Handball / SCM SCM setzt auf Lust statt Druck
Am Sonnabend (18 Uhr, DAZN) kämpft der SCM beim Final Four der European Handball League in Mannheim gegen Plock um den Einzug ins Finale. Im Interview mit Volksstimme-Redakteur René Miller verrät SCM-Trainer Bennet Wiegert, worauf es ankommt und wie er die Gegner einschätzt.

Volksstimme: Für Sie ist es als Trainer schon das sechste Final Four, das dritte davon im Europacup. Was sind Ihre wichtigsten Erfahrungen?
Bennet Wiegert: Dass der totale Druck nichts bringt. Wenn die Mannschaft eher Angst vorm Verlieren statt Freude am Gewinnen hat, hemmt das ungemein. Deshalb werde ich alles tun, da entgegenzusteuern. Die Jungs sollen Spaß und Freude an diesem Turnier haben. Denn da muss man erst einmal hinkommen. Das ist im Handball etwas ganz Besonderes.
In drei der Final Fours kam das Aus im Halbfinale, außerdem wurde 2019 das Pokalfinale gegen Kiel verloren. Welche dieser Niederlagen schmerzt am meisten?
Gegen Kiel waren wir 20 Minuten die bessere Mannschaft und wurden durch eine Verletzung komplett zurückgeworfen. Das war sehr ärgerlich. Woran ich teilweise heute noch richtig dran zu knabbern habe, weil da eine Welt zusammengebrochen ist, war die Halbfinal-Niederlage 2018 in eigener Halle gegen St. Raphael. Wir waren damals in phänomenaler Form und hatten große Chancen, erfolgreich zu sein. Aber leider haben wir unsere Leistung nicht abrufen können.
Im Gegensatz dazu hatte den SCM 2016 beim Pokalsieg keiner vorher ganz oben auf dem Zettel …
In der Bundesliga lief es eher durchschnittlich. Aber genau das zeigt, dass man mit einem perfekten Wochenende ein Final Four gewinnen kann. Unterm Strich zählt dort ja auch nur der Titel. Aber eigentlich ist im Sport nicht die Kurzfristigkeit das Ziel, sondern die Konstanz. Und dass der SCM seit 2015 jetzt schon das siebte Finalturnier spielt, ist auch eine Qualität.
Vor einem Monat wäre der SCM wohl als Favorit ins Turnier gegangen. Nach den Niederlagen gegen Balingen und Leipzig begleitet Sie und Ihre Spieler auch ein bisschen Frust aus dem Liga-Alltag.
Wir wären sehr gerne mit einem besseren Gefühl nach Mannheim gefahren. Aber es ist ein anderer Wettbewerb. Da wollen wir wieder unser Europagesicht zeigen. Und das war bis auf die Partie in Alingsas einwandfrei. Deshalb werde ich auf die Niederlage gegen Leipzig in der Vorbereitung nicht groß eingehen. Natürlich gibt es jetzt ein paar Fragezeichen. Wenn die Ergebnisse nicht gestimmt haben, dann muss man schon bestimmte Sachen hinterfragen. Aber die Jungs sollen nicht Balingen oder Leipzig im Kopf haben. Und so sehr uns diese Niederlagen ärgern, muss man das auch ein bisschen relativieren. Die Probleme, die wir haben, hätten andere Teams gern.
Heißt das, dass Sie unter dem Strich mit dem bisherigen Saisonverlauf zufrieden sind?
Wir stehen in der Bundesliga auf Rang vier und haben die Chance auf Rang drei. Außerdem stehen wir im Halbfinale eines europäischen Wettbewerbs. Und das in einer Saison, in der keiner wusste, was passiert. Es sollte auch keiner vergessen, dass wir zu den Teams gehören, die unter einer leeren Halle besonders zu leiden haben. Denn unsere Zuschauer können dafür sorgen, dass wir auch mal über unsere Grenzen hinausgehen. Das ist schon ein echter Nachteil.
Würden Sie zustimmen, dass die Füchse derzeit die beste Form der drei deutschen Clubs haben?
