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Bürger im Berliner Osten wehren sich gegen Flugrouten über das Naherholungsgebiet Müggelsee Kein Kompliment: Klaus Wowereit gilt in Friedrichshagen als Überflieger

25.08.2011, 04:28

Von Arne Bensiek

Joachim Schmidt hat den Schrecken der Friedrichshagener herangekarrt. Aus seinem Transporter dröhnt es über den Marktplatz. Auf der Ladefläche hat der 60-Jährige Boxen und Basslautsprecher gestapelt, die beiden Hecktüren stehen offen. Schmidt dreht an einem Regler, bis der Lärm die Kleidung am Körper vibrieren lässt. "Das ist original Schönefeld, das habe ich aufgenommen", prahlt er und grinst.

Normalerweise kommt aus seinen Boxen Musik, heute Abend hat DJ Jojo Fluglärm aufgelegt. Die Menschen im Berliner Stadtteil Friedrichshagen sollen hören und fühlen, was ihnen bald bevorstehen könnte. Schmidt will mit seiner Vorführung auch die Letzten wachrütteln, um das Unheil vielleicht doch noch abzuwenden.

Es ist die siebte Montagsdemonstration der Friedrichshagener gegen eine Flugroute genau über ihre Köpfe. Fast 5000 Menschen sind auf den Marktplatz gekommen, viele Rentner, viele Familien mit Kindern. Der Stadtteil im Berliner Südosten liegt direkt am Müggelsee, einem der beliebtesten Naherholungsgebiete der Stadt. Auch wenn der Wannsee im Westen Berlins bekannter ist, gilt der Müggelsee als Europas größter See auf Stadtgemarkung.

Bis zum Flughafen Schönefeld sind es von hier nur 15 Kilometer. Doch bisher machten die Flieger um den Stadtteil einen Bogen. Das soll bald anders sein. Bei Ostwind soll dann alle sieben Minuten ein Flugzeug über das Naherholungsgebiet hinwegdonnern. Das sieht das Flugroutenkonzept für den neuen Hauptstadtflughafen so vor.

Wenn nach dem Flughafen Tempelhof 2008 im nächsten Sommer auch Tegel dichtmacht, eröffnet einen Steinwurf vom jetzigen Flughafen Schönefeld der neue Flughafen Berlin Brandenburg - der künftig einzige Berlins. Die Planungen dazu laufen seit 1998. In Friedrichshagen haben die meisten aber erst vor ein paar Wochen erfahren, dass bald Flugzeuge über ihre Köpfe hinweg starten sollen. Von den Flughafenplanern hieß es immer, die Maschinen würden nach dem Start erst einmal weiter geradeaus fliegen.

In diesem Fall müsste das nachfolgende Flugzeug aus Sicherheitsgründen großen Abstand halten. "Damit lässt sich dann nicht die gewünschte hohe Frequenz an Flugzeugen erreichen", erklärt Axel Raab von der Deutschen Flugsicherung (DFS). Immerhin solle der neue Flughafen drei ehemalige ersetzen. Mit 360000 Starts und Landungen pro Jahr rechnet der Flughafenbetreiber. Die sind aber nur zu erreichen, wenn die Maschinen nach dem Start schnell abdrehen, zum Beispiel nach Norden über den Müggelsee. "Schlimm ist, dass man den Menschen das nicht schon lange offen gesagt hat", kritisiert Raab.

"Die Leute hier sind hinters Licht geführt worden", schimpft Konrad Kobel. Für den 49-jährigen Bauingenieur gilt das besonders. Kobel ist auf der anderen Seite des Sees, in Müggelheim aufgewachsen. Als er vor zwei Jahren erfuhr, dass die Maschinen des neuen Flughafens bald südlich von Müggelheim aufsteigen sollen, verkaufte er kurzerhand das Haus seiner Familie. Schließlich wollte er nicht unter einer Abflugbahn leben. Die Immobilienpreise im Ort waren da schon um 30 Prozent gefallen.

"Das ist Vertreibung"

Von der zuständigen Planungsbehörde des Flughafens, dem Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung des Landes Brandenburg, ließ Kobel sich versichern, dass Friedrichshagen von den künftigen Flugrouten nicht betroffen sei. Dann kaufte er auf der anderen Seite des Müggelsees ein Grundstück und baute dort ein Haus. Als die DFS Anfang Juli die Flugroute über den Müggelsee und Friedrichshagen präsentierte, war Kobel geschockt. "Das ist Vertreibung", bilanziert er.

Ein paar Meter weiter hat der berühmteste Friedrichshagener die Bühne betreten. Regisseur Leander Haußmann, der Filme wie "Sonnenallee" oder "Herr Lehmann" gedreht hat, ist hier aufgewachsen. Er gehört zu den Stammgästen am Mikrofon und nimmt kein Blatt vor den Mund. Eine Woche ist es her, da hat er gerufen: "Wowereit, komm endlich her! Lass die spitzmündigen Feiern, deine Partys und das Fashionzeugs. Hebe deinen Arsch hierher und übe deinen Beruf aus, sei ein Meister der Bürger!"

Bei den Friedrichshagenern kam das gut an. Seit Wochen fordern sie, Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) solle kommen und die unsägliche Flugroute erklären. Schließlich ist der Sozialdemokrat nicht nur Oberhaupt Berlins, sondern zugleich Aufsichtsratschef des neuen Flughafens. Doch Wowereit kommt nicht. Rechts neben die Bühne haben die Flugroutengegner deshalb einen Platzhalter gehängt, ein riesiges Transparent. Es ist eine Fotomontage, die einen grinsenden Wowereit mit einem I-love-Müggelsee-T-Shirt zeigt. Ironie, Wunschtraum und Verzweiflung in einem.

