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Boxen Henry Maske über Wende und Einheit

Der Boxer Henry Maske war einer der ersten Sportler aus der ehemaligen DDR, der auch die Fan-Herzen im Westen erobern konnte.

Von René Miller 03.10.2020, 02:47

Ohne die deutsche Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 wäre Henry Maske heute wahrscheinlich einer von vielen Boxtrainern im Armeesportclub der DDR, hätte irgendwo in Frankfurt an der Oder ein kleines Häuschen oder eine schicke Wohnung im Plattenbau, würde Lada oder Wartburg fahren. So aber ist aus dem Olympiasieger von 1988 ein Star geworden, der als Sportler wie kein anderer für die Wiedervereinigung steht. Ob Ost oder West – Maske war überall beliebt und gilt heute noch als gesamtdeutsches Idol. Als „Sir Henry“ hat er in den 1990er Jahren das Boxen durch sein Auftreten im und außerhalb des Rings salonfähig gemacht. In seinen erfolgreichsten Jahren hatte der gebürtige Treuenbrietzener in Deutschland einen Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung von 97 Prozent.

Der inzwischen 56-Jährige kann sich im Gespräch mit der Volksstimme auch noch richtig gut an die heiße Wendezeit vor 30 Jahren erinnern. „Am 3. Oktober wurde eigentlich nur das amtlich gemacht, was selbstverständlich war. Und wenn heute jemand darüber philosophiert, welche Fehler gemacht wurden, was man hätte besser oder gar nicht machen sollen, der hat die Realität von damals aus den Augen gelassen. Man war doch getrieben von der Zeit und der Situation. Denn niemand hätte akzeptiert, dass wir nicht das daraus machen, was wir daraus gemacht haben. Deshalb ist es nicht okay, im Nachgang irgendwelche Urteile zu fällen und Leute für schuldig zu sprechen. Da macht man es sich zu einfach. Das ist auch respektlos“, blickt Maske zurück.

Als die Mauer fiel, saß er mit seinem damaligen Trainer Manfred Wolke irgendwo in Potsdam in einer Mensa und erzählte in einem Forum von seinem letzten Wettkampf. Kurz zuvor war er in Moskau Weltmeister bei den Amateuren geworden. Maske: „Doch in einer Pause wurde es immer unruhiger im Saal und in der Küche nebenan wurde Fernsehen geschaut. Was da gerade in Berlin passiert, sprach sich natürlich schnell rum, so dass es keine zweite Hälfte unserer Veranstaltung gab.“ Einige Tage später saß er mit seiner Frau im Zug von Frankfurt/Oder nach Berlin.

Maske: „An der Friedrichstraße sind wir dann rüber in den Westen und haben uns die 100 D-Mark Begrüßungsgeld am Ku‘damm abgeholt.“ Was er damit zuerst bezahlt hat, kann Maske fast selbst nicht glauben und lacht. „Wir sind damit zu McDonald‘s und waren fasziniert, wie reibungslos dort alles abgelaufen ist. Das ging alles wie am Schnürchen. Aber dass ich später mal 20 Jahre lang Franchisenehmer bei McDonald‘s werde, hätte ich zu diesem Zeitpunkt nicht mal für möglich gehalten.“

Daheim in Frankfurt/Oder änderte sich wie überall im Osten viel. Und irgendwann stellte sich für den Boxer die Frage, nach 163 Siegen in 181 Kämpfen als Amateur in den Profibereich zu wechseln. Im Frühjahr 1990 unterschrieb er einen Vertrag bei Sauerland. Und stieg am 9. Mai erstmals als Profi in den Ring. Der Kampf war kurz. Maske schlug den US-Amerikaner Antonio Arvizu in der Londoner Wembley Arena gleich in Runde 1 K.o. Der Beginn einer großen Karriere. Aber Maske blieb bescheiden.

„Unsere Trainingshalle in Frankfurt damals war eigentlich total lächerlich. Eine kleine Hütte. Der Ring glich eher einer Hutschachtel. Dazu gab es noch zwei Sandsäcke, eine Videoecke und ein paar Geräte für das Krafttraining. Unsere Sparringpartner waren wahrscheinlich erschrocken, wenn sie zu uns kamen. Wenn man sich bewegt hat, bröckelte sogar der Putz von den Wänden. Aber das hat einen auch ehrfürchtig gemacht. So musste es sein, wenn man in der Bronx lebt. Das hatte so ein bisschen was von einer Rocky-Nummer. Und wenn man was erreichen will, muss es auch wehtun und schmerzen“, blickt Maske zurück.

