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RKI-Zahlen Erneut mehr als 4000 Corona-Neuinfektionen - Was heißt das?

Wieder wurde die 4000er-Marke überschritten. Gewinnt der Anstieg bei der Zahl der Neuinfektionen an Fahrt? Auch die Kliniken nehmen mehr Corona-Patienten auf. Virologe Drosten appelliert an alle Menschen.

09.10.2020, 18:25

Berlin (dpa) - Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland hat ein weiteres Mal über der Marke von 4000 gelegen.

Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Freitagmorgen 4516 neue Corona-Infektionen. Von Mittwoch auf Donnerstag war der Wert von 2828 auf 4058 erheblich angestiegen.

Für eine konkrete Schlussfolgerung sei es noch zu früh, hatte der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur gesagt. "Wir haben immer wieder sprunghafte Anstiege, die sich nicht notwendigerweise als Vorbote eines exponentiellen Anstiegs herausstellen." Er riet, weitere Daten zu berücksichtigen. "Wir müssen mehr auf die Erkrankungszahlen statt auf die reinen Laborbefunde schauen." Die Belegung der Intensivstationen sei ein weiterer wichtiger Indikator.

Bei den intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten zeichnet sich derzeit ein merklicher Anstieg ab, noch sind aber viele Betten frei. Laut aktuellem RKI-Lagebericht wurden am Donnerstag 487 Corona-Infizierte intensivmedizinisch behandelt, 239 davon wurden beatmet. Eine Woche zuvor (1.10.) hatte der Wert noch bei 362 (193 beatmet) gelegen, in der Woche davor (24.9.) bei 296 (166 beatmet). Rund 8500 Intensivbetten sind in den deutschen Kliniken derzeit noch frei.

Die steigenden Corona-Zahlen zwingen etwa die Berliner Charité jedoch dazu, planbare Eingriffe wie im Frühjahr wieder zu verschieben. "Wir müssen versuchen, die Intensivbetten für Covid-Patienten frei zu bekommen", sagte Vorstandsmitglied Ulrich Frei am Freitag in Berlin. Das sei keine leichte Aufgabe und führe zu schwierigen ethischen Fragen, etwa im Umgang mit Herz- und Tumorkranken. Auf den Intensivstationen lägen noch viele Patienten, deren Eingriffe und Untersuchungen nach der ersten Corona-Welle vom Frühjahr nachgeholt wurden. Zugleich fehlten aber Intensiv-Pflegekräfte.

Ähnlich äußerte sich der Chef des Uni-Klinikums Frankfurt, Jürgen Graf. Der Spätsommer habe in der Pandemie ein Gefühl der falschen Sicherheit gebracht, weil die Neuinfektionen seltener zu Erkrankungen geführt hätten. Jetzt müssten wieder mehr Patienten stationär aufgenommen werden.

Auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck warnt davor, die reinen Infektionszahlen zum Maßstab im Kampf gegen Corona zu machen. "4000 Neuinfektionen pro Tag zur Zeit bedeuten nicht mehr das Gleiche, was sie im März und April bedeutet haben", erläutert er in einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" (Freitag). Abhilfe könne ein Ampelsystem schaffen, das auf dem Zusammenspiel von
Infektionszahlen, Anzahl der Tests, stationärer und
intensivmedizinischer Belegung basiert.

Generell gelte es, sich an ein Leben mit Corona zu gewöhnen, so Streeck weiter. Das bedeute "auch zu akzeptieren, dass Sars-CoV-2 bei uns heimisch wird". Auch Todesopfer ließen sich vielleicht minimieren, aber nicht vermeiden.

Die höchste Zahl vom RKI erfasster Neuinfektionen hatte es Ende März, Anfang April gegeben, als der Wert mehrfach über 6000 lag. Der bisherige Höchstwert war 6294 am 28. März. An dem Tag wurden 325 Todesfälle gemeldet - am Freitag waren es 11. Zu beachten ist bei dem Vergleich, dass die Dunkelziffer nicht erfasster Fälle im Frühjahr sehr wahrscheinlich deutlich höher war als derzeit, weil noch wesentlich weniger Tests durchgeführt wurden.

"Das Virus hat sich nicht verändert", betonte der Berliner Virologe Christian Drosten. Die Infektionssterblichkeit - wie viele der Angesteckten sterben - liege in Deutschland bei einem Prozent oder etwas mehr, falls das Virus durch die gesamte Bevölkerung durchlaufe.

Drosten appellierte an alle Menschen mitzuhelfen. Das Effizienteste gegen eine Corona-Ausbreitung sei eine Kombination aus Masken-Tragen und gezielten Maßnahmen gegen Cluster, sagte der Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin am Freitag. Die jetzigen Maßnahmen seien schon dafür geeignet. Mit einem Cluster-Kontakttagebuch etwa könne man sehen, wo man sich vor sieben bis zehn Tagen infiziert habe. "Das ist eine sehr wertvolle Information an das Gesundheitsamt."

Entscheidend sei die Informiertheit der Bevölkerung. "Die Kooperation, das Verständnis jedes Einzelnen oder jeder Einzelnen, dieses Treffen von richtigen Entscheidungen im Alltag, weil man es verstanden hat, das ist das, was uns retten wird vor einer schwierigen Situation."

Seit Beginn der Corona-Krise haben sich nach RKI-Angaben mindestens 314.660 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert (Datenstand 9.10., 0.00 Uhr). Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion lag demnach bei 9589. Rund 271.800 Menschen haben die Infektion nach RKI-Schätzungen überstanden.

Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag nach RKI-Schätzungen in Deutschland laut Lagebericht vom Freitag bei 1,34 (Vortag: 1,17). Das bedeutet, dass ein Infizierter im Mittel mehr als einen weiteren Menschen ansteckt. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab.

Zudem gibt das RKI in seinem aktuellen Lagebericht ein sogenanntes Sieben-Tage-R an. Der Wert bezieht sich auf einen längeren Zeitraum und unterliegt daher weniger tagesaktuellen Schwankungen. Nach RKI-Schätzungen lag dieser Wert bei 1,37 (Vortag: 1,22). Er zeigt das Infektionsgeschehen von vor 8 bis 16 Tagen.

© dpa-infocom, dpa:201009-99-881337/8

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RKI-Lagebericht vom 8.10.

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