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Schwimmen Die Qual der Wahl für Hentke vom SCM

Franziska Hentke vom SC Magdeburg hat für Höhentrainingslager zwei Orte zur Auswahl.

Von Daniel Hübner 06.07.2019, 01:01

Magdeburg l Womöglich haben die Franzosen ihrem neuen Trainingslager damals den Beinamen „Goldschmiede“ gegeben. Immerhin stand die Olympiamannschaft bei den Sommerspielen 1968 in Mexiko siebenmal auf dem obersten Podest, sie gewann außerdem drei Silber- und fünf Bronzemedaillen. Das war allerhand. Und die Vorbereitung auf das erfolgreiche Abschneiden absolvierte das Team in Font Romeu, dem damals neuen Trainingszentrum mit dem schönen (und langen) Namen Le Centre National d‘Entraînement en Altitude.

Athleten aus 17 Sportarten können hier in 1850 Metern Höhe Kraft und Ausdauer tanken. Auch heute noch. Und Franziska Hentke urteilt: „Die Zeit ist dort stehengeblieben.“ Der Kasten namens Bett zum Beispiel, überhaupt das ganze Zimmer, der Kraftraum: „Das alles hat sich in den letzten 50 Jahren nicht verändert“, erklärt die Schwimmerin vom SC Magdeburg.

Hentke war zur Vorbereitung auf ihre letzte Schwimm-Weltmeisterschaft in Gwangju (Südkorea/12. bis 28. Juli) im Juni dort oben in den Pyrenäen, gleich nach dem ersten Höhentrainingslager in der Sierra Nevada. Es war ihr drittes Mal in Font Romeu. Das ist allenfalls als kurzes Intermezzo zu werten, wenn man ihre Besucherbilanz im Centro Alto Rendimiento (C.A.R.) in der spanischen Sierra Nevada dagegensetzt: „Da war ich jetzt 23-mal“, sagt Hentke. Kein Wunder, dass sie das Domizil als ihr „zweites Wohnzimmer“ bezeichnet. Ein Wohnzimmer in 2320 Metern Höhe.

Und wo ist es nun schöner? „In Font Romeu, weil es landschaftlich vielseitiger, einfach grüner ist und es dort mehr Touristen gibt.“ In Frankreich ist mehr los.

Allein der Weg ins Dorf macht den Unterschied zwischen Trainieren in der Einsamkeit und am Rande des Lebens. In 15 Minuten gelangt man zu Fuß in die kleine Gemeinde nahe dem Athletenzentrum in Font Romeu. „Dort herrscht mehr Dorfleben“, sagt Hentke. Aber ein ebenso schlechtes W-LAN wie in Spanien.

In der Sierra Nevada herrscht dagegen vor allem Stille, selbst in dem kleinen Dorf unterhalb des Hanges, auf dem das C.A.R. in drei Phasen zwischen 1992 und 2004 entstanden ist. 500  Stufen muss Hentke hinabstiefeln, um einen anderen Menschen als die eigenen Mitstreiter und einen anderen Blick als auf die 20 Sportanlagen auf 22 000 Quadratmetern zu gewinnen.

Aber dort ist dann alles quasi neu. Alles moderner. Dort wurde in jedem Zimmer ein Fernseher installiert – im Gegensatz zu Font Romeu. Dort gibt es den schönsten Blick auf den romantischen Sonnenuntergang. Aber dort gibt es eben nicht einen Baum. Nicht wie in Frankreich, wo die Luft in den Bergen nicht so dünn ist wie im kahlen Massiv Spaniens.

Allerdings: Wenn das einzige Kriterium für die Wahl zwischen den Orten das kulinarische Angebot wäre, dann würde Hentke nur an Font Romeu denken. Ganz sicher. „Das Essen ist in Frankreich deutlich besser“, sagt die 30-Jährige. „Es ist hochwertiger und abwechslungsreicher. Da gibt es jeden Tag was anderes.“

Wenn sie nach Spanien reist, kann sie sich schon Tage zuvor die Menükarte ausmalen. Nudeln am Mittag und Reis mit Tomatensauce am Abend.

Beide Orte haben etwas für sich und etwas gegen sich. Wenn Hentke allein von den Trainingsbedingungen her wählen müsste, würde sie wohl auch Font Romeu nehmen: „Wir haben dort kurze und lange Bahn, und es gibt keine Strömungen im Becken.“ Die sind im Becken des C.A.R. dagegen extrem. „Aber wenn du das weißt, kannst du es natürlich auch in deinen Testserien berücksichtigen“, meint Hentke.

Sie muss aber nichts mehr wählen, nicht mehr zwischen den beiden Orten entscheiden. Dreimal wird sie allenfalls noch in die Sierra Nevada fahren – im nächsten Herbst, nächsten Winter, nächsten Frühjahr. So lange bleiben auch ihre Bettdecke und ihr Kopfkissen dort eingelagert.

Danach geht es zu den Sommerspielen nach Tokio. Und nach diesen neigt sich die Karriere der Vizeweltmeisterin über 200 Meter Schmetterling ja dem Ende entgegen. „Stand jetzt ist 2020 Schluss“, sagt Hentke. Vielleicht nach Olympia, vielleicht erst zum Jahresende. Da hat sie sich noch nicht endgültig festgelegt.

Was feststeht: Sie wird sich danach zur Physiotherapeutin ausbilden lassen. Und wer weiß das schon: Vielleicht beginnt für sie in ihrem neuen Leben auch eine neue Zeitrechnung in der Sierra Nevada.