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Lauf MSV Eintracht grenzenlos unterwegs

Der MSV Eintracht Halberstadt war seit der politischen Wende sehr aktiv.

Von Gerald Eggert 12.06.2020, 03:00

Halberstadt l Als sich gegen Ende des Jahres 1989 viele Tore und Schlagbäume öffneten, schauten sich die Halberstädter Sportler bei ihren ersten Besuchen westwärts von Zaun und Mauer nicht nur an, was ihnen bislang live vorenthalten wurde, sondern knüpften sogleich Kontakte zu Gleichgesinnten und informierten sich über Laufveranstaltungen.

Die Partnerstadt Wolfsburg war eines der ersten Ziele. Bei einer ersten Begegnung mit Läufern des VfL Wolfsburg bekamen die Domstädter sofort eine Einladung zum bevorstehenden Silvesterlauf. Und so besuchten einen Tag nach dem Karpfenlauf im Friedensstadion die Halberstädter ihre neuen Freunde im Porschestadion, um dort gemeinsam das turbulente Jahr sportlich und mit einem gemütlichen Beisammensein ausklingen zu lassen. An dem Tag waren dort sehr viel mehr Leute aus dem Osten am Start, als aus dem Westen Deutschlands. Die Halberstädter machten sofort auf sich aufmerksam: Matthias Formella bestieg das Siegerpodest, Irmgard Eggert und Lutz Berndt belegten vierte Plätze.

Knapp fünf Wochen später machte sich einen Gruppe Volkssportler von der VW-Stadt auf den Weg Richtung Halberstadt. Am Grenzübergang Hessen Damm wurden sie herzlich empfangen und liefen fortan als nun 70 Personen starke erste deutsch-deutsche Staffel mit Polizeieskorte dem Ziel entgegen. Nach Begegnungen in den Familien und einem Stadtbummel trafen sich am Abend alle zu einer Party, die bis nach Mitternacht andauerte.

Ab sofort hatten die Motor-Freizeitsportler die Qual der Wahl, denn seit der Grenzöffnung konnten sie auch westwärts an Wettkämpfen teilnehmen. Doch auch „vor der Haustür“ fand etwas statt, was es vorher so nicht gegeben hatte. Als im März 1990 eine Gruppe der Ausdauersportgemeinschaft Teutoburger Wald den Landkreis passierte, wurde sie auf dieser Etappe ihres Staffellaufes von Einheimischen begleitet. Es sollte nicht das erste Geleit bleiben, in den Folgejahren geschah das öfter.

Nachdem mehrere Domstädter den Celler Wasa-Lauf erfolgreich getestet hatten, profitierten drei von ihnen von einer besonderen Einladung der Wolfsburger. Irmgard und Gerald Eggert sowie Bärbel Schmeiß nahmen im Mai an einem Staffellauf nach Pesaro in Italien teil. Über 1420 Kilometer legten die insgesamt 24 Teilnehmer auf dem Weg durch Deutschland, Österreich und Italien in nur fünf Tagen zurück. Für die drei DDR-Bürger ohne gültigen Reisepass war es nicht nur ein unvergessliches sportliches Erlebnis, sie lernten auf der Tour so viel Neues kennen und besuchten beim mehrtägigen Aufenthalt in Wolfsburgs Partnerstadt unter anderem Venedig, Rimini und San Marino und genossen das Baden in der Adria.

Als Anfang September in Ilsenburg nach 30 Jahren Pause der Startschuss zum Brockenlauf der Neuzeit (nun erstmals auch mit Frauen/d. Red.) fiel, war die Teilnahme für viele ein Muss. Der Halberstädter Matthias Formella erreichte nach 25,7 km als Sechster das Ziel. Am Ende des selben Monats ging für viele ein Wunsch in Erfüllung - die Teilnahme am Berlin-Marathon. Unter den 25000, die jubelnd durch das Brandenburger Tor liefen, waren unter anderem Klaus Feistner, Reinhard Beyer, Karl-Heinz Johannes und Rainer Krause sowie Ruth Heise, Bärbel Schmeiß und Irmgard Eggert. Letztere absolvierte vier Wochen später noch den Frankfurt-Marathon.

Von nun an waren Halberstädter bei allen namhaften Marathons in Deutschland vertreten, so in München, Leipzig, Hamburg, Bremen und Hannover. Und bei Bergläufen in den Tiroler Alpen schnitt Ruth Heise zweimal hintereinander erfolgreich ab. Aber auch die bislang vertrauten Wettkämpfe in der Region, die Bezirksranglistenläufe und der 1991 hinzugekommene Landescup blieben auf dem Plan.

Die Saison 1991 begann mit dem Trimm-Trab-Lauf, eine gemeinsame Aktion mit der AOK. Aus der BSG Motor wurde der eingetragene Verein MSV Eintracht. Von nun an gab es keine Förderung mehr vom bisherigen Träger, dem einstigen VEB Maschinenbau. Ab sofort waren Sponsoren gefragt. Die Wernigeröder Firma Wieker sprang ein und sorgte unter anderem dafür, dass die 13 Rennsteigläufer, darunter Gitta Lindemann und Axel Fritsch bei ihren Premierenstarts, nach Thüringen gefahren wurden.

Beim nächsten Staffellauf ab Wolfsburg gehörten Bärbel und Werner Schmeiß sowie Irmgard und Gerald Eggert zum Team, dass zur Partnerstadt Luton/England unterwegs war. 22 Männer und die beiden Halberstädterinnen liefen über 1000 km durch Deutschland, Holland, Belgien, um dann in Frankreich von Calais nach Dover überzusetzen. Dort wurden sie von der Laufgruppe „Stopsley Striders“ bis zum Ziel begleitet und während der nächsten Tage bei Besuchen unter anderem auch in London betreut.

Schon mehrfach am Rennsteig gestartet, lief Irmgard Eggert 1992 nach 65 Kilometern in Schmiedefeld als „Miss Rennsteiglauf“ ein. Dazu hatte man sie am Abend zuvor in Eisenach gekürt.

Über 3168 km ging es 1993 von Wolfsburg nach Togliatti im Ural. Zehn Tage waren Bärbel und Werner Schmeiß im Laufschritt in Deutschland, Polen und in der Ukraine unterwegs, bis sie in der russischen Autostadt anlangten. Beim Gegenbesuch begleiteten Bärbel Schmeiß und Irmgard Eggert, die an dem Tag schon 17 km beim Harzgeröder Klippenlauf gelaufen waren, die Russen 35 km von Mariental bis ins Ziel.

Im September 1993 hatte der Lauf über den Gläsernen Mönch Premiere. Er galt als Nachfolger des Huywaldlaufs und bot Strecken über 1,5 und 11,2 km an. Damit hatte Dieter Müller eine Tradition eingeleitet, die erst nach 25 Jahren enden sollte.

Laufen in Übersee sollte nun auch probiert werden. Im November 1993 lief Irmgard Eggert als erste Halberstädterin den New York City Marathon. Im Dezember startete Klaus Feistner an seinem Geburtstag beim 21. Honolulu-Marathon auf Hawaii. Er zählte zu den 365 Deutschen unter den 27000 Teilnehmern und freute sich nicht nur über seine Zeit von 4:27:34 Stunden, sondern auch über den 5359. Platz von 23007 Finishern. Es hatte ihm so viel Spaß gemacht, dass er es zwei Jahre später noch einmal versuchte. Diesmal war Hans-Günther Behrens mit von der Partie, der 4:35 Stunden benötigte. Klaus Feistner lief 36 Minuten nach ihm ein. Von den 33000 Startern erreichten nicht einmal 26000 das Ziel.

Bei der Sportlerehrung des Landkreises 1995 wurden Irmgard Eggert und Karl-Heinz Hartmann als Beste Sportler ausgezeichnet. Im September hatten Uschi und Hans-Günter Behrens sowie Klaus Feistner kostümiert beim „längsten Marathon der Welt“ (Rotwein-Marathon in Médoc/Frankreich) ihren Spaß.

Zum Karpfenlauf wurde Dieter Müller, der die Laufgruppe gründete und leitete, mit Blumen und einem riesigen Pokal herzlich verabschiedet. Er und seine Frau Renate wurden zu Ehrenmitgliedern der Laufgruppe ernannt. Die Leitung der Laufgruppe übernahm Irmgard Eggert.