1. Startseite
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Zulieferer-Streit wird Belastungsprobe

Volkswagen Zulieferer-Streit wird Belastungsprobe

Wegen des Streits haben mehrere VW-Werke ihre Produktion gedrosselt. Auswirkungen auf in Sachsen-Anhalt soll es zunächst nicht geben.

22.08.2016, 23:01

Wolfsburg/Berlin (dpa/ba) l Der beispiellose Konflikt von Volkswagen mit zwei wichtigen Zulieferern erreicht immer neue Dimensionen. Bei VW stehen angesichts eines Lieferstopps viele Bänder still, bislang sind 28 000 VW-Mitarbeiter betroffen. Die Zulieferer-Branche befürchtet Auswirkungen auch auf andere Lieferanten. Die Bundesregierung mahnte am Montag eine Lösung an.

Der Autobauer und die Lieferanten bemühten sich am Montag um eine gütliche Einigung. Ergebnisse gab es am frühen Abend zunächst nicht. Die Zulieferer ES Automobilguss und Car Trim, die zur Unternehmens- gruppe Prevent gehören, beliefern VW derzeit nicht mit benötigten Getriebeteilen und Sitzbezügen. Zwischen den Firmen und VW tobt ein Streit um die Kündigung von Aufträgen. Die Hintergründe sind unklar.

Der Lieferstopp wirbelt große Teile der Produktion bei VW empfindlich durcheinander. Allen voran steht die Golf-Produktion im Stammwerk Wolfsburg still. Wie der Autobauer am Montag mitteilte, könnten insgesamt 27 700 Mitarbeiter in den Werken Wolfsburg, Emden, Zwickau, Kassel, Salzgitter und Braunschweig teils noch bis Ende August nicht so arbeiten, wie es eigentlich geplant sei. Der Autobauer sprach von „Flexibilisierungsmaßnahmen bis hin zu Kurzarbeit“.

Aus Sachsen-Anhalt pendeln rund 9000 Menschen zur Arbeit in das Volkswagen-Werk in Wolfsburg, schätzt das Automotivecluster Mahreg. Wie viele Mitarbeiter aus Sachsen-Anhalt von der Produktionspause bei Volkswagen betroffen sind, konnte eine Sprecherin auf Volksstimme-Anfrage nicht sagen.

Ein Versorgungsstopp zweier Zulieferer aus Sachsen lähmt den Autobauer. Die Firma Car Trim aus Plauen liefert keine Sitzbezüge mehr, was vor allem den Passat im Emder Werk trifft. Car Trims Schwesterfirma ES Automobilguss, kurz ES Guss, aus Schönheide setzt die Belieferung mit Gussteilen aus, die in Automatikgetrieben stecken.

Wie konnte es nur so weit kommen? Ein Teil der Antwort ist einfach: VW verlässt sich bei Gehäusegussteilen für seine Golf-Automatikgetriebe nur auf den Partner ES Guss. Einquellenbeschaffung ist riskant, hilft aber beim Sparen. Aber warum nur eskalierte der Konflikt derart, dass zwei mittelständische Zulieferer dem Größten in der Branche tagelang den Hahn abdrehen? Car Trim und ES Guss haben doch einen Namen zu verlieren, die Reputation. Das Fass lief wohl Ende Juni über. Damals zog VW den Stecker bei einem Zukunftsprojekt, bei dem Car Trim von 2017 an Sitzbezüge für VW und Porsche liefern sollte. Dabei sei es um eine halbe Milliarde Euro Auftragsvolumen gegangen – selbst für den VW-Konzern keine Peanuts.

Dem Vernehmen nach machte VW Qualitätsmängel geltend. Inwieweit es dabei auch um Preisfragen ging, lässt sich objektiv nicht bewerten. Doch Car Trim war in Vorleistung getreten, etwa mit neuem Personal. Und daher sollte VW einen „mittleren zweistelligen Millionenbetrag“ als Wiedergutmachung für das plötzlich beendete Projekt zahlen. Nur: Vom Autobauer ist zu hören, dass die Forderungen „absurd hoch“ seien und vor allem nicht nachvollziehbar begründet werden könnten. Von der Zuliefererseite heißt es, VW habe das Blatt schlicht überreizt.

Dann geschah etwas, womit VW möglicherweise nicht rechnete. Car Trim ist über die Konstellation einer verschachtelten Dachgesellschaft mit ES Guss verbandelt. Und die Schwesterfirma soll Forderungen an VW auf ES Guss übertragen haben. Von den Zulieferern heißt es, Car Trim und ES Guss seien „eigenständige Unternehmen“, sie seien aber finanziell verzahnt – also quasi eine Schicksalsgemeinschaft. Wie genau die Abhängigkeiten sind und wer das Sagen hat, ist unklar. Fest steht, dass der Lieferstopp der Getriebe VW am härtesten trifft.

Bisher müht sich Volkswagen gerichtlich darum, die Teile notfalls vom Gerichtsvollzieher beschlagnahmen zu lassen. Parallel aber soll der Konflikt am Verhandlungstisch die Wende bringen. Das Ende ist offen.

Das Bundeswirtschaftsministerium dringt auf eine rasche Lösung im Streit zwischen dem Autobauer Volkswagen und zwei Zulieferern. „Wir gehen davon aus und erwarten auch, dass die beteiligten Unternehmen die ungeklärten Fragen so bald wie möglich lösen können“, sagte ein Sprecher am Montag.

Der Streit zwischen dem Autobauer Volkswagen und zwei Zulieferern könnte nach Experteneinschätzung zu einer Belastungsprobe für die gesamte Branche werden. „Die Folgewirkungen für die gesamte Wertschöpfungskette sind schon heute beträchtlich“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME), Christoph Feldmann. Es drohe nicht nur Kurzarbeit in mehreren Fabriken – hinter der Produktion des VW-Golf stünden auch rund 500 Top-Lieferanten, die zunehmend in Schwierigkeiten gerieten. Betroffene Firmen könnten derzeit ihre Teile nicht ausliefern und müssten Bestände aufbauen.

Ein einheitliches Branchenbild war am Montag für die Firmen in Sachsen-Anhalt nicht zu erfahren. Jürgen Ude, Mahreg-Vorsitzender, sagte: „Auswirkungen auf die Zulieferer in Sachsen-Anhalt sind mir im Moment nicht bekannt.“