmunition für den Biathlon sind. Über 90 Prozent aller Top-Skijäger schießen mit Patronen made in Schönebeck."
Und so tauchen denn einmal im Jahr, meist im Sommer, Trainer und Athleten aus aller Welt - im Gepäck Dutzende Waffen - in der Stadt am Rande von Magdeburg auf und testen die von ihnen georderte Munition. "Es handelt sich um ein Kleinkaliber 22, bestehend aus einem Bleigeschoss und einer Messinghülse", erläutert Vertriebsleiter Jörg Melcher. Insgesamt produziert der Betrieb mit seinen 70 Beschäftigten im Jahr Patronen in einer dreistelligen Millionenzahl. Man exportiert in rund 60 Länder.
Lapua hat eigens eine Spezial-Kältekammer gebaut, wo die Pa- tronen bei Bedingungen zwischen plus 20 und minus 15 Grad auf Herz und Nieren getestet und die jeweilige Waffe auf sie abgestimmt wird.
Vor Saisonbeginn waren auch Darja Domratschewa und der deutsche Trainer der Weißrussen, Klaus Siebert, zur Visite in Schönebeck. Da ahnten sie allerdins noch nicht, dass die von ihnen bestellten 290 000 Schuss beim Saisonhöhepunkt, der WM, nicht zur Verfügung stehen würden.
Bereits bei den Weltcup-Rennen im Vorfeld von Ruhpolding waren die Patronen knapp geworden. So musste Domratschewa immer häufiger auf minderwertige Übungsgeschosse zurückgreifen.Siebert: "Die sind nicht speziell für den Lauf von Darjas Waffe eingeschossen. Da waren gute dabei, aber auch richtig schlechte."
Domratschewa, die im Gesamtweltcup nur minimale 39 Punkte hinter Magdalena Neuner auf Platz zwei liegt, vergab durch zu viele Schießfehler einige mögliche Siege.
"Als hätte ich geahnt, was da auf uns zukommt", sagt ihr Trainer. "Für die WM habe ich für Dascha 250 Schuss gute Munition aufgehoben. Das reicht gerade."
Dass man eventuell bald auf die in Schönebeck lagernden Kisten mit den hochwertigen Geschossen zurückgreifen kann, daran glaubt derzeit kaum einer. Zumal es offenbar keine Belege dafür gibt, dass das weißrussische Regime von Präsident Lukaschenko seine Menschenrechtsverstöße eingestellt hat. "Das Embargo ist zeitlich unbegrenzt", bestätigte eine Sprecherin des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle gestern auf Anfrage.
"Wie es weitergeht, wissen wir nicht"
Weißrusslands Trainer Klaus Siebert
"Es ist unverständlich, wenn sich die Politik in den Sport einmischt", erklärt Siebert. Doch nicht nur bei der Munition gibt es Ungemach. Der Trainer hat auch Zweifel, ob dringend notwendige Reparaturen an den Waffen wegen des Embargos durchgeführt werden können. "Wie es weitergeht", sagt er mit leicht resignierendem Unterton, "wissen wir nicht."