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Interview „Der Fußball verliert den Nachwuchs“

Stephan Parpart-Geserick vom Burger BC 08 zu den Schwierigkeiten im Jugendbereich.

Von Maximilian Pefestorff 11.05.2020, 23:01

Burg l Aufgrund der Corona-Pandemie herrscht auch seit mehreren Wochen Stillstand im Fußball-Nachwuchsbereich. Auch die von Stephan Parpart-Geserick trainierten C-Junioren des Burger BC 99 stehen vor einem ungewissen Ausgang der Verbandsliga-Saison. Volksstimme-Mitarbeiter Maximilian Pefestorff hat beim 43-jährigen Übungsleiter nachgefragt.

Volksstimme: Herr Parpart-Geserick, zunächst das Wichtigste: Wie geht es Ihnen?
Stephan Parpart-Geserick: Mir persönlich geht es sehr gut, vielen Dank der Nachfrage.

Der Spielbetrieb ruht seit sieben Wochen. Wie haben Sie die fußballfreie Zeit verbracht?
Ich habe die Zeit genutzt, um mich fit zu halten, bin joggen gegangen und Fahrrad gefahren. Nebenbei bin ich auch endlich dazu gekommen, das Buch ‚Gib alles – nur nie auf‘ zu lesen. Ein sehr interessantes Buch von Norbert Elgert, einem sehr erfolgreichen Trainer mehrerer Weltstars.

Auch der Trainingsbetrieb ruht in Zeiten der Corona-Pandemie. Wie halten Sie Kontakt zu Ihren Schützlingen?
Wir haben uns regelmäßig über die mannschaftsinterne Whatsapp-Gruppe ausgetauscht. Dabei gab es immer wieder die Frage: Wann können wir endlich wieder auf dem Fußballplatz? Die Jungs wollen spielen.

Gab es Trainingsvorgaben für die Spieler während dieser Zeit?
Ja, die Spieler haben Aufgaben erhalten, die sie individuell bearbeiten sollen. Wir haben die Priorität auf Konditions- und Fitnessprogramme für das Eigentraining gelegt.

In der aktuellen Verbandsliga-Saison steht Ihre Mannschaft auf dem ersten Nichtabstiegsplatz. Mit welchen Zielstellungen war das Team in diese Spielzeit gegangen und wurden diese bisher erreicht?
Das klare Ziel war, beziehungsweise ist der Klassenerhalt. Eine Vielzahl der Mannschaft ist vom Klein- auf das Großfeld gewechselt. Daran musste sich der jüngere Jahrgang besonders zum Saisonstart erst gewöhnen. Vorrangig geht es uns als Trainerteam aber um die fußballerische Ausbildung. Daher steht nicht primär das reine Ergebnis im Vordergrund, sondern die altersspezifische Entwicklung. Wir sind beim Burger BC 08 in der glücklichen Lage, gleich drei Trainer mit einer B-Lizenz zu haben, die sich für die Ausbildung der U 14/U 15 verantworten.

Thomas Schulze, Vorsitzender des Jugendausschusses im Fußballverband Sachsen-Anhalt (FSA), hält einen Abbruch der aktuellen Saison für denkbar. Wie stehen Sie zu einem vorzeitigen Abbruch?
Ich schließe mit der Meinung von Thomas Schulze an. Man sollte die aktuelle Saison abbrechen und ab September mit der neuen Saison beginnen.

Lassen Sie uns einen kleinen Blick in die Zukunft werfen. Die Anzahl an Nachwuchs-Mannschaften im Landesverband ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Fehlt es im Nachwuchsbereich an den richtigen Konzepten?
Zu diesem Thema habe ich klare eigene Meinung. Die Kinder kommen sehr gerne zum Training, zeigen sich motiviert, begeistert und träumen von einer Karriere im Profi-Fußball. Das Problem ist, dass die Spieler nicht standhaft sind. Sie hören früher oder später auf, meist eher früher, wenn der Frust überwiegt und der Elan nicht mehr im richtigen Maß vorhanden ist.

Aber noch ist der Fußball doch weit davon entfernt, zum nicht mehr zeitgemäßen Hobby zu werden, oder?
Ich möchte das in einem Satz zusammenfassen: Die Kinder und Jugendlichen lieben den Fußball, doch der Fußball ist dabei, diese zu verlieren. Die aktuellen Zahlen beweisen das. Dabei geht es nicht einmal um den leistungsorientierten Bereich, in dem man unterhalb der U 21 nur noch wenige Spitzentalente findet. Es ist die Arbeit an der Basis, die besonders im ländlichen Raum mit kleineren Städten und Kommunen erschwert wird. Die Konzepte dazu fehlen. Immer mehr Mädchen und Jungs springen ab, die meisten ab der B-Jugend, teilweise sogar rund 20 Prozent. Nicht wenige hören schon davor auf. Im Zeitraum von 2009 bis 2019 musste bei der Anzahl der gemeldeten Mannschaften im DFB ein prozentualer Rückgang von 18 Prozent verzeichnet werden, darauf entfielen neun Prozent auf jugendliche Mitglieder. Im Vergleich zu 2018 wurden 2019 sogar 3450 Jugendmannschaften weniger gemeldet. Das sind klare und alarmierende Werte. Es ist kein Wunder, dass beim Landesverband daher auch Alarmstimmung herrscht.

Aus Ihrer Sicht also ein eindeutiger Systemfehler?
Es liegt nicht an der Sportart selbst. Die Gesellschaft hat sich verändert – Berufsleben, Freizeitverhalten und die Bereitschaft, Sport über einen langen Zeitraum durchzuführen. Kinder und Jugendliche brauchen den Freiraum für ihre Entwicklung und Entfaltungsmöglichkeiten, sie unterliegen immer engeren Vorgaben und mehr äußeren Einflüssen. Die Spieler wirken in vielen Bereichen wie fremdgesteuert. Im heutigen Nachwuchsfußball spielt einer allein gegen elf. In den Städten gibt es zahlreiche Freizeitangebote, dafür fehlen aber richtige Bolzplätze. Auf dem Land bekommt man keine Mannschaften mehr zusammen, da Betreuer oder Trainer fehlen. Zudem mangelt es an Zeit, wenn Kinder den Nachmittag in Gesamtschulen oder im Hort verbringen und erst nach 16 Uhr zu Hause sind. Welches Kind hat da noch Lust auf Training?

Wo ließe sich ansetzen, um das Problem zu bewältigen?
Fußballvereine sollten viel öfter den Weg über Schul-Kooperationen suchen, die es ermöglichen über Freizeitangebote Fußball anzubieten. Wenn Vereine und Schulen zusammenarbeiten und eine gute Betreuung bieten können, wäre das eine Win-Win Situation.