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Boxen Schwarz muss cool bleiben

Für Boxfans ist in der Nacht zum Sonntag wenig Schlaf angesagt. Gegen 4.30 Uhr kämpft SES-Schwergewichtler Tom Schwarz gegen Tyson Fury.

Von René Miller 15.06.2019, 01:01

Las Vegas/Magdeburg l Tyson Fury war gestern auch beim Wiegen erstaunlich nett. Der 119 Kilo schwere Engländer hat kaum Sprüche ausgeteilt gegen Tom Schwarz, der 111,1 Kilo auf die Waage brachte. Und Insider, die den 30-Jährigen gut kennen, deuten dies so, dass er den Schwergewichtler aus dem Magdeburger SES-Boxstall nicht für besonders gefährlich hält.

Dass der 2,07 Meter große Fury boxerisch überlegen ist und auch die größere Erfahrung hat, ist klar. Da geben sich Schwarz und sein Team keinen Illusionen hin. „Nach Punkten werde ich kaum gewinnen können“, sagt Schwarz. „Deshalb muss ich ihn schon K.o. schlagen.“ Doch ist das wirklich denkbar? „Tom hat dafür die nötige Power in den Fäusten“, sagt Dirk Dzemski, der jahrelang Schwarz‘ Trainer bei SES war. Er ist überzeugt: „Tom hat vor allem eines: diesen gewissen Killerinstinkt. Sobald er merkt, dass sein Gegner wackelt, geht er gnadenlos hinterher. Und er ist total ehrgeizig, will immer gewinnen. Selbst wenn wir im Training mal Basketball gespielt haben, war Tom nicht zu bremsen. Der kann einfach nicht verlieren.“

Heute Nacht wird Dzemski auch die Daumen drücken. „Wir feiern im Boxclub in Görzig in meinen Geburtstag rein und schauen uns im Fernsehen natürlich den Kampf an“, verrät der SES-Trainer, der am Sonntag 47 Jahre alt wird. „Ich würde mich sehr freuen, wenn mir Tom ein Geburtstagsgeschenk macht. Dafür muss er aber geduldig boxen, darf nichts erzwingen. Denn er hat ja überhaupt nichts zu verlieren. Deshalb muss er in diesem Kampf auch nicht den Helden spielen.“

In der Vorbereitung hat sich Schwarz fast täglich die Videos von früheren Fury-Kämpfen angeschaut. Schwarz: „Seine Duelle gegen Wladimir Klitschko, Deontay Wilder oder Francesco Pianeta habe ich aufmerksam studiert. Entscheidend ist, beweglich und schnell zu sein.“

Um im Ring entsprechend reagieren zu können, holte er sich im Trainingslager im Bayerischen Wald extra einen 2,07 Meter großen Sparringsgegner. Im Capetillo & TM Boxing Gym von Las Vegas übte der Magdeburger zuletzt mit dem 2,02  Meter großen Polen Mariusz Wach.

Schwarz hat großen Respekt vor seinem Gegner. „Wie sich Fury bewegt, ist einmalig. Man weiß nie, woher der Schlag kommt.“ Sein Trainer René Friese ergänzt: „Fury ist ein abgezockter Boxer, hat viele Tricks parat. Da muss Tom in jeder Sekunde aufpassen.“

Mit welcher Taktik Tom Schwarz nun heute in den Ring steigt, verrät er natürlich nicht. Er kündigte zwar an „Krieg zu machen und volles Risiko zu gehen“ – aber zu Beginn des Kampfes wird er wohl erst einmal auch die Aufregung in den Griff bekommen müssen. Kult-Boxer Axel Schulz: „Wenn du vor 15  000 Fans einläufst, dann ist das schon was anderes als bei seinen bisherigen Kämpfen in Deutschland.“

Showman Fury wird mit seinen Späßchen und Sprüchen den Druck noch erhöhen. So hat er vor vier Jahren auch Klitschko zermürbt. Darüber ärgert sich dessen Manager Bernd Bönte heute noch und warnt: „Auf diese ganzen Psychospielchen darf sich Tom nicht einlassen. Da Fury trotz seiner Größe sehr beweglich ist und einen Vorteil bei der Reichweite hat, muss Schwarz sein Herz in beide Hände nehmen, marschieren und direkt am Mann dann explodieren.“

So sieht es auch Schulz: „Tom muss Fury in den Rückwärtsgang zwingen. Sonst bekommt er von ihm immer die langen Hände und hätte nach Punkten keine Chance.“

Auch Ulli Wegner, der unter anderem Sven Ottke und Arthur Abraham zu Weltmeistern machte, freut sich. „Dass dieser Kampf überhaupt zustande kam, ist erst einmal eine große Tat. Und Tom kann nur gewinnen. Er muss sich aber richtig durchbeißen und darf sich durch die Mätzchen von Fury nicht aus dem Rhythmus bringen lassen. Er ist zwar klarer Außenseiter, aber ich traue ihm zu, dass er es schafft, über die Runden zu kommen.“

Und dass im Schwergewicht auch ein „Lucky Punch“, ein glücklicher Schlag zum Sieg, immer möglich ist, hat Andy Ruiz jr. vor zwei Wochen eindrucksvoll gegen Anthony Joshua gezeigt. Trotz ordentlich Bauchspeck hat der Amerikaner den muskulösen Engländer in der siebten Runde ausgeknockt. Wegner: „Wie dieser Kampf ausging, sollte ein Ansporn für Tom sein.“

Und Fury? Der dürfte mit Schwarz erst einmal „spielen“ wollen, wird dabei seine typischen Kaspereien im Ring abziehen. Mit unorthodoxen Finten provozieren, die Hände mal hinter dem Rücken verstecken, wie ein Wackelpudding zucken und auch mal die Zunge rausstrecken. „Innerhalb von fünf Sekunden werde ich genau wissen, was ich mit ihm anfangen soll“, erzählte der Engländer.