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Krise Milch wird für 26,5 Cent verschleudert

Die Milchbauern stehen am Abgrund. Mit 26,5 Cent pro Liter werden sie seit Monaten abgespeist.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 09.10.2015, 11:55

Hohengöhrener  Damm l Zehn Cent mehr müssten es zur Deckung der Kosten sein, bei 40 Cent wird die Arbeit auch mit Gewinn belohnt. Hartwig Dammeyer, der vor 25 Jahren mit seiner Familie auf den Hohengöhrener Damm gekommen ist, um auf dem Areal der alten LPG seinen landwirtschaftlichen Betrieb aufzubauen, ist so schnell nicht aus der Ruhe zu bringen. Er hat auch keine großen Ansprüche, will nicht meckern und klagen. „Aber wenn nicht bald Licht am Ende des Tunnels ist und die Milchpreise aus der Talsohle kommen, dann ...“ Weiter spricht er nicht. Er weiß von vielen Berufskollegen, die aufgegeben haben oder mit dem Gedanken spielen. „Noch können wir das Minus, das wir tagtäglich in der Milchproduktion machen, durch unsere anderen Einnahmen stopfen. Wenn es so weiter geht, brauchen wir einen Kredit.“ Der Ackerbau, die Mast und die Biogasanlage sind die anderen Standbeine der Ostfriesland GbR. Hier stehen neben Annedore Dammeyer und Sohn Enno noch sieben weitere Beschäftigte in Lohn und Brot. „Die Getreideernte war ganz zufriedenstellend und wir haben angemessen Geld dafür bekommen. Eigentlich muss es angelegt werden, um den Winter über Kapital zu haben und um vielleicht auch irgendwann einmal wieder in Neues investieren zu können. Aber die Einnahmen gehen weg, weil durch die Milch viel zu wenig reinkommt.“

„Das ist weniger als ein Hungerlohn!“

Im Milchjahr 2013/14 lag der Preis bei 33 Cent. „Das ist eine Summe, mit der man leben kann. Aber in diesem Milchjahr liegen wir bei 26,5 Cent.“ Weniger als ein Hungerlohn!

250 Milchkühe stehen im Stall und auf der angrenzenden Koppel. Sie liefern durchschnittlich pro Kuh 8000 Liter – also insgesamt 2 Millionen Liter pro Jahr. Der Verlust liegt so bei rund 200 000 Euro. „Es ist bitter, wenn man für Arbeit, die man leistet, nicht bezahlt wird – im Gegenteil: wir buttern ja noch ordentlich zu“, belastet Hartwig Dammeyer diese Situation sehr.

Er ist ist im Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) organisiert. Anders als die zweite Organisation für Landwirte – der Bauernverband – setzt sich der BDM für eine Mengensteuerung bei Milch ein.

„Die politische Entscheidung, die Milchquote aufzuheben, war falsch“, so die Ansicht des Hohengöhreners. „Wegen der sinkenden Milchpreise versuchen nun viele Bauern dieses Minus durch mehr Milch auszugleichen. Das ist doch aber nicht richtig! Denn es geht zu Lasten des Wohles der Kühe. Es werden immer mehr eingestallt und auf die Weide kommen sie gar nicht mehr, weil das einfach zu aufwendig ist oder die mit Kraftfutter vollgestopften Kühe diese Anstrengung gar nicht mehr schaffen. Sie sind ohnehin Hochleistungssportler, wenn sie 10 000 und mehr Liter pro Jahr liefern.“ Wie er versucht, das Minus gering zu halten? „Jedenfalls nicht mit mehr Kühen. Und sie können auch nach wie vor zum Spaziergang raus auf die Weide. Wir verzichten auf teures Futter und leben wie gesagt vom Ersparten.“

Hartwig Dammeyer und der BDM hoffen auf ein Umdenken in der Politik: „Unser Landwirtschaftsminister Aeikens ist ja gegen die staatliche Regelung. Aber was ist denn daran so schlimm? In jeder Familie wird genau geplant, wieviel Geld da ist und wer zu Besuch kommt – dementsprechend wird eingekauft, auf keinen Fall mehr. Aber die Milchbauern produzieren und produzieren. Es ist immer mehr Milch auf dem Markt und sie wird zu Dumpingpreisen verschleudert. Das ist doch unsinnig! In Kanada beispielsweise setzen sich Bauern, die milchverarbeitenden Betriebe und Politiker ein- oder zweimal im Jahr zusammen und legen die Milchmenge fest – das funktioniert bestens. So muss es auch in Europa gehandhabt werden!“

Auch bei den Verbrauchern wünschen sich die Bauern ein Umdenken. „Alles wird teurer, nur die Lebensmittel nicht. Sie werden zu Sonderpreisen angeboten. Ein Kilo Rindfleisch gibt‘s im Angebot für 3,99 Euro, die Zigaretten dagegen kosten über 5 Euro – das kann doch nicht sein! Da wird weder das Tier noch die Arbeit der Landwirte wertgeschätzt. Wenn man die Produkte zu einem für die Produzenten gerechten Preis einkaufen würde, würde man vielleicht auch sorgsamer und somit sparsamer damit umgehen.

„Wir wollen keine Bittsteller sein“

Die Politik ist gefragt, den Milchbauern aus der Krise zu helfen. „Aber nicht mit weiteren staatlichen Zuschüssen!“ ist es Hartwig Dammeyer wichtig. „Das Geld ist doch so und so nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir wollen keine Bittsteller sein, sondern wie schon unsere Vorfahren einzig und allein von unserer Arbeit leben können. Das geht nur, wenn die Preise auch fair sind. Und dafür brauchen wir eine Mengenregelung.“

Hartwig Dammeyer sorgt sich um seinen Betrieb, den einmal Enno übernehmen soll. Und er will auch keinen der Angestellten entlassen. „Alle sind Gold wert! Sie arbeiten hier hart gerade mal für den Mindestlohn, verdient hätten sie 13, 14 Euro für das, was sie leisten. Aber die können wir nicht zahlen, weil wir ja gerade so über die Runden kommen.“

Auf die politischen Äußerungen auch von Minister Aeikens, dass die Milchpreise wohl nun langsam wieder steigen sollen, weil auf dem Weltmarkt wieder mehr gebraucht wird, vertraut Hartwig Dammeyer wenig. „Das glaube ich erst, wenn das Geld tatsächlich im Portemonnaie ist. Und dann ändert sich auf dem Markt wieder etwas und die nächste Krise steht an. Deshalb ist die staatliche Regelung für Deutschland und Europa so wichtig.“