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Ex-Regierungschef Kan: Die Katastrophe in Fukushima dauert an

Fünf Jahre nach dem Super-GAU in Fukushima sieht der damalige Ministerpräsident Kan die Katastrophe für nicht überwunden an. Die Lage sei, anders als von der jetzigen Regierung behauptet, nicht stabil.

Von Interview: Lars Nicolaysen, dpa 11.03.2016, 08:15

Fukushima (dpa) - Am 11. März 2011 löste ein schweres Erdbeben einen Tsunami aus, der die Nordostküste Japans traf und in Fukushima zur schwersten Atomkatastrophe seit Tschernobyl führte.

Der Super-GAU hat den damals regierenden Ministerpräsidenten Naoto Kan noch während seiner Amtszeit von einem Befürworter zu einem entschiedenen Gegner der Atomkraft werden lassen. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in Fukushima kritisiert er die Politik der amtierenden rechtskonservativen Regierung und warnt vor einem möglichen neuen atomaren Störfall.

Frage: Ist die Lage im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi wirklich unter Kontrolle, wie der amtierende Ministerpräsident Shinzo Abe behauptet?

Antwort: Die Situation ist weit davon entfernt, unter Kontrolle zu sein. Die Reaktoren 1, 2 und 3 werden noch immer mit Wasser gekühlt, und dieses Wasser wird verseucht und tritt wieder aus den Reaktoren aus. Zwar behauptet (der Atombetreiber) Tepco, das Wasser werde in Tanks gelagert. Aber ein Teil fließt mit dem Grundwasser zusammen und gelangt ins Meer. Daran besteht kaum Zweifel. Zum anderen liegt ja noch Brennstoff in diesen 3 Reaktoren und strahl nach wie vor sehr stark. Die Lage ist im Moment nur stabil, weil es gekühlt wird. Aber das kann man nicht stabilisiert nennen. Sollte der Brennstoff zum Beispiel aus irgendeinem Grunde außerhalb der Reaktoren gelangen, dann würde es wieder dazu kommen, dass viele Menschen, sogar noch mehr als beim letzten Unfall, evakuiert werden müssen.

Frage: Die Regierung lässt bereits die ersten Anwohner wieder heimkehren. Halten Sie das für eine verantwortungsvolle Politik?

Antwort: Die Regierung lässt nur die Wohngebiete dekontaminieren, und wenn die Strahlenwerte unter ein gewisses Niveau gesunken sind, darf man heimkehren. In der Tat ist es aber so, dass die Radioaktivität aus den Wäldern und den Bergen weiter herunterkommt, die Werte steigen wieder. Ich halte es daher für nicht richtig, zu entscheiden, es sei sicher, nur weil die Werte im Moment gesunken sind. Die Regierung will die finanzielle Hilfe für diejenigen, die trotz der Aufhebung der Evakuierungszone außerhalb der Gemeinde bleiben, ab Frühjahr nächsten Jahres streichen. Das halte ich für verkehrt. Beispielsweise gibt es unter Müttern mit Kinder, die nicht zurückkehren wollen trotz der Behauptung der Regierung, es sei sicher. Man muss so eine Entscheidung respektieren und die Menschen weiter unterstützen, zum Beispiel mit Mietzuschüssen.

Frage: Wie sehen Sie die Zukunft der Atomenergie in Japan? Ministerpräsident Abe, der die ersten Atommeiler wieder hochfahren lässt, scheint ja politisch fest im Sattel zu sitzen.

Antwort: Ich glaube, die Atomenergie wird spätestens am Ende dieses Jahrhunderts sowohl aus Japan wie auch aus dem Rest der Welt verschwunden sein. Der Grund ist, dass es sich wirtschaftlich nicht lohnt. Die erneuerbaren Energien sind kostengünstiger und sicherer. Auch Japan sollte so früh wie möglich in die Richtung des Atomausstiegs gehen. Dass man immer weiter auf Atomkurs bleibt und es dann irgendwann wieder zu einem solchen Unfall kommt, muss vermieden werden. Japans Atomdorf (Netzwerk aus Regierung, Betreiberkonzernen und Atomaufsicht) war gleich nach dem Unfall etwas geschwächt, aber leider hat es wieder an Kraft gewonnen.