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Handball Kretzschmar über die Rivalen SCM und Füchse

Stefan Kretzschmar hatte seine erfolgreichste Zeit als Spieler beim SC Magdeburg. Jetzt wird er Sportdirektor bei den Füchsen in Berlin.

Von René Miller 01.10.2019, 01:01

Berlin l Seine großen sportlichen Erfolge hat Stefan Kretzschmer an der Elbe gefeiert. Eine neue berufliche Herausforderung zieht ihn nun an die Spree. Am Dienstagabend trifft sein neues Team auf seine alte Liebe - Füchse Berlin gegen SC Magdeburg heißt es im Achtelfinale des DHB-Pokals (Anwurf: 19 Uhr). Mit der Volksstimme sprach der 46-Jährige über das Duell und seine Handball-Leidenschaft.

Herr Kretzschmar, Ihr erstes Buch erschien vor elf Jahren unter dem Titel „Anders als erwartet“. Ist das auch das Motto für Ihren Einstieg bei den Füchsen?
Stefan Kretzschmar:
Da ich mich entschieden hatte, nach Berlin zurückzukehren, ist es ja nicht ganz so abwegig, hier auch wieder im Handball zu arbeiten. Dass gerade in Magdeburg die Enttäuschung darüber groß ist, kann ich natürlich verstehen. Aber es war ja nicht so, dass ich zwischen einem Angebot der Füchse und einem aus Magdeburg wählen konnte und mich entscheiden musste.

Inzwischen sind Ihre schönsten Handballgeschichten im Buch „Hölleluja“ nachzulesen. Wie soll bei den Füchsen ein „Hölleluja“ mit Bob Hanning verhindert werden? Der hat bekanntlich seinen eigenen Kopf und ist Geschäftsführer.
Wir haben ganz klar besprochen, wer welchen Bereich zu verantworten hat. Bob ist Geschäftsführer und hat damit das letzte Wort. Ich brauche als Sportdirektor auch keine Bühne, muss nicht an jeder Pressekonferenz teilnehmen, sondern sehe mich eher im Hintergrund. Eitelkeiten sind da fehl am Platz. Dann können auch zwei starke Charaktere gut zusammenarbeiten. Ein bisschen Vorbild ist dabei Matthias Sammer im Fußball. Von dem hört man in Dortmund auch nicht viel.

Was hat eigentlich Ihr elfjähriger Sohn Elvis-Ernesto gesagt? Der spielt beim SCM in der D-Jugend. Muss er demnächst zu den Füchsen wechseln?
Keine Sorge, der ist ein Grün-Roter durch und durch. Aber so sehr er seinen SCM liebt, so frei ist er auch von irgendwelchem Hass gegenüber anderen Vereinen. Zuletzt hat er sich riesig über ein von Uwe Gensheimer unterschriebenes Trikot der Löwen gefreut. Und mein Sohn ist beim SCM richtig gut aufgehoben. Wie die Trainer Nils Reckenbeil und Wolfram Brose die Ruhe bewahren und den Hühnerhaufen immer wieder bändigen, ist stark. Es wird sehr auf Identifikation mit dem Verein geachtet. Auch die D-Jugend hat ihr Mannschaftsfoto in der Getec-Arena gemacht. Da waren die Kids alle unheimlich stolz.

Kommen wir zum Duell am Dienstagabend: Wie geht denn nun ein künftiger Füchse-Verantwortlicher mit einem Pokalspiel gegen den SCM um?
Indem ich mich auf ein richtig tolles Handballspiel mit viel Brisanz freue. Ein Spiel, in dem die Stimmung immer hochkocht. In der vorletzten Saison gewann der SCM im Pokalviertelfinale in Berlin. Dafür haben die Füchse dann in Magdeburg den EHF-Cup geholt. Zu diesem Duell gibt es also auch unzählig viele Geschichten.

Worauf führen Sie die große Abneigung der SCM-Fans gegenüber den Füchsen zurück? Von Derby will in Magdeburg auch keiner etwas hören.
Ich glaube, dass da viel mit dem Wechsel von Silvio Heinevetter zusammenhängt. Er war damals beim SCM der große aufsteigende Star, die Füchse haben ihn nach Berlin geholt. Jetzt ist er der Buhmann, wenn er nach Magdeburg kommt. Aber so eine Rivalität hat ja auch etwas. Und geografisch gesehen ist es nun einmal ein Derby. Die Füchse werden zwar als Westverein angesehen, aber die Mauer steht nicht mehr.

Was spricht aktuell für den SCM und was für die Füchse?
Die stetige Entwicklung in den letzten Jahren spricht für den SCM. Unter Bennet Wiegert als Trainer wurde das Tempospiel mit einer herausragenden Abwehr und einem bedingungslosen Gegenstoß perfektioniert. Es ist für mich der schönste Handball in der Bundesliga. Für die Füchse sprechen die letzten Spiele. Dadurch schwimmen sie jetzt auf einer kleinen Erfolgswelle.

