Freude und Ängste Nach Sturz von Assad: Das denken Syrer in Dessau über die Situation in ihrem Heimatland und eine mögliche Rückkehr
In Dessau lebende Syrer freuen sich mehrheitlich über den Sturz des ehemaligen Machthabers, erzählen aber auch von Ängsten und bevorstehenden Herausforderungen.

Dessau/MZ. - „Ich habe die ganze letzte Woche nicht geschlafen, nicht gegessen. Ich habe gefühlt mit drei Handys dagesessen, die Nachrichten aus Syrien verfolgt und mich gefragt, ob ich in einem Traum bin oder ob das die Wahrheit ist“, sagt Amer Haj Kasem einige Tage nach dem 8. Dezember, an dem das Regime des ehemaligen syrischen Machthabers und Diktators Baschar al-Assad von Rebellen gestürzt wurde und Assad selbst aus dem Land geflohen ist.
Kasem ist 2015 vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen, wohnt jetzt in Dessau und studiert derzeit im Master „Eingebettete Systeme“ an der Hochschule Anhalt. Wie viele andere Syrer dieser Tage ist er froh, dass Assad weg ist. „Er war wie ein Gott“, sagt der 27-Jährige über den ehemaligen Machthaber. Er könne sich noch erinnern, wie in der Schule eine Reise an das Grab des Vaters von Assad zum Pflichtprogramm gehörte. Regelmäßig sollten sie für ihren Präsidenten demonstrieren. Sein Porträt sei immer und überall zu sehen gewesen, auch auf Schulmaterialien, berichtet Kasem.
Fawaz Sayed Alo, der in einem Lebensmittelgeschäft in der Dessauer Innenstadt arbeitet und aus Kamischili im Norden Syriens stammt, spricht von einer neu gewonnenen Freiheit: „Wir sind froh, dass der Diktator weg ist. Die Menschen in Syrien können jetzt sagen, was sie wollen.“
Hoffnung keimt auf
Aber wollen Sayed Alo, Kasem oder andere Syrer, die derzeit in Dessau oder generell in Deutschland leben, jetzt auch zurück in ihr Heimatland? Diese Frage lässt sich nicht pauschal mit Ja oder Nein und auch nicht für jeden Syrer gleich beantworten. „Alle haben gerade das Gefühl, wir möchten jetzt sofort hin, in unser Land. Aber das ist nicht so einfach“, sagt Laila Mahmoud, die aus dem kurdischen Kobane stammt, seit 2017 in Deutschland ist, hier eine Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten absolviert hat und derzeit in Dessau ihr Abitur nachholt. Kasem beschreibt das Gefühl so: „Ich habe nie gedacht, dass ich mein Haus in Syrien je wiedersehen werde.“ Er habe keine Hoffnung mehr gehabt. Diese Hoffnung sei jetzt, nach fast zehn Jahren Krieg, erstmalig wieder aufgekeimt.
Im Gespräch mit der MZ berichten insbesondere jene Syrer, die in ihrem Heimatland zu ethnischen oder religiösen Minderheiten zählen von Zweifeln und Unsicherheit in Bezug auf die neuen Machthaber in Damaskus. Die Gruppe „Hajat Tahrir Al-Scham“ (HTS), die die Rebellion gegen Assads Regime angeführt hat, wird von den Vereinten Nationen als islamistische Miliz eingeordnet. Sie ist ursprünglich aus der Terrorgruppe Al-Qaida hervorgegangen, mit der HTS-Anführer Abu Muhammad al-Dscholani allerdings vor einigen Jahren gebrochen hat.
Zwietracht zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen
Rima Saliba ist Christin, 2013 mit ihrer Familie vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland geflohen und arbeitet jetzt beim Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt in Dessau. Ihre Freunde und Bekannten in Syrien seien unsicher: „Wir haben Angst. Wir müssen erstmal abwarten, wie es jetzt weitergeht“, sagt Saliba. Auch die Kurdin Mahmoud spricht von dieser Angst. Es gebe viele verschiedene religiöse Gruppen in Syrien: Und die jeweiligen Anhänger dieser Gruppen „hassen sich auf Social Media“, sagt Mahmoud. Auch Kasem sagt, es gilt abzuwarten, ob die Gruppen in Zukunft gegeneinander kämpfen oder zusammenkommen werden.

Für die Angst, die Menschen verschiedener ethnischer oder religiöser Hintergründe in Syrien voreinander haben, macht Sirine Said, die im Vorstand des Multikulturellen Zentrums Dessau sitzt und dadurch Kontakt zu vielen Syrern hat, vor allem Baschar al-Assad verantwortlich: „Assad hat es geschafft, diese Angst zu fördern.“ Er habe mit Absicht Zwietracht zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen gesät, um seine Macht zu sichern. „Wir haben vorher mehr als 1.000 Jahre lang friedlich zusammengelebt. Warum geht das jetzt nicht mehr?“, fragt Kasem, „Assad hat die Sunniten die Christen hassen lassen, er hat die Araber die Kurden hassen lassen.“
Laila Mahmoud ist der Meinung, dass in Syrien eine säkulare Regierung gebildet werden muss, die für alle Minderheiten funktioniert. Mahmoud, Kasem, Sayed Alo, Saliba - sie alle glauben: „Wir müssen solange abwarten.“ Aber es gebe auch Grund zur Hoffnung: Mysoun Alyakoup ist 2015 nach Deutschland geflohen, arbeitet jetzt im Interkulturellen Zentrum in Dessau und hat noch Kontakt zu ihrer Familie in Damaskus. Christliche Frauen würden nicht gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, die verschiedenen Gruppen würden ohne Probleme nebeneinander wohnen. „Ich konnte es erst gar nicht glauben“, erzählt Alyakoup, „Ich habe sie immer wieder angerufen, um zu fragen wie es ist. Aber es ist friedlich.“
Die Heimatstadt ist zerstört
Nach Syrien zurückkehren möchte sie aber vorerst nicht. Ihre beiden Kinder gehen in Dessau zur Schule, sprechen auch nur Deutsch und kein Arabisch. Gleiches gilt für die beiden Töchter von Sayed Alo, dem Lebensmittelhändler: eine besucht derzeit die elfte Klasse, die andere ist in der Ausbildung. Und dazu kommt: Die Schule, in der Sayed Alo früher gearbeitet hat, ist zerbombt. „Es gibt keine Infrastruktur mehr, kein Wasser, keinen Strom“, erzählt Kasem von seiner Heimatstadt Sarakeb, in der Nähe von Idlib. Der MZ zeigt er Videos von ausgestorbenen Straßen und Häuserskeletten, aus denen schon Pflanzen hervorwachsen. „Es sieht aus wie in Tschernobyl“, sagt er, „Wir können nicht von heute auf morgen aus einem kaputten Land ein Paradies aufbauen.“