1. Startseite
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Skandinavien bleibt Vorbild für die ganze Welt

Tag der Pressefreiheit Skandinavien bleibt Vorbild für die ganze Welt

Karl-Heinz Paqué aus Sachsen-Anhalt, Chef der Naumann-Stiftung, über Angriffe auf Journalisten in Deutschland und Desinformation durch Internet-Trolle

30.04.2021, 03:00
Prof. Dr. Dr. Karl-Heinz Paqué leitet den Lehrstuhl für Internationale Wirtschaft an der Guericke-Universität Magdeburg. Zugleich ist er als FDP-Politiker Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit  und  Vize-Präsident  von Liberal International, dem Weltverband liberaler Parteien mit fast 90 Mitgliedern.
Prof. Dr. Dr. Karl-Heinz Paqué leitet den Lehrstuhl für Internationale Wirtschaft an der Guericke-Universität Magdeburg. Zugleich ist er als FDP-Politiker Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und Vize-Präsident von Liberal International, dem Weltverband liberaler Parteien mit fast 90 Mitgliedern. Foto: dpa

Volksstimme: In der Pressefreiheits-Jahresliste ist Deutschland im Jahr 2020 von Platz elf auf Platz 13 abgerutscht. Ein Ausrutscher durch die angespannte Corona-Lage oder Alarmsignal für dauerhafte Gefährdung der Pressefreiheit?

Karl-Heinz Paqué: Das ist auf jeden Fall besorgniserregend. Als Grund wird genannt, dass die Angriffe auf Journalisten – vor allem aus dem rechtspopulistischen Milieu – zugenommen haben. Das ist in erster Linie im Zusammenhang mit Corona-Protesten passiert. Da haben sich offenbar die Toleranzschwellen verschoben. Das muss uns sehr zu denken geben. Es gab ja eine ganze Reihe von spektakulären Vorfällen, die auch durch die Medien gingen. Es ist aber mehr als eine Corona-Folge, es ist das Ergebnis einer sich verschiebenden Stimmungslage insgesamt.

Was sich daran zeigt, dass die Medien in Deutschland in den vergangenen Jahren häufiger attackiert wurden, vor allem von rechts, siehe „Lügenpresse“-Vorwurf. Der Boden für Angriffe auf Medienschaffende ist also bereitet.

Die populistischen Tendenzen, die wir ja weltweit beobachten, sind Strömungen, die sehr stark gegen die Pressefreiheit vorgehen. Das hat leider auch US-Präsident Donald Trump in seiner Amtszeit durch sein eigenes Verhalten noch unterstützt. In Deutschland waren dies das Umfeld der AfD und die AfD selbst, was bis hin zu diesem fürchterlichen Nazi-Begriff „Lügenpresse“ führte. Das hat die Atmosphäre vergiftet. Und eine Konsequenz davon ist, dass sich manche Menschen dadurch legitimiert sehen, Reporter zu attackieren. Weil diese etwas berichten könnten, was ihnen nicht passt.

Die besten Arbeitsbedingungen hat die Presse nach Experten-Einschätzung in Skandinavien. Was ist dort anders als beispielsweise in Deutschland?

Zunächst muss man dazu große Gruppen von Nationen in der Welt betrachten. Deutschland war bis 2019 auch in der sogenannten weißen Gruppe, also der Spitzengruppe. Das gesamte Vorderfeld hat ähnliche Bedingungen, aber darunter sind eben noch Länder mit einer besonders „zivilisierten“ Kultur der Auseinandersetzung. Das gilt für Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland. Es ist eine demokratische Reife, über die diese Staaten verfügen, die beeindruckt. Dazu zählt auch die Durchsetzung der Pressefreiheit und der souveräne Umgang damit. Das unterscheidet diese Länder dann doch von der zweiten Gruppe, zu der auch die meisten Staaten Kontinentaleuropas gehören. Wobei das oft konfliktträchtigere Gesellschaften sind, wie auch Großbritannien oder die USA. Sie sind viel heterogener als die skandinavischen Gesellschaften, die es insofern auch etwas leichter haben. Die Vereinigten Staaten – ich habe selbst dort gelebt – sind eben ein Land mit einem riesigen „Menue“ an gesellschaftlichen Problemen. Durch die Heterogenität gibt es dort auch mehr Gefahren und Ruppigkeit. Deutschland oder die Niederlande sind irgendwo dazwischen. Skandinavien ist und bleibt ein Vorbild.

Die Jahresliste bewertet nur noch zwölf Länder mit „gut“? Ein mieses Zeugnis, oder wie werten Sie das?

Genauso bewerte ich das. Vor allem wenn man sich den Trend ansieht, so ist dieser absolut besorgniserregend. In den 1990er Jahren hatten sich die osteuropäischen Länder geöffnet, mit Demokratie und gesicherten Freiheiten. In Entwicklungsländern tat sich etwas, Russland erlebte eine freiheitliche Phase, selbst in China ging es voran.

Wir leben heute in einer repressiven Zeit.

