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Machtmissbrauch im Sport Übergriffe im Sport: Wenn Macht als Druckmittel dient

Bei vielen Missbrauchsfällen im Sport sind Trainer die Verantwortlichen. Unter großem Druck setzen sich Betroffene teils gar sexueller Gewalt aus – denn die Täter halten vieles in der Hand.

Von Niklas Graeber, dpa 07.08.2025, 11:47
Auch Turnerin Simone Biles hat Missbrauch durch den früheren US-Teamarzt Larry Nassar ertragen müssen.
Auch Turnerin Simone Biles hat Missbrauch durch den früheren US-Teamarzt Larry Nassar ertragen müssen. Saul Loeb/Pool AFP/AP/dpa

Berlin - Sport ist für viele Menschen mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung. Es ist ein sozialer Mittelpunkt, bei dem viele mit Freundinnen und Freunden zusammenkommen, im Leistungssport richten viele gar ihr Leben danach aus. Umso schwieriger macht es das, wenn es in diesem Umfeld zu Missbrauch kommt - gerade durch höherrangige Personen wie Trainerinnen und Trainern, denen man sich kaum entziehen kann.

Wie viele Missbrauchsfälle durch solche Machtverhältnisse entstehen, zeigt ein Bericht der Ansprechstelle Safe Sport. Der Verein, der im Juli 2023 mit Unterstützung der deutschen Sportverbände die Arbeit aufnahm, steht Betroffenen zur unabhängigen Beratung zur Verfügung. In 71 Prozent der bis Ende 2024 aufgenommenen Anfragen waren die Beschuldigten demnach Trainerinnen und Trainer - und damit die Personen, die entscheiden, wer etwa für Wettbewerbe nominiert oder aufgestellt wird oder zusätzliches Training erhält.

Für mögliche Täter ist das gegenüber Sportlerinnen und Sportlern, die ihren Sport weiter ausüben wollen, ein geeignetes Druckmittel. „Gerade im Leistungssport richtet sich im Grunde das ganze Leben danach aus“, sagt Ina Lambert von der Ansprechstelle Safe Sport. „Da ist es natürlich ein Leichtes, damit auch zu spielen und eine Abhängigkeit zu schaffen, weil die SportlerInnen natürlich auch wissen, dass da viel dranhängt.“ Gleiches gelte für Freizeitsportler, die ihr soziales Umfeld nicht verlassen wollen.

Täter bauen enges Verhältnis auf

Zum Problem wird es, wenn die eigentlichen Vertrauten diese Abhängigkeit ausnutzen - etwa, um ihre Schützlinge zu bestimmten Gefälligkeiten zu drängen. Täter würden gezielt vorangehen, „um bestimmte Kinder, Jugendliche oder vulnerable Personen auszunutzen, sich an diese Personen heranzubahnen und systematisch Kontakt und Vertrauen aufzubauen“, sagt Dominique Delnef von der Deutschen Sportjugend. Diese Nähe wird dann auch genutzt, um sexualisierte Gewalt auszuüben, in den meisten Fällen gepaart mit psychischer oder auch körperlicher Gewalt.

Wie weit Täter dabei gehen können, zeigt etwa der Fall des US-Sportarztes Larry Nassar. In mehr als 20 Jahren, in denen er unter anderem für den US-Turnverband tätig war, hatte er über 250 Frauen und Mädchen sexuell missbraucht, darunter auch die mehrfache Olympiasiegerin Simone Biles. Lange kam er damit davon - erst 2018 wurde er vor Gericht mit Strafen von insgesamt bis zu 175 Jahren Gefängnis verurteilt.

Auch im Breitensport gibt es Beispiele dafür, wie Verantwortliche ihre Macht ausnutzen. In Deutschland wurde ein Tennistrainer, der Jungen im Alter zwischen 11 und 15 Jahren jahrelang sexuell missbraucht, zur Aufnahme sexueller Handlungen gedrängt und dafür bezahlt hatte, im Februar vom Landgericht Bremen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er habe „das Vertrauen der Kinder massiv ausgenutzt“, sagte die Vorsitzende Richterin damals.

Betroffene stehen vor hohen Hürden

Sich Drohungen und Angeboten zu widersetzen, obwohl die Täter dafür im Gegenzug klare Grenzen überschreiten, ist für die Sportlerinnen und Sportler schwierig. „Am Ende sind viele von Scham belastet und trauen sich deswegen nicht, etwas zu sagen. Sie suchen die Schuld bei sich, dabei tragen sie keine Verantwortung für Machtmissbrauch“, sagt Delnef.

Auch für Betroffene, die sich Hilfe suchen, sind die Hürden weiter hoch - gerade, wenn es um strafrechtliche Konsequenzen geht. Bei Sexualstraftaten sei entscheidend, ob bei den Betroffenen ein Wille erkennbar sei, sagt Michaela Juch von der Ansprechstelle Safe Sport. „Schwierig wird es, wenn eine scheinbare Zustimmung unter emotionalem oder strukturellem Druck erfolgt ist – also, wenn das Einverständnis nach außen wie ein Ja wirkt, aber eigentlich keines ist.“ In solchen Fällen sei es oft herausfordernd, die Umstände objektiv nachzuweisen, um strafrechtlich wirksam vorzugehen, sagt Juch.

In den meisten Fällen bleibt es daher bei den Sportverbänden hängen, Missbrauchsfälle intern aufzuarbeiten. In vielen, auch prominenten Fällen gehe es um Sachverhalte, „die nicht oder zumindest nicht eindeutig unter Straftatbestände zu fassen sind, die aber trotzdem nach allgemeiner gesellschaftlicher Auffassung unzweifelhaft eine Grenzüberschreitung darstellen“, sagt Florian Pröckl vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).

Aufarbeitung oft ohne Erfolg - Neues Regelwerk soll helfen

Dass die Untersuchung von Missbrauchsfällen im Sand verlaufen kann, kennen auch die Verantwortlichen der Ansprechstelle. „Wir sind nicht die Institution, die selbst irgendwie untersuchen kann, geschweige denn sanktionieren kann“, sagt Lambert. Zwar gebe es vereinzelt Vereine, die sich stärker bemühen würden - oft würde, die Aufarbeitung jedoch damit enden, dass Betroffene die Vereine wechseln oder sogar ganz mit dem Sport aufhören. „Wir erleben bis dato eher selten Erfolgsgeschichten.“

Ein Muster-Regelwerk soll helfen, dass es dennoch Konsequenzen gibt. Im November beschloss der DOSB die Einführung des Safe Sport Codes, der die Rechtsgrundlage schaffen soll, dass Vereine und Verbände auch unterhalb der Grenze zur Straftat Sanktionen verhängen können. Genauso wichtig sei aber, dass diese die neuen Regeln wirksam umsetzen, sagt Pröckl: „Gegen Wegschauen hilft auch kein Safe-Sport-Code.“