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Mit Spucke Wie entstaubt man ein Kunstmuseum?

Rund drei Millionen Menschen besuchen jedes Jahr das New Yorker Museum of Modern Art - und mit ihnen unter anderem Pollen, Dreck und Hautpartikel. Der ganze Staub muss auch wieder raus. Wie das geht zeigt jetzt ein Kunstprojekt. Wichtigstes Utensil: Spucke.

Von Christina Horsten, dpa 13.03.2017, 09:51

New York (dpa) - Die staubigste Stelle des MoMA liegt direkt hinter dem Eingang rechts, ein Entlüftungsgitter in einer Wand neben der Ausgabestelle für Audio-Führungen.

"In dem Raum dahinter ist unser Lichtsystem installiert und die Hitze zieht den Staub an", sagt Nelson Nieves, stellvertretender Gebäudeverwalter des Museum of Modern Art in New York. "Hier wird zwar mehrmals die Woche gereinigt, aber wenn ich mir all diesen Staub anschaue, dann ist das wahrscheinlich genug für eine Perücke."

Rund drei Millionen Menschen aus der ganzen Welt besuchen jedes Jahr das MoMA mitten in Manhattan - und bringen unter anderem Pollen, Dreck und Hautpartikel mit in das Gebäude. "Eine ganze Menge Staub bekommt mit uns freien Eintritt ins MoMA", sagt Nina Katchadourian. Vor zwei Jahren bat das MoMA die 1968 in Kalifornien geborene Künstlerin um die Entwicklung eines Projekts. Monatelang sprach sie mit Mitarbeitern des Museums über deren Arbeit und ein Thema kristallisierte sich immer weiter heraus: Staub.

"Ja, mein erstes großes MoMA-Projekt dreht sich komplett um Staub", sagt Katchadourian. "Ich mag es, die großen Themen über die kleinen und beobachtbaren anzugehen." Herausgekommen ist die Audio-Führung "Dust Gathering", die Besuchern noch bis zum 21. April in 14 Kapiteln die staubige Geschichte des MoMA erzählt. Zwischen Ende Oktober und Ende 2016 haben nach Angaben des Museums bereits knapp 30 000 Menschen zugehört - per Audio-Guide, Webseite oder Handy. Die Reaktionen seien sehr positiv, sagt eine MoMA-Sprecherin.

"Staub besteht aus Material von drinnen und draußen, von der Erde und aus dem Weltall, von hoch und von niedrig gelegenen Orten und im MoMA ist es wirklich eine Gemisch aus Besuchern aus der ganzen Welt", sagt Katchadourian. "Im Staub kommen wir alle zusammen". Gleichzeitig müsse der Staub aus einem Kunstmuseum aber auch dringend wieder raus. "Staub ist schlecht für Kunstwerke, weil er Feuchtigkeit aus der Luft aufnimmt, und das kann für einige Kunstwerke sehr schädlich sein."

Fünf gigantische Filtermaschinen im Keller regulieren die Luft im MoMA, wie Gebäudemanager Nieves in der Audio-Führung erzählt. Luft wird von draußen hereingesogen, mehrmals gefiltert und dann in die Räume geschleust. Um die wertvolle Kunst zu schützen, wird die Temperatur stets auf 21 Grad Celsius und die Luftfeuchtigkeit auf 50 Prozent gehalten. Für den Notfall gibt es Stromgeneratoren.

Der Staub wirbelt durch das ganze Gebäude, vor allem durch das sechsstöckige Atrium - und trotz täglicher Reinigung gibt es Problemstellen. Zum Beispiel die erste Etage, wo sich die Eingangstüren und die Türen zum Skulpturengarten befinden und manchmal mehr als 12 000 Menschen am Tag durchkommen.

