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Analyse Bangen in Bali und Chinas Angriff

Auf Bali trifft sich die weltweite Finanzelite - und diskutiert vor allem ein Thema: den Handelskrieg zwischen China und den USA. Peking entfaltet über Kreditvergaben immer mehr Macht, der Westen kann nur reagieren. Parallel dazu wachsen die Sorgen vor einem großen Crash.

Von Georg Ismar und Michael Donhauser, dpa 12.10.2018, 10:24

Nusa Dua (dpa) - Betten haben gewackelt, und so manchem Minister ist der Schreck in die Glieder gefahren. Nach dem Erdbeben mit wohl mehr als 2000 Toten in der indonesischen Provinz Sulawesi hat es auch - wesentlich weniger schwerwiegend - die Ferieninsel Bali getroffen.

Ausgerechnet, als dort die Finanzelite der Welt tagt. Man wird den Eindruck nicht ganz los, dass die Natur den Vorboten spielen könnte für die Beben, die der Weltwirtschaft bald bevorstehen.

An der Börse sind viele Kurse im Sinkflug, die Crash-Angst wächst. Und die Mischung aus steigenden Zinsen in den USA, dem Handelskrieg von US-Präsident Donald Trump mit China, Italiens Schuldenberg und einer sich eintrübenden Konjunktur lässt Analysten nervös werden. Das ganze Gefüge der Weltwirtschaft ist stark unter Druck geraten. Entsprechend intensiv wird am Indischen Ozean bei der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank diskutiert.

Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) neigt nicht zu Unheilsbotschaften. Er ist 14 Stunden lang nach Bali gereist - auch als Zeichen der Solidarität mit dem katastrophengeplagten Indonesien. Dort ist eine für seine Partei nahende politische Katastrophe bei der Landtagswahl in Bayern erst einmal weit weg. Der SPD droht am Sonntag Platz vier, auf Bundesebene stürzte sie in Umfragen auf 15 Prozent.

Für den Hanseaten könnte als Herr über die Staatsfinanzen bald eine Bewährungsprobe kommen - ein Ende der Schönwetterperiode naht. "Es ist was los in der Welt", sagt er auf seine trockene Art. Auch der Eurozone könnten neue Schocks drohen, wegen geplanter Mehrausgaben der populistischen Regierung in Italien von 36,7 Milliarden Euro.

Aber Scholz warnt vor Panik und Belehrungen. Gerade die stärkere Unterstützung von Langzeitarbeitslosen in Italien kann er verstehen. Sein Rat: "Seid vorsichtig mit dem, was ihr macht." Die Stimmung ist in Zeiten einer erstarkenden AfD auch in Deutschland gerade nicht mehr so, dass staatliche Rettungspakete einfach zu schnüren wären.

Noch ist in Europa wirtschaftlich alles weitgehend gut, sagt der IWF. Das Wachstum sei stark. Wer aber jetzt in guten Zeiten mit Geld um sich wirft wie Italiens Populisten, die Wahlgeschenke mit weiteren Schulden bezahlen wollen, der müsse eines Tages die Rechnung zahlen, warnt IWF-Europadirektor Poul Thomsen - ohne Rom direkt anzusprechen.

Die Bundesregierung hat soeben ihre Wachstumsprognose von 2,3 Prozent auf 1,8 Prozent gesenkt. Der IWF nahm sie sogar um 0,6 Punkte auf 1,9 Prozent zurück. Scholz verweist darauf, dass sein Bundeshaushalt konservativ gerechnet sei, dass also auch bei einem Einbruch und weltweiten Turbulenzen genug Puffer zum Gegensteuern vorhanden ist.

Gemeinsam mit Bundesbank-Präsident Jens Weidmann betont er: Ja, es gibt Risiken - vor allem, falls der US-Handelskonflikt eskaliert. Die heftigen Kursverluste an den Börsen nennt Weidmann eine "Korrektur". Die Botschaft des Duos: Keine Panik, noch wachse die Wirtschaft ja.