Ein knappes Viertel der Saison ist gespielt. Wer ist für Sie der Titelfavorit?
Der THW Kiel. Auch wenn man schauen muss, wie der THW den längeren Ausfall von Steffen Weinhold kompensiert. Im Spiel gegen den SCM haben mich aber auch die Rhein-Neckar Löwen sehr überzeugt. Die werden beim Thema Meisterschaft zwar eher an Nummer drei gesehen. Aber der Kader ist schon richtig stark.

Bleibt auch der SCM ein Titelkandidat?
Trotz der drei Niederlagen in Folge gehört der SCM immer noch zum erweiterten Feld. Und die Liga ist in dieser Saison so verrückt und ausgeglichen, dass da keine Mannschaft unter zehn Minuspunkten bleibt. Entscheidend für den weiteren Saisonverlauf wird sein, dass Bennet Wiegert Christoph Steinert und Filip Kuzmanovski in die Qualität bringt, um andere zu entlasten. Denn Spieler wie Marko Bezjak, Zeljko Musa, Piotr Chrapkowski oder Jannick Green dürften nicht länger ausfallen.

Finanziell wird der SCM an einen THW Kiel nie heranreichen. Wie kann man das kompensieren?
Geld ist nicht immer alles. Vieles geht auch über ein gutes Scouting. Das machen Bennet Wiegert, Tomas Svensson und Yves Grafenhorst richtig stark. Von dem neuen Isländer, der im Sommer kommt, habe ich nur Gutes gehört. Auch einen Tobias Thulin muss man erst einmal bekommen. Man muss es einfach schaffen, Spieler zu sehen, die andere nicht sehen und die in deine Philosophie passen. Und Vereine mit größeren finanziellen Möglichkeiten scouten auch viel größer. Ich glaube, für Kiel wäre aus Magdeburg nur Marko Bezjak in Frage gekommen.

Mit Bennet Wiegert haben Sie beim SCM auf Reisen einst das Zimmer geteilt. Wie beurteilen Sie seine Arbeit?
Er hat eine erstaunliche Entwicklung hingelegt und macht den Job herausragend. Und es gibt in Magdeburg keinen, der diese Identifikation mit dem SCM und dazu diese Qualität und Arbeitsauffassung als Trainer mitbringt. Hier und da ist er sicher noch zu emotional am Spielfeldrand. Da muss er aufpassen, weil das auch Strafen mit sich bringt.

Wie kann Deutschland in der Champions League wieder ein Wörtchen mitreden? Schließlich ist die Bundesliga die beste Liga der Welt.
Beste Liga der Welt heißt nicht, dass wir auch ökonomisch die besten sind. Paris beispielswweise verfügt angeblich über ein Budget von 18 Millionen Euro und kann sich die besten Spieler der Welt leisten. Ohne Mäzen kann diese finanzielle Lücke in Deutschland keiner schließen. Wichtig ist aber auch, dass die HBL den Spielplan für ein Achtelfinale und Viertelfinale entsprechend anpasst, damit sich die deutschen Clubs richtig vorbereiten können. Dass wir nicht so weit weg sind, hat Kiel vor einer Woche in Veszprem mit einem überzeugenden Sieg bewiesen.

Sie waren damals Linksaußen. Wer ist auf dieser Position heute für Sie das Maß der Dinge?
Uwe Gensheimer. Was der macht, ist für mich auch in der Zukunft die absolute Messlatte auf dieser Position. Wenn wir damals dachten, dass wir eine spektakuläre Wurfvariante haben, dann hat er das alles noch mal getoppt. Und ich bewundere seine Ruhe, die er dabei ausstrahlt.

Bei wem holen Sie sich eigentlich Tipps und Ratschläge vor richtungsweisenden Entscheidungen?
Früher bei meinem Vater, jetzt bei meiner Frau. Sie ist für mich das Barometer bei einer Entscheidungsfindung und ich kann mit ihr über alles diskutieren. Das hätte ich bezüglich der Füchse auch gerne mit meinem Vater gemacht. Schade, dass er nicht mehr da ist, denn er hätte sich bestimmt über meine Rückkehr nach Berlin gefreut.

Was ist für Sie ein perfektes Handball-Spiel?
Oh, das kann alles sein. Ein spannendes 36:35 genau wie eine Abwehrschlacht zwischen Flensburg und Kiel. Oder wenn sich Wetzlars Trainer Kai Wandschneider wie zuletzt gegen den SCM irgendetwas einfallen lässt, um den Favoriten zu ärgern.

Und was ist ein perfekter Tag zum Glücklichsein?
Da brauche ich nicht viel. Es gibt so viele Situationen, die mich glücklich machen. Das kann zu Hause auf der Couch mit Rumgammeln sein. Oder ein Tag, an dem ich mit meiner Frau Serien schaue. Oder Handball wie letzten Sonntag von 13 bis 21 Uhr und danach noch ein Football-Spiel. Das kann auch Golfen mit Freunden sein und natürlich ein Tag mit meinen Kids. Entscheidend ist doch nur, aus jedem Tag das zu machen, was einen glücklich macht.