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Vor 50 Jahren auf dem Sachsenring Goldenes Sportjubiläum: Wie "Täve" Bernhard Eckstein zum WM-Titel verhalf

Von Manfred Hönel 26.08.2010, 04:55

Berlin. Die goldenen Sportjubiläen überschlagen sich. Genau vor 50 Jahren stürmten im "Backofen" von Rom die Athleten zu olympischen Medaillen. Mittendrin die Straßenradbolzer aus dem deutschen Osten. In der Stadt der sieben Hügel rasten der Magdeburger Gustav-Adolf "Täve" Schur mit dem Leipziger Trio, dem leider früh verstorbenen Erich Hagen sowie Günter Lörke und Egon Adler, zur Silbermedaille im 100-km-Mannschaftsfahren. Überhaupt war das Jahr 1960 eine große Saison für den DDR-Radsport. Im Mai stürmte Erich Hagen zum Friedensfahrtsieg und auch die Mannschaft gewann. Danach folgte der August mit dem gro-ßen Ding vom Sachsenring. Ergraute Radsportfans schnalzen mit der Zunge, wenn die ollen Kamellen von der WM 1960 hervorgeholt werden. 150 000 Zuschauer säumten damals im August die 8,7 km lange Runde auf dem Sachsenring. Erst am vergangenen Sonntag schilderte Radsport-Sprecher Reiner Rechenberger den 3500 jubelnden Fans auf der Chemnitzer Radrennbahn wieder jene denkwürdige letzte Runde vor 50 Jahren. Er tat das mit einer Emotion, als rolle das Rennen gerade an den Zuschauern vorbei. "Ich habe diese letzte Runde der WM einige hundert Mal gesprochen. Bei der Armee bin ich durch diese nachgesprochene Oertel-Reportage gut über die Runden gekommen. Selbst in den alten Bundesländern wollen die Fans bei jeder Gelegenheit immer wieder die Imitation von Heinz-Florian Oertel hören. "Gut, wenn sich Reiner Rechenberger genau erinnern kann. Meine Original-Reportage gibt es nicht. Sie konnte durch eine technische Panne nicht aufgezeichnet werden", verriet uns Heinz-Florian Oertel.

Übrigens wollten sich Gustav-Adolf Schur und Bernhard Eckstein brandaktuell am dritten August-Sonntag auf dem Sachsenring zum Foto-Shooting treffen. Sie mussten den Termin auf den Juli vorverlegen. "Ecke" feierte am 21. August seinen 75. Geburtstag. Und Täve? Dreimal dürfen Sie raten, wo er sich aufhielt? Richtig! Beim Radsport, genau bei der Senioren-Weltmeisterschaft in Österreich!

Bei dem 75 Jahre alten Bernhard Eckstein leuchten immer wieder die Augen, wenn er vom Sachsenring zu erzählen beginnt: "Wir standen mit 111 Fahrern am Start. 40 davon, grob überschlagen, hatten eine Siegchance. Unsere leider längst verstorbenen Trainer Werner Schiffner und Herbert Weisbrod gaben die Taktik aus. Lothar Höhne, Erich Hagen und Günter Lörke halten möglichst lange das Feld zusammen. Egon Adler, Täve Schur und ich sollten im Finale unsere Chance nutzen."

Am Badberg mit seinen elf Prozent Steigung zerflatterte der Haufen wie eine Pusteblume, in die der Wind gefegt war. Dann ging es in die vorletzte Runde. Nach so vielen Kilometern und der Hitze wird der Badberg zum Tourmalet. "Ich guckte mich um und sah, wie Täve und der Russe Juri Klewzow näherkamen. Neben mir stürmte plötzlich der Belgier Willy Vandenberghen los. Ich saß in der Klemme. Vandenberghen weg und Täve noch nicht da. Ich wartete und das war richtig. Schur und Klewzow donnerten den Badberg hinauf. Oben waren sie bei mir. 28 Sekunden betrug der Vorsprung des Belgiers eingangs der letzten Runde", erinnert sich "Ecke". Einen Kilometer vor dem Ziel war der Ausreißer gestellt. Eckstein erzählt, als lege er gerade den Siegerkranz ab: "Täve und ich wechselten kein Wort. Ich raste los, als sei der Teufel hinter mir her. Täve blieb bei Vandenberghen. Der war völlig verdutzt. Er rechnete mit dem Antritt des zweimaligen Weltmeisters. Täve dachte gar nicht daran, Willy eine Chance zu geben. Ich kam ein kleines Stück weg. Das reichte zum WM-Trikot. Der Belgier hatte nie damit gerechnet, dass ein Kapitän seine Chance verspielt, um den WM-Titel für die Mannschaft zu retten."

Auf das Rad schwingt sich Rentner Eckstein noch ein paar Mal in der Woche. "20 bis 25 Kilometer reichen mir. Mit meiner Frau Christa wandern wir viel in der Umgebung. Gereist sind wir genug. Ins Ausland zieht uns nichts mehr. Von März bis Oktober bin ich meist im Garten am Elster-Saale-Kanal", erzählt der Rad-Oldie. Bernhard Eckstein stammt aus Nauenhof bei Grimma, stieg aber im erzgebirgischen Venusberg zum Spitzenfahrer auf. Täve wohnt nach wie vor in Heyrothsberge. Spätestens zu Schurs 80. Geburtstag im nächsten Februar wollen sich Täve und Ecke dort treffen.

Bis 1998 ließ Eckstein als begehrter Sportfotograf für das "Neue Deutschland" und die Nachwendezeitung "Wir in Leipzig" die Auslöser klicken. Heute putzt er nur noch für Familienfeiern die Linse.

Drei Wochen nach der WM vor 50 Jahren rächte sich Willy Vandenberghen in Rom. Er gewann den Spurt des Hauptfeldes und durfte dadurch aufs Siegerpodest, um die olympische Bronzemedaille in Empfang zu nehmen. Gold gewann in Rom 1960 der schon verstorbene Russe Wiktor Kapitonow.