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Handball Spiel für die Geschichtsbücher

Ein historisches Derby erlebten die Handball-Fans am 15. Oktober 1999 in der Staßfurter Merkewitzhalle.

Von Tobias Zschäpe 27.01.2021, 23:01

Staßfurt l Begegnungen zwischen Concordia Staßfurt und dem SV Bernburg waren damals mehr als normale Punktspiele in der Regionalliga. Die Hallen waren stets bis auf den letzten Platz gefüllt, gekämpft wurde bis an die Grenzen des Erlaubten und im Vorfeld wurde weniger von Derbys als vielmehr von „Prestigeduellen“ gesprochen. Bis zum Jahr 1999 waren beide Teams in der Regionalliga sechsmal aufeinandergetroffen. Bernburg gewann drei Partien, Staßfurt zwei. Ein Spiel endete Unentschieden. Vor dem Duell im Herbst 1999 stellte man sich beim SV Concordia somit die bange Frage: Wird die sieben für Staßfurt zur Glückszahl? Ein Sieg würde die Bilanz im direkten Duell ausgleichen.

Mit Verspätung pfiffen die Schiedsrichter aus Hannover das Spiel am Freitagabend um 19:35 Uhr an. Bernburg hatte Anwurf, verlor den Ball aber bereits nach 18 Sekunden an Staßfurts besten Spieler an diesem Tag, Torhüter Patrick Schliwa. Hallensprecher Olli Walter pushte Spieler und Zuschauer: „Auf gehts, alle machen mit“. Vor ohrenbetäubender Kulisse – die Pauken der Staßfurt Hauskapelle trieben die Heimmannschaft an, die Bernburger Fans reagierten mit einem lautstarken Pfeifkonzert – liefen die Staßfurter erstmals auf das gegnerische Tor zu und erzielten nach 60 Sekunden das 1:0. Schliwa läutet mit einer weiteren tollen Parade anschließend das 2:0 ein, doch in der Folge entwickelte sich ein Duell auf Augenhöhe.

Erst nach 17 Minuten konnte sich Staßfurt erstmals auf drei Tore absetzen. Trotz einer Zeitstrafe für Volker Wartmann und der daraus resultierenden Unterzahl konnten die Bodestädter anschließend ihre knappe Führung halten. Beim Gang in die Kabinen, den Staßfurt immer noch mit einem Mann weniger antreten musste, stand ein 12:10 für Concordia auf der Anzeigetafel.

Die von Trainer Rainer Koch in der Pressekonferenz nach der Partie als Traumspiel bezeichnete Begegnung fand nach dem Seitenwechsel ihre Fortsetzung. Beide Mannschaften warfen kämpferisch immer mehr in die Waagschale. Nicht immer konnte der gegnerische Angriff fair gestoppt werden. So kam Bernburg durch einen verwandelten Siebenmeter zum Anschlusstreffer. Torschütze war der Ex-Magdeburger Heiner Benecke, der an diesem Abend insgesamt vier Strafwürfe verwandelte. Staßfurt war vor dem gegnerischen Tor ebenfalls weiter erfolgreich und sorgte so dafür, dass der „Handball-Krimi“ weiter spannend blieb. Virginius Jankauskas verwandelte beispielsweise einen Siebenmeter zum zwischenzeitlichen 14:11. Der Tabellendritte aus der Kreisstadt lief dabei stets einem Rückstand hinter – bis zum 15:15, das, wie sollte es anders sein, erneut nach einem Strafwurf fiel.

Im Anschluss wurde die Partie immer hektischer. Concordia hatte mit vielen Zeitstrafen zu kämpfen. Nicht selten kam es zu Streitigkeiten mit dem Schiedsrichtergespann, die jedoch alle verbal gelöst werden konnten. Gleichzeitig kam aber auch das Torewerfen nicht zu kurz. In der 51. Minute warf Henning Stapf, der die ersten 30 Minuten der überragende Spieler auf der Platte war, sein erstes Tor in der zweiten Halbzeit zum 19:17. Nach dem Anschlusstreffer erhöhte Jankauskas fünf Minuten vor dem Ende auf 20:18.

Keine 60 Sekunden später baute Jankauskas die SVC-Führung abermals auf drei Tore aus. Keiner zweifelte mehr an einen Doppelpunktgewinn für Staßfurt. Zwei Minuten vor dem Ende hielt Schlussmann Schliwa die 22:19-Führung mit einer weiteren sehenswerten Parade fest, im Nachwurf landete der Ball allerdings im Tor.

Doch der Treffer wurde schnell zur Nebensache. Auf dem Parkett lagen Staßfurts Jens Lingott und Bernburgs Heiko Triepel. Der Staßfurter erhielt die Rote Karte und erwies seiner Mannschaft in den letzten Sekunden damit einen Bärendienst. Nach etlichen Zeitstrafen mussten die Gastgeber die Schlussphase mit zwei Spielern – Torwart Schliwa und Feldspieler Wartmann – beenden. Ein bis heute einmaliges Szenario im Staßfurter Handball. Beide wuchsen über sich hinaus, Schliwa zeigte 13 Sekunden vor dem Ende seine zwölfte Parade, aber im zweiten Anlauf kamen die Bernburger doch noch zum Ausgleich.

Eine Partie, in der Staßfurt über 55 Minuten unbezwingbar schien, endete somit mehr als unglücklich für die Heimmannschaft. SVC-Trainer Rainer Koch brachte es auf den Punkt: „Wir haben uns provozieren lassen und einen Punkt verschenkt“. Beide Mannschaften teilten sich an diesem Abend die Punkte, Verlierer war aber der Ex-Magdeburger Triepel, der mit einer Provokation für die Rote Karte von Lingott gesorgte hatte. Unglücklich über den Platzverweis kurz vor Schluss stürmten nach dem Abpfiff hunderte Zuschauer die Platte. Die Ordner in der Merkewitzhalle, die bereits in den letzten Spielminuten ihre Mühe hatten, beide Fanlager auseinanderzuhalten, hatten alle Hände voll zu tun, die erhitzten Gemüter zu beruhigen.