Oder ein Fenstervorsprung im vierten Stock, den zwei MoMA-Mitarbeiter alle drei Monate nur mit Hilfe einer neun Meter hohen ausfahrbaren Leiter abstauben können. "Dieser Fenstervorsprung hat das ganze Projekt inspiriert", erzählt Künstlerin Katchadourian. "Ich liebe diesen Staub, weil es so wirkt, als ob er hier nicht hingehört. Es scheint so, als ob der Staub damit durchkommt, dass er hier einfach so bestens sichtbar abhängt. Aber die Museumswärter haben mir erzählt, dass sich die Besucher manchmal beschweren, weil der Vorsprung so staubig ist."

Anny Aviram arbeitet seit mehr als 40 Jahren als Restauratorin am MoMA und hat ihre ganz eigene Methode zum Abstauben: Spucke. "90 Prozent unserer Spucke ist Wasser, dann noch ein bisschen Enzyme und Mineralien. Wir reinigen Bilder hier oft mit Spucke, wir nennen das eine Enzym-Lösung. Es ist aber nicht einfach darüber zu reden, weil das so eine merkwürdige Konnotation hat." Aviram rollt sich einen Tupfer aus Baumwolle, befeuchtet ihn mit ihrer Spucke und reinigt dann Millimeter um Millimeter ein Kunstwerk, bevor sie mit einem trockenen Tuch noch einmal drüberwischt. So staubt Aviram zum Beispiel auch die vielen großen Werke von Pablo Picasso (1881-1973) im MoMA ab, die Millionen wert sind. "Seitdem ich das gehört habe, muss ich jetzt immer daran denken, wenn ich einen Picasso anschaue", kommentiert Künstlerin Katchadourian.

Extrem schwer zu reinigen ist auch ein Hubschrauber, der im Atrium des MoMA von der Decke hängt. "Wenn man sich die Stelle anschaut, wo die Kabel von der Aufhängung in die Wand gehen, da ist sehr viel Staub", sagt Gebäude-Manager Nieves. "Auch die Oberseite der Flügelblätter ist fast unmöglich abzustauben. Es macht mich fertig, weil ich da nicht hinkomme. Der Staub sitzt da und lacht mich aus." Viermal im Jahr nähern sich zwei MoMA-Mitarbeiter dem "Bell 47D1"-Hubschrauber mit einer ausfahrbaren Leiter und stauben ihn mit einer Art riesigem Wattestäbchen ab.

Auch einige Kunstwerke ziehen Staub an, der dann schwer wieder abzumachen ist. Zum Beispiel einige Skulpturen des Bildhauers Constantin Brâncu?i (1876-1957), die im fünften Stock auf einer Plattform angeordnet sind. Mit speziellen Socken betritt Restauratorin Ellen Moody jede Woche die Plattform und staubt ab. "Diese Holzstatue hier ist das Problemkind der Brâncu?i-Plattform, der Staub sammelt sich immer in ihren kleinen Löchern."

Einer Freundin bastelte Moody jüngst sogar ein Geschenk aus MoMA-Staub. "Gemeinsam mit Kollegen haben wir ungefähr einen Monat lang Staub gesammelt und für eine Weihnachtsparty habe ich dann eine Skulptur in Form eines Hasen daraus geformt." Der Staub-Hase war lebensgroß - und die Freundin hat ihn noch. "Angeblich riecht er inzwischen ein bisschen komisch."

Der Staub im MoMA sei sowieso besonders, sagt die Praktikantin Ellen David. "Ich habe schon in vielen Institutionen Staub gewischt und das MoMA hat ganz besonderen Staub - er ist besonders grau und besonders gleichförmig überall im Museum." Sie habe sich immer gewundert, warum der Staub im MoMA so grau sei, sagt David - aber dann legte sie ihn eines Tages unter ein Mikroskop. "Und siehe da: Aus der Nähe betrachtet hat der Staub alle Farben des Regenbogens".

Bericht der New York Times

Dust Gathering

Staubfänger: Skulpturen von Constantin Brancusi im Museum of Modern Art (MoMA). Foto: Christina Horsten
Staubfänger: Skulpturen von Constantin Brancusi im Museum of Modern Art (MoMA). Foto: Christina Horsten
dpa