Im März 1993 holte er sich durch einen einstimmigen Punktsieg gegen den US-Amerikaner Charles Williams dann die IBF-Krone im Halbschwergewicht. Als er die 1995 gegen Graciano Rocchigiani verteidigte, schauten bis zu 17,6 Millionen an den TV-Geräten zu. In Maskes Erinnerungen ist aber auch noch etwas anderes sehr präsent. Maske: „Das erste Duell war einer von meinen wenigen ganz besonderen Kämpfen. Und für mich waren danach zwei Dinge ganz wichtig. Erstens, dass ich auch über die Schmerzgrenze hinaus kämpfen kann. Denn ich war in den letzten Runden total platt. Und zweitens habe ich mich über die rund 12 000 Zuschauer in der Dortmunder Westfalenhalle gefreut. Einige hatten diesen Kampf ja auch zum Duell Ost gegen West gemacht. Doch in der Halle haben ganz viele für mich geklatscht und mich angefeuert. Aber das konnten ja nicht alles Leute aus dem Osten sein. Wir waren ja mittendrin im Westen. Da habe ich gedacht, was ist denn hier los? Und mir gesagt, das kann nur eines sein – du bist angekommen.“

Neben Maske schafften das im Sport unter anderem auch Heike Drechsler (Weitsprung), Kati Witt (Eiskunstlauf), Jens Weißflog (Skispringen), Olaf Ludwig (Radsport), Birgit Fischer (Kanu) oder Fußballer wie Matthias Sammer, Ulf Kirsten oder Andreas Thom. Maske steht aber ganz oben. 1993 wurde er als erster früherer DDR-Athlet zum Sportler des Jahres im wiedervereinigten Deutschland geehrt. Und nach dem Vaterländischen Verdienstorden der DDR für seinen Olympiasieg 1988 kam im Jahr 2001 das Bundesverdienstkreuz hinzu.

2012 wurde er auch in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen. Maske war es auch vergönnt, den großen Max Schmeling persönlich kennenzulernen, und er durfte in der 2010 erschienenen Film-Biografie über die deutsche Box-Legende die Hauptrolle spielen.

Wenn Maske über die Wende spricht, ist ihm natürlich bewusst, dass das für ehemalige DDR-Bürger nicht nur eine Erfolgsgeschichte war. „Ich bin sehr dankbar dafür, was ich erleben und wen ich alles kennenlernen durfte. Aber ich weiß natürlich auch, dass nicht jeder die Möglichkeit hatte, ein Gewinner der Wende zu werden. Das muss man deshalb alles sehr differenziert betrachten“, sagt Maske nicht nur, sondern engagiert sich seit 21 Jahren mit seiner Stiftung „A Place for Kids“ für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche. Unter anderem sorgt er seit zehn Jahren dafür, dass Kids aus sozial schwachen Familien in der Nähe von Brandenburg, am idyllischen Beetzsee, im Sommer und Herbst unbeschwerte Ferientage verbringen können. Maske: „Für mich ist es sehr wichtig, etwas zurückgeben zu können, was mir vergönnt war.“

Wenn man über die Wende spricht, dann kommt man unweigerlich auf die großen Demonstrationen zu sprechen. Maske: „Wie friedlich da alles abgelaufen ist, darauf sollten wir alle stolz sein. Das kommt mir bei der Würdigung der Einheit immer viel zu kurz.“ Und obwohl er eine angesagte Persönlichkeit war, musste sich auch Maske den einen oder anderen Ossi-Witz anhören. „Da habe ich auch mitgelacht. Denn sind wir doch mal ganz ehrlich – die stimmen doch teilweise auch. Und für jeden Witz wird man ohnehin immer einen Probanden finden, auf den der Witz perfekt zutrifft“, sagt Maske schmunzelnd.

Die DDR zu verlassen und im Westen zu bleiben, kam ihm damals nicht in den Kopf. Maske: „Das war bis zum Zeitpunkt der Wende für mich nie ein Thema. Was später mal gewesen wäre, das weiß ich natürlich nicht.“ Maske ging es schließlich auch zu DDR-Zeiten richtig gut. „Weil ich im Armeesportclub war, habe ich bestimmt rund 500 Mark mehr verdient als die Boxer aus den anderen Clubs in der DDR. Ich bekam im Monat so rund 1500 Mark. Und von Vorteil war auch, dass ich damit als junger Mann schon meinen Armeedienst geleistet hatte“, verrät Maske, der Ende 2019 seine McDonald‘s-Filialen verkauft hat und seitdem Privatier ist. Nach dem Motto: Das Leben genießen und an seinem Glück auch andere teilhaben lassen.