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Autobiografisch Schmerzhaft: "Die Familie" von Andreas Maier

Vor knapp zehn Jahren hat Andreas Maier ein literarisches Selbsterfahrungsprojekt gestartet. Im siebten Band seiner Wetterau-Chronik widmet er sich dem eigenen vermeintlichen Familienidyll. Dabei gräbt er tief - es wird schmerzhaft.

Von Thomas Maier, dpa 02.07.2019, 12:19

Frankfurt/Main (dpa) - Andreas Maier gilt als moderner Heimatschriftsteller. Fast alle seine Bücher kreisen um die nördlich von Frankfurt gelegene Wetterau, wo der Autor im Jahr 1967 geboren wurde. Seine Herkunft hat er zu einem großen autobiografischen Projekt gemacht, das auf elf Bände angelegt ist.

"Ortsumgehung" heißt doppeldeutig die Erforschung der eigenen und auch der regionalen Geschichte. Es begann mit "Das Zimmer" und "Das Haus" - der Orbit wurde dann erweitert. Zuletzt erschien "Die Universität".

Im siebten Teil unternimmt Maier nun den Versuch, die eigene Familie erfahr- und verstehbar zu machen. Es wird ein schwieriges Unterfangen. Erst einmal geht es bei ihm zu Hause im Städtchen Friedberg genauso so zu wie in vielen bürgerlichen Familien in den 1960/70er Jahren. Die Kinder rebellieren gegen die strenge Etikette zu Hause - das beginnt bei den richtigen Manieren am Esstisch. Der einige Jahre ältere Bruder treibt sich gerne bei "Hasch-Hugo" in libertären Kreisen herum, was die Eltern um sein Wohl fürchten lässt.

Die bürgerliche Fassade zerbricht zu Hause endgültig, als der Vater in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf dem großen Familiengrundstück eine alte Mühle von einem Bagger zerstören lässt. Das Fachwerkgebäude hatten die Behörden unter Denkmalschutz gestellt. Das durchkreuzte die Pläne der Familie, die dort bauen wollte. Der Vater - als Jurist in einem Unternehmen beschäftigt - gibt sich den Kindern gegenüber ahnungslos, während der Fall hessenweit für Schlagzeilen sorgt. Doch Maiers Buch ist keine Groteske.

Der Autor gräbt in der von Mythen und Lügen umrankten Familiengeschichte noch ein bisschen tiefer. Dabei geht es auch um die Mutter, die nach 1945 einen traditionsreichen Steinmetz-Betrieb übernahm, der dann zum Familiensitz wurde. Plötzlich erfährt der Autor mit Hilfe einer Freundin, dass ein Teil des riesigen Familiengrundstücks vor dem Krieg einem jüdischen Fabrikanten gehörte. "Wir sind die Kinder der Schweigekinder" lautet die bittere Erkenntnis Maiers. Mehrfach fragt er die Mutter, der er auch die Liebe zur Literatur verdankt, nach den familiären Verstrickungen während des Nationalsozialismus. Eine richtige Antwort erhält er nicht. Letztlich bleibt ihm nur noch Zynismus: "Meine Familie ist eine Familie, die immer Grabsteine gemacht hat. Auch ihren eigenen."

In der laufenden Chronik der "Ortsumgehung" ist der neue Band sicherlich der für den Autor schmerzhafteste. Maier erzählt dies essayistisch in einem lakonischen Ton, manchmal mit fast böser Ironie. Ein Zeichen dafür, wie hilflos er den starren Konventionen seiner Familie gegenübersteht. "Avatare" - also künstliche Personen - nennt er deren Mitglieder, weil sie in ihren vorgegebenen Rollen feststecken. "Ich selbst bin ein solcher Avatar, ohne es gewusst zu haben." Es scheint ganz so, als ob der Autor mit seiner Familie noch lange nicht fertig ist.

Andreas Maier: Die Familie, 166 Seiten, Suhrkamp Verlag Berlin, 20 Euro, ISBN: 978-3-518-42862-7

Die Familie