Wenigstens hat Wowereit eine Delegation der Bürgerinitiative vor ein paar Tagen im Roten Rathaus empfangen. Leander Haußmann ließ er ausladen. Für die verbliebenen Gäste gab es nichts zu gewinnen. Wowereit ist gegen das Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr, gleichzeitig will er den neuen Flughafen zu einem internationalen Drehkreuz ausbauen lassen - ein Vorhaben, für das der Standort Schönefeld laut Planfeststellungsbeschluss gar nicht geeignet ist.

Ein solches Drehkreuz hätte in Sperenberg, 43 Kilometer von Berlin entfernt, entstehen können. Dem damaligen regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) gefiel die kleinere, stadtnahe Lösung aber besser. Sein Nachfolger Wowereit versucht nun das Maximum für seine Weltstadt herauszuholen. Die Haltung zur Flugroute über den Müggelsee lautet: "Sie ist ein Kompromiss", sagt Senatssprecher Richard Meng. Irgendjemand sei schließlich immer betroffen. Auf viele Stimmen aus Friedrichshagen braucht Wowereit bei der anstehenden Berliner Wahl nicht zu hoffen. Sie nennen ihn hier den Überflieger.

"Ich habe ein Wort benutzt, das nicht fein war", ruft Leander Haußmann jetzt in die Menge. "Aber das Wort ist in der Literatur schon länger verbreitet und es wird auch länger verbreitet sein als der Name Wowereit." Frenetischer Applaus, Jubel, einige Demonstranten heben Schilder in die Luft. "Skandal! (Einfluss-)Reichen-Viertel verschonen" steht auf einem. Ein Vorwurf, den viele hier teilen.

"Hinterher heißt es, die Ossis jammern"

Denn als vergangenen Herbst bekannt wurde, dass der Wannsee von den neuen Flugrouten betroffen sein würde, meldeten sich sogleich Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Wort. Unter keinen Umständen dürfe der Wannsee dem Fluglärm zum Opfer fallen. Es gelte den Vertrauensschutz zu wahren, schließlich sei der Wannsee in den Planungen des neuen Flughafens nie als Überfluggebiet eingeplant gewesen. In der Villenkolonie am Seeufer lassen sich gerne die nieder, die in Berlin etwas darstellen - und offenbar eine Lobby haben. Am Müggelsee warten sie auf den Aufschrei der Politiker bisher vergeblich.

Leander Haußmann ist von der Bühne geklettert. Das Ost-West-Thema helfe in der Diskussion nicht, betont er. Zwar gäbe es hier im Osten Berlins viele Menschen, die das Gefühl hätten, sie zählten mal wieder nichts. "Aber hinterher heißt es wieder, die beleidigten Ossis jammern ja immer." Es ginge darum, dass der Vertrauensschutz auch für die Anwohner des Müggelsees gelten müsse. Viele von hier, die sich in der Planungsbehörde frühzeitig über die Routen informieren wollten, seien weggeschickt worden mit dem Verweis, sie seien nicht betroffen.

Haußmann beteuert, er habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Am Sonntag planen die Gegner eine Menschenkette um den Müggelsee - zwölf Kilometer Protest. "Wir können eine Verunsicherung in Politikerkreisen erzeugen, schließlich will keiner als Zerstörer dieser tollen Region in die Geschichte eingehen", betont der Regisseur. Und wenn die Flugzeuge doch über den Müggelsee fliegen? "Ich wohne zum Glück nur zur Miete, ich würde umziehen", verrät Haußmann. An den ruhigeren Wannsee? "Dafür reicht mein Geld nicht."

Das Gerede über die bevorteilten reichen Wessis kann Marela Bone-Winkel nur schwer ertragen. Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin wohnt mit ihrer Familie in einem Haus unweit vom Wannsee. "Hier sitzt nicht die Latte-Macchiato-Fraktion, die Angst hat, dass Flugzeuge über ihre Yachten fliegen", stellt sie klar. Es handle sich um eine historisch-politische Sondersituation, weil den Bürgern bei der Planung des neuen Flughafens Informationen vorenthalten worden seien - im Osten wie im Westen. "Der Bürgerbeteiligungsprozess müsste eigentlich nachgeholt werden", fordert Bone-Winkel, die nun auch die Friedrichshagener unterstützt.

Am Wannsee hätten sie sich früher gegen die Flugrouten gewehrt, weil die Strecke früher bekannt wurde als die Müggelseeroute. 85 Prozent der drohenden Überflüge konnten Bone-Winkel und ihre Mitstreiter so verhindern. Manchen am Müggelsee mag dieser Teilerfolg wie eine Bevorzugung der Westberliner vorkommen. Doch mit 55 Überflügen am Tag bei Westwind wird es auch am Wannsee nicht still bleiben. Über das geforderte Nachtflugverbot wird schließlich im September das Bundesverwaltungsgericht entscheiden.

Auf dem Friedrichshagener Marktplatz hat Joachim Schmidt seine rollende Fluglärmdisco dichtgemacht. Er ist zufrieden mit dem Ergebnis seiner Beschallung. Irgendwann am Abend sei eine Frau zu ihm gekommen und habe ihn gebeten, den Lärm doch bitte abzuschalten. "Das habe ich gerne gemacht", sagt Schmidt. So leicht werden es die Menschen im Südosten Berlins mit dem echten Fluglärm nicht haben.