Aber die Probleme mehren sich - und vielen Staaten fehlt die Feuerkraft, um bei Turbulenzen dagegenzuhalten. Die große Unbekannte ist und bleibt der Handelskonflikt mit Washington. Europa ist nur vorerst von Strafzöllen ausgenommen, Scholz scherzt in Bali für seine Verhältnisse ausgelassen mit US-Finanzminister Steven Mnuchin. Bei einem ausgewachsenen Handelskrieg nur zwischen den USA und China würde laut Welthandelsorganisation das internationale Handelsvolumen um bis zu 17,5 Prozent sinken - Millionen Jobs wären in Gefahr.

Die Gewichte verschieben sich. Auf Bali wird deutlich, wie sehr China bereits als Wirtschafts- und Finanzmacht mit aller Welt verflochten ist. Jack Ma, Gründer des Technologie-Riesen Alibaba - inzwischen einer der zehn größten Konzerne -, wird wie ein Superstar gefeiert. Auch und gerade deshalb gibt es die Attacken von US-Präsident Trump.

Interessant: Trotz des Handelskriegs sind die chinesischen Exporte im September unerwartet stark gestiegen. Sie legten in US-Dollar berechnet um 14,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zu. Die Vormachtstellung des Westens scheint weiter ins Wanken zu geraten.

In einer Finanz- und Wirtschaftswelt, die in die drei großen Blöcke USA, China und Europa aufgeteilt sein wird, befürchten die USA und der Westen, hinter das Reich der Mitte zurückzufallen. Trumps Zölle sind der verzweifelte Versuch, Peking in die Schranken zu weisen.

Auch Scholz verweist auf Bali zudem auf einen Punkt, der vielen Sorge bereitet: die Überschuldung vieler Entwicklungs- und Schwellenländer bei China. US-Politiker sprechen von einem "aggressiven Geldverleih" der Chinesen, der das Ziel verfolge, politischen Einfluss zu gewinnen und "Kommunismus zu exportieren."

Bisher sind alle Bemühungen gescheitert, China zum Beitritt in den Pariser Club zu bewegen. Dessen 22 Mitglieder - darunter Deutschland, die USA, Japan, Frankreich, Großbritannien und Russland - haben vergleichbare Kreditregeln und verhandeln Schuldennachlässe für Staaten. Scholz würde China gern mit im Boot sehen, um es hier einzuhegen. Man brauche gemeinsame Regeln, wie man mit den Schulden anderer Staaten umgehe, sagt er. "Die nächsten Krisen können auch kommen von denjenigen Krediten, die gewissermaßen ungeregelt vergeben worden sind oder über die man keinen großen Überblick hat."

IWF-Direktor Tobias Adrian betont: "Schwellenländer und Entwicklungsländer haben ihre Schulden bei anderen Ländern erhöht." China nennt er nicht. Es ist aber längst bekannt, dass Peking mit seiner Seidenstraßen-Initiative die Infrastruktur afrikanischer und asiatischer Länder verbessern und den eigenen Einfluss erhöhen will.

Wie sehr die Volksrepublik die USA - selbst ebenfalls ein großer Schuldner Chinas - mittlerweile vor sich hertreibt, zeigt das Beispiel Pakistans. Die Atommacht steht in Peking massiv in der Kreide - und braucht jetzt die Hilfe des IWF, um sich über Wasser zu halten. Die Hilfsgelder werden damit zu großen Teilen von den USA bereitgestellt: Washington ist mit Abstand größter Teilhaber des IWF.

Auch in Deutschland hat China viele Milliarden Euro investiert. Die Bundesregierung will in sensiblen Bereichen wie Telekommunikation, IT-Sicherheit, Kraftwerken, Stromnetzen, Trinkwasserversorgung und Zahlungsverkehr nun die Hürden für Übernahmen deutlich erhöhen: Wenn ein Investor aus einem Nicht-EU-Staat Anteile erwerben will, soll es ab einem geplanten 15-Prozent-Paket eine Investitionsprüfung geben.

Scholz fordert, "den Urheberschutz für unsere Produkte und Leistungen in China zu erhöhen". Mit Blick auf Trumps Zölle sagt er, man brauche solche Konferenzen, auch wenn der Fortschritt oft eine Schnecke ist. "Als Europäer setzen wir nicht auf Konflikt, sondern auf Gespräche", meint der Verhandlungsprofi. Und in Richtung Trump: Die Hoffnung sei, "dass das irgendwann wieder ein Vorbild werden kann für alle."

IWF-Materialien zur Tagung