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Tag der Freundschaft Luftballon flog zur besten Freundin

Freundschaft ohne Tabuthemen ist ein relativ junges Phänomen. Zwei Frauen haben dabei sogar die deutsch-deutsche Teilung überwunden.

Von Ulrike von Leszczynski 29.07.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Manchmal fragt sich Stefanie Wally, ob sie so mutig gewesen wäre wie ihre Freundin in Ostdeutschland. Als sie Teenager waren, stand Anke Behrendt 1988 vor einer schweren Entscheidung. Eine SED-Parteisekretärin ließ sie wissen, dass sie ihren Traumjob bekommen könne. Aber nur, wenn sie ihre Verbindung zu Freundin Stefanie in Westdeutschland abbricht. Behrendt entschied sich gegen die Ausbildung. „Wer verzichtet denn wegen einer Brieffreundin auf seine berufliche Zukunft?“, sagt Stefanie Wally noch heute.

Für sie war die Entscheidung ihrer Freundin damals ein „Riesengeschenk“. Die ungewöhnliche und tiefe Freundschaft ist inzwischen zu einem sehr persönlichen Stück deutsch-deutscher Geschichte geworden. Sie begann, als Stefanