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Schwimmen Wellbrock und das zweite goldene Buch

Florian Wellbrock vom SCM hat seine Medaillensammlung bei der WM um ein zweites Gold erweitert. Und sich dafür Mamas Tränen verdient.

Von Daniel Hübner 29.07.2019, 10:37

Gwangju/Magdeburg l Die mit Abstand schönsten Tränen weinte Anja. Sie stand auf der Tribüne des Nambu Municipal Aquatics Center neben ihrem Mann Bernd, lauschte der deutschen Nationalhymne. Schaute aufs oberste Podest bei der Siegerehrung. Schloss womöglich ihren Florian noch tiefer ins Herz, wo er ohnehin schon einen der größten Räume einnimmt.

Anja Wellbrock weinte vor Stolz und vor Glück über den Weltmeistertitel ihres Sohnes. Den zweiten, den der 21-Jährige vom SCM in Gwangju (Südkora) gewonnen und der ihm erneut eine Prämie von circa 18 800 Euro gesichert hat. Und ihm gelang ein Novum: Zum ersten Mal gewann ein Schwimmer bei einer WM sowohl im Freiwasser als auch im Becken Gold.

Der Junge weinte diesmal nicht, nicht wie bei seinem Sieg zwölf Tage zuvor über die zehn Kilometer, als er sich zugleich das Ticket für die Olympischen Spiele 2020 gesichert hatte. Florian Wellbrock wollte den abermaligen Erfolg, diesmal über 1500 Meter Freistil, zunächst sacken lassen. Verarbeiten. Wie er das Vorlauf-Aus über 800 Meter verarbeiten musste. „Ich hatte nach dem Rennen das Buch zugemacht. Und am nächsten Tag ein neues wieder aufgeschlagen“, erklärte Wellbrock dazu. Und sich neu fokussiert.

In der letzten Einheit vor dem Vorlauf über die längste Beckendistanz am Sonnabend, den er als Zweitschnellster beendet hatte, hatte sein Trainer Bernd Berkhahn ihn „1500 Meter durchschwimmen lassen im Wettkampfbecken“, berichtete der 48-Jährige. „Er kam dann raus und sagte: Das ist bis jetzt das beste Gefühl, das er hier hatte. Und dann sagte er: ,Es kann losgehen.‘“

Und es ging los gestern im Finale mit dem erwarteten Dreikampf zwischen Wellbrock, Michailo Romantschuk (Ukraine) und Gregorio Paltrinieri (Italien). Kopf an Kopf schwammen sie 1400 Meter lang durchs Becken. Ein Gedanke ließ Wellbrock dabei nicht los: „Ich wusste, dass ich einer der Schnellsten auf den letzten 100 Metern bin.“

Nach einer starken Wende, an der Wellbrock und Berk- hahn in den letzten Monaten besonders gearbeitet hatten, verschaffte sich der Magdeburger auf der vorletzten Bahn einen Vorsprung, den er im Endspurt ausbaute. Wellbrock schlug nach 14:36,54 Minuten an – 1,09 Sekunden vor Romantschuk, 2,21 Sekunden vor Paltrinieri. Seinen deutschen Rekord verpasste er nur um 0,39 Sekunden.

Dann stieg Wellbrock auf die Leine im Becken. Jubelte Mama Anja und Papa Bernd und der Mannschaft des Deutschen Schwimmverbandes zu. Genoss die Stimmung. „Das war ein unbeschreibliches Gefühl“, teilte er mit.

Dieses Gefühl kann er bald im Urlaub genießen mit seiner Freundin Sarah Köhler. Sie hat auch einiges zu verarbeiten. Zum Beispiel diese Tatsache: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich ein Jahr nach meinem Trainerwechsel so schnell schwimmen kann.“

Im Sommer 2018 war die 25-Jährige aus Heidelberg in die SCM-Trainingsgruppe gewechselt. Von Trainer Michael Spikermann, der sie zur Weltklasse-Athletin geformt hat, zu Bernd Berkhahn, der sie in Richtung Weltspitze getrieben hat. Köhler gewann in Gwangju Gold in der Freiwasser-Staffel und Silber über 1500 Meter mit deutschem Rekord (15:54,08).

Und Köhler kraulte am Sonnabend über 800 Meter auf Rang vier beim Sieg von Katie Leckecky (USA/8:13,58) – und knackte die 32 Jahre alte Bestmarke der Magdeburgerin Anke Möhring. Mit 8:16,43 Minuten ist sie nun die schnellste Deutsche auf dieser Strecke. Das „Blech“ war allenfalls ein Wermutstropfen: „Ich bin megafroh über die Zeit“, so Köhler.

Es folgen nun die deutschen Meisterschaften am kommenden Wochenende in Berlin. Außerdem trainieren die SCM-Schwimmer drei Wochen weiter, weil Berkhahn niemanden ohne entsprechende Grundlagen in die freien Tage schicken möchte.

Sarah Köhler und Florian Wellbrock haben dafür Ägypten gebucht. Irgendwo am Meer. Hauptsache Ruhe. Die Ruhe vor dem Olympia-Sturm. Und es ist durchaus möglich, dass Anja Wellbrock in Tokio wieder die schönsten Tränen weint.