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Wintersport Harzer Semmler steigt in den Bob

Nico Semmler aus Altenbrak musste seine Karriere als Rennrodler aufgeben. Aber nicht den Leistungssport. Jetzt fährt er Bob.

Von Daniel Hübner 17.05.2020, 16:40

Magdeburg l Einmal in der Woche verlässt Nico Semmler seine Wohnung in Chemnitz, um nach Magdeburg zu reisen. Dort besucht er Birk Lösche, den Landestrainer Bob für Sachsen-Anhalt. Sie gehen gemeinsam laufen. Lösche, ein ehemaliger Anschieber, weist Semmler zudem zum richtigen Sprint an. Sie gehen den Trainingsplan durch, der den Athleten athletischer machen soll. Vor allem leichtathletischer. „Für einen Rodler war ich schon sehr schnell, aber als Bobpilot bin ich noch nicht schnell genug“, sagt Semmler.

Er war sogar ein guter Rodler. Einer, der als Doppelsitzer-Pilot zu Medaillenehren bei Junioren-Weltmeisterschaften gekommen ist. Semmler wurde aber im vergangenen Herbst von den verantwortlichen Trainern des Bob- und Schlittenverbandes (BSD) erklärt, dass ihn seine Fähigkeiten womöglich nie zu den Olympischen Winterspielen bringen werden. „Diese Entscheidung kam für mich überraschend. Schon deshalb, weil ich kurz zuvor meinen Vertrag bei der Bundeswehr um zwei weitere Jahre verlängert habe“, berichtet der 23-Jährige. Womit er sich zugleich seinen Platz in der Sportfördergruppe gesichert hatte. Aber wie sollte er diesen Status nun rechtfertigen, wenn sein Leben als Leistungsrodler doch so frühzeitig beendet wurde?

Das wusste Semmler ziemlich schnell und ziemlich genau. „Mein B-Plan war es schon immer, Bobpilot zu werden“, betont er. Weshalb alsbald, im vergangenen Januar nämlich, der erste Lehrgang in Berchtesgaden und der zweite in Altenberg folgten. Semmler wollte sich dabei ursprünglich Unterstützung im Landesverband Sachsen holen, aber seiner ersten Prämisse, weiter für den BRC Ilsenburg und für Sachsen-Anhalt zu starten, wollten die Verantwortlichen dort nicht nachkommen. Das war in Bayern anders.

Erst mit Matthias Böhmer und dann mit Stephan Bosch hatte er dort seine Bahntrainer gefunden, die mit ihm in der Theorie zum Beispiel das Start- und das Lenkverhalten durchgehen. Und er stellte nach seinen ersten Fahrten im Zweier mit Anschieber Oliver Peschk aus Potsdam fest: „Rein fahrerisch ist der Bob leichter zu bewegen als der Schlitten. Aber dann kommt eben noch der athletische Aspekt hinzu.“

Semmler hat nun eine genaue Vorstellung, wie er seine neue Karriere angehen will. Und er ist weiter, als es zu diesem Zeitpunkt zu erwarten war. Denn ein Pilot legt während der Saisonvorbereitung nicht allein seinen Fokus auf das Bobfahren. „Dazu gehört noch viel mehr“, sagt der Novize aus Altenbrak im Harz. Er muss sich ein Team zusammenstellen, was er mit vier Anschiebern für den Vierer bereits geschafft hat. Er muss Sponsoren suchen und finden, bislang hat er einen großen Unterstützer von seiner neuen Zukunft im Eiskanal überzeugt. Er muss sich um das richtige Material kümmern und es testen, was er im Sommer und nach überstandener Corona-Krise an drei Tagen in der Woche in Berchtesgaden erledigen will.

Im Eiskanal ist es jedenfalls bislang gut gelaufen für Umsteiger Semmler. Bei seinen ersten Auftritten im Wettkampf, den Bayrischen Meisterschaften in Königssee und einem Pokalrennen in St. Moritz, hat er mit Peschk einen dritten und einen zweiten Platz belegt. Im Vierer startet er indes erst im nächsten Oktober durch. Mit jenem neuen Team, dem er „gerne ein Jahr Zeit zur Eingewöhnung geben“ möchte, meint Semmler.

Vielleicht ergibt sich allerdings die Chance, zumindest im kleinen Bob bereits im zweitrangigen Europacup zu fahren. „Sollte ich sie bekommen, würde ich abwägen, an welchen Rennen ich teilnehmen möchte“, erklärt er. „Ich möchte natürlich Wettkampferfahrungen sammeln.“ Aber er will sich auch über das Training im Vierer in den Automatismen am Start üben.

Und womöglich verlässt Semmler in gar nicht langer Zeit die heimische Wohnung in Berchtesgaden, wenn ein Umzug aus Chemnitz vollzogen ist. Wenn nämlich seine Sophie, eine Grafikerin, im bayrischen Idyll einen Job gefunden hat. Auch für sie hätte das einen großen Vorteil: Sophie ist Österreicherin. Und sie wäre in Berchtesgaden 125 Kilometer näher an ihrer Heimat Wien als in Chemnitz.