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Medizin-Ethik Chips unter der Haut

„Cyborgs“ gibt es nicht mehr nur in der Science-Fiction-Welt. Einige Technik-Freaks tragen schon Magneten und Chips unter der Haut.

Von Anne-Béatrice Clasmann 19.10.2015, 23:01

Berlin (dpa) l Aufgepolsterte Brüste und Fitnessarmbänder, die unsere Schritte zählen, sind nur zwei von inzwischen Hunderten von tragbaren Hilfsmitteln zur körperlichen „Selbstoptimierung“. Eine kleine Gruppe experimentierfreudiger Technik-Fans geht noch einen Schritt weiter. Sie lässt sich ohne Not und medizinische Notwendigkeit Magneten oder Chips unter der Haut einpflanzen, um dadurch das Spektrum ihrer körperlichen Funktionen und Sinneswahrnehmungen zu erweitern.

„In einer liberalen Gesellschaft wie der unseren, kann jeder seine Selbstoptimierung nach eigenen Wünschen handhaben, solange er nichts Verbotenes oder für andere Gefährliches tut“, sagt Alena Buyx, Leiterin der Arbeitsgruppe Medizinethik an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Dies gelte auch für Implantate sowie für verschreibungspflichtige Medikamente, mit denen sich die geistige oder körperliche Leistungsfähigkeit steigern ließen.

Die schwedische Firma, die ihren Mitarbeitern vor einigen Monaten anbot, sich einen Chip implantieren zu lassen, der mit der Schließanlage ihres Büros und dem Kopierer interagiert, ist dagegen schon ein anderes Kaliber. Denn die Mitarbeiter wurden zwar nicht gezwungen, sich den reiskorngroßen Radiofrequenz-Identifikationschip einpflanzen zu lassen. Ein Implantat zum Vorteil des Arbeitgebers findet Buyx dagegen „aus ethischer Sicht problematisch“.

Der Soziologe Dierk Spreen spricht in seinem jüngst erschienenen Buch über den „Körper in der Enhancement-Gesellschaft“ von einer „Upgradekultur“ in der „verdatete und vernetzte Körper“ um individuelle Optimierung ringen. Er findet, angesichts der jetzt schon starken Durchdringung des Leibes mit Technologien wirke es fast schon mittelalterlich, wenn jemand versuche, klar zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Wesen zu unterscheiden.

Magnet im Finger

 

Auch Stefan Greiner (31) aus Berlin fasziniert die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Er arbeitet gerade mit seinen Kollegen an einem Armband, das Migräne-Attacken vorhersagen soll. Greiner, der im Allgäu ohne Fernseher im Haus aufgewachsen ist, gehört einem Verein an, der sich „Cyborgs“ nennt. Mit dem Begriff „Cyborg“ bezeichnet man Menschen, deren Körper durch künstliche Bauteile verändert worden sind. Den kleinen, mit Silikon ummantelten Magneten, den er sich in den Finger hatte einpflanzen lassen, trägt er zurzeit nicht mehr. „Ich musste mich zur Untersuchung meiner Rückenprobleme in die Röhre legen, und da hatte ich Angst, dass mir das Gerät den Magneten aus dem Finger zieht“, sagt er.

Und wie war seine Erfahrung mit dem Magneten? „Toll, ich überlege sogar, ob ich mir wieder einen implantieren lassen soll.“ Dass es Menschen gibt, die eine technische Selbstoptimierung, die nicht der Heilung von Krankheiten dient, ablehnen, kann er nicht nachvollziehen. Er sagt: „Das sind meist Menschen, die von einem normierten Menschenbild ausgehen, das ich selbst grundsätzlich infrage stellen würde, denn jeder Mensch ist anders.“ Auch sei die Grenze zwischen medizinisch gebotenen Implantaten und der Verbesserung des eigenen Körpers ohnehin fließend. „Denn oft ist es ja auch so, dass ein medizinisch indiziertes Implantat besser funktioniert als das biologische Original“, sagt Greiner.

Wie die meisten Forscher zum Thema Mensch-Maschine, so erwartet auch Greiner, „dass der maschinelle Part in unserem Leben weiter nach oben gehen wird“. Er sagt: „In Zukunft gibt es extreme Potenziale und Gefahren. Dabei ist vor allem die Frage entscheidend, wer die Hoheit über unsere Daten hat.“