Ja, das sehe ich ähnlich. Die Berliner haben trotz der Niederlage ordentlich gegen Kiel gespielt, in Hannover mit Moral noch einen Punkt geholt und zuletzt deutlich gegen Göppingen gewonnen. Trotzdem glaube ich nicht, dass solche Statistiken entscheidend dafür sind, wer beim Final Four triumphiert. Denn an diesem Wochenende kann so viel passieren.
Gegen Plock sind Sie aber im Halbfinale klarer Favorit und das Endspiel ist ein Muss …
Das mag so auf dem Papier stehen, weil wir der Bundesligist sind. Aber wer Plock unterschätzt, macht einen großen Fehler. Und ich weiß, dass die Mannschaft so nicht tickt. Warum auch? Plock ist besser besetzt als Balingen, gegen die wir verloren haben. Mit welchem Selbstverständnis sollten wir also in das Spiel gegen Plock gehen und den Gegner unterschätzen? Nein, ich rechne mit vier total engen Spielen und weiß, dass mit Matchglück, Tagesform und Schiri-Glück alles passieren kann.
Haben Sie eine Erklärung für die Ergebnis-Krise der vergangenen Wochen?
Uns fällt es momentan schwer, bestimmte Dinge auszublenden und Sachen wegzudrängen. Wir sind in den vergangenen Wochen auch so ein bisschen der Kraft hinterhergelaufen. Da fällt es schwer, vom Kopf her immer bereit zu sein. Deshalb hat das alles sehr viel mit dem mentalen Bereich zu tun. Denn Handball spielen haben wir definitiv nicht verlernt. Deshalb glaube ich fest daran, am Wochenende auch gute Leistungen zu bringen, ohne vorher gut gespielt zu haben.
Wie gehen Sie eigentlich mit Kritik von den Fans um?
Die kann ich nach Niederlagen wie gegen Leipzig und Balingen verstehen. Allein über Social Media bekomme ich das schon alles mit. Doch während der eine oder andere da mal schnell kräftig Luft ablässt, habe ich mitunter drei schlechte Nächte, sitze mit meiner Familie beim Abendbrot – aber meine Gedanken sind immer noch bei unserem Spiel. Aber das gehört in meiner Funktion nun einmal dazu. Und dass unsere Fans in der Unterstützung, aber auch in der Kritik extrem sein können, finde ich charmanter als bei einem Club, bei dem es emotional weniger hoch hergeht. Mich pusht Kritik auch, um es besser zu machen. Wünschen würde ich mir dabei nur, dass keiner vergisst, dass die Pandemie auch unsere ganze Arbeit beeinträchtigt. Ob Video-Auswertung, Besprechungen, Training und das ganze Drumherum – das hat alles nichts mit dem zu tun, was wir kannten und zuvor gemacht haben.
An welche Spiele dieser Saison müsste der SCM anknüpfen, um beim Final Four erfolgreich zu sein?
Beim Sieg in Montpellier hat mich die Mannschaft beeindruckt. Auch Hannover zu Hause war gut. Und gerade dieses Spiel sollte ein Maßstab sein. Denn Plock spielt einen ähnlichen Stil. Deren Trainer Xavi Sabate war lange Jahre Co-Trainer von Hannovers Coach Carlos Ortega. Da sieht man schon den einen oder anderen ähnlichen Grundgedanken. Deshalb weiß ich auch, dass es verdammt schwer wird, wenn wir so spielen wie in Hannover.
Gehen wir mal von einem Einzug ins Finale aus – wer wäre Ihnen denn da am liebsten?
Wir fahren zum Final Four mit dem grundsätzlichen Ziel, das Finale zu erreichen. Wenn wir es schaffen, dann ist mir der Gegner völlig egal. Das Momentum liegt im anderen Halbfinale eher bei den Füchsen, weil die Löwen derzeit von außen betrachtet mehr Probleme haben. Die Füchse können auch über ihren kompletten Kader verfügen. Das kann an zwei Tagen sehr wichtig sein. Bei uns darf dagegen nicht viel passieren. Die beiden Langzeitverletzten Matthias Musche und Gisli Kristjansson fehlen uns nicht nur als gute Handballer, sondern auch als wichtige emotionale Typen.