Wir leben heute dagegen in einer repressiven Zeit: Die Pressefreiheit wird systematisch begrenzt. Die Möglichkeiten der Kontrolle der Menschen und der Presse sind durch neue Techniken zur Überwachung, die weithin genutzt werden, größer geworden. Die persönlichen Freiheiten werden somit immer weiter eingeschränkt. Der Trend macht mir fast noch mehr Sorgen als das bisher erreichte Niveau. Hinzu kommen Marktentwicklungen: Es gibt Konzentrationsprozesse in der Medienbranche, die Werbeeinnahmen nehmen ab, die eine gewisse Unabhängigkeit garantieren. Journalisten können in Abhängigkeitsverhältnisse geraten, wenn ich mir Sender wie „Russia Today“ ansehe, einen Propagandasender, wo die Mitarbeiter gewissermaßen zu offiziösen Berichterstattern degradiert sind.

Die Europäische Union galt durch ihr demokratisches Wertesystem immer als Hort der freien Presse. Doch das Fundament bröckelt: In Ungarn und Polen wurden viele Medien erfolgreich auf Regierungskurs getrimmt. Wie passt das mit dem EU-Kodex zusammen?

Ganz einfach: Das passt nicht zusammen, es ist hochbedenklich! Ungarn ist auf dem Weg in eine zunehmend autoritäre Struktur. So etwas kommt nicht nur in Diktaturen vor, sondern auch in Demokratien. In Ungarn treibt die konservativ-populistische Fidesz unter Viktor Orbán, der früher mal ein Liberaler war, diesen Prozess voran. Orbán ist heute ein autokratischer Nationalist, der Pressefreiheit nicht akzeptieren will und mit seiner Partei seinen politischen Einfluss auf die Presse kontinuierlich verstärkt. Es gibt aber noch immer unabhängige Zeitungen, aber sie sind gefährdet. In Polen gibt es eine starke Zivilgesellschaft, auch eine starke Presse, aber dort ist der Rechtsstaat bedroht. Das hat indirekte Konsequenzen: Wenn die Gerichte kujoniert werden, indem die herrschende PiS dort ihre eigenen Leute installiert, gibt es ganz schnell die juristische Möglichkeit, eine freie Presse zu knebeln. Wir sind noch nicht wieder bei Verhältnissen wie im kommunistischen Regime, aber der Zug fährt in die falsche Richtung.

Was kann nun gegen die Einschränkung der Pressefreiheit getan werden?

Vereinfacht und provokant gesagt: Protestieren! Jede Verletzung, die zu beobachten ist, versuchen festzuhalten und weltweit zu publizieren. Es ist noch für das totalitärste Regime unangenehm, Beobachter zu haben, die darüber berichten. Diktatorischen Machthabern gefällt es nicht, wenn ihr Kampf gegen die Freiheit publik wird. Das ist die einzige Chance, die wir haben.

Autokraten können nicht den Deckel draufhalten.

Es gibt zum Glück genug Nichtregierungsorganisationen, die sich darum kümmern. Die Naumann-Stiftung zählt in gewisser Weise auch mit dazu. Seit einigen Jahren ist es für uns leider schwerer geworden, in bestimmten Ländern tätig zu sein. Wir nennen das „shrinking spaces“ (schrumpfende Räume). Es gilt aber für uns und andere Organisationen, unbeirrt immer weiter zu arbeiten, soweit es irgendwie geht. Sehr wirksam ist dies auch über Social-Media-Kanäle: Autokraten können da nicht einfach den Deckel draufhalten.

Erweitert man den Begriff Pressefreiheit auf Meinungsfreiheit, ist das Internet ein unerschöpflicher Fundus für alle Denkarten. Ist das letztlich mehr Gewinn oder mehr Gefahr?

Das Internet hat für die Pressefreiheit positive und negative Seiten. Selbstverständlich sind die sozialen Medien zunächst etwas Positives. Jeder kann sich äußern, es ist erheblich schwieriger, soziale Medien zu kontrollieren als die physische Weitergabe von Informationen. Denken wir zehn Jahre zurück an die Arabellion: Da haben sich die jungen Leute in Tunesien und Ägypten vernetzt. So ist das auch in Russland: Ein Alexei Nawalny hat mehrere Millionen Follower. Insofern bilden sich freie Informationsnetzwerke. Selbst das totalitärste Regime schafft es nicht ganz, das zu kontrollieren.

Und was spricht gegen das Netz?

Es birgt das Potenzial für massive Desinformation. Das haben wir bei Trump erlebt, der einfach Lügenmärchen ins Netz stellte. Wir erleben das bei der Unzahl von Trollen, die unterwegs sind und die Meinungsmache betreiben. Kurz: Das Internet ist ein riesiger Berg von Information, in dem viele positive Dinge stecken wenn sie ihn abtragen, aber auch viel Schrott und Fake.

In autokratischen und diktatorischen Regimes, Beispiele China, Saudi-Arabien oder Aserbaidschan, gibt es keine Medienfreiheit. Trotzdem kommt es nicht zu Aufständen. Ist im Umkehrschluss die freie Presse verzichtbar?

Die Pressefreiheit ist überhaupt nicht verzichtbar! Sie steht bei den demokratischen Werten unserer Gesellschaft ganz, ganz vorn, da gibt es keine Abstriche. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit muss enorm gut begründet werden. Sie ist nur begründbar bei schwersten Verletzungen, wie dem Verbreiten von Unwahrheiten, die Persönlichkeitsrechte verletzen. Das ist dann auch einklagbar, jedenfalls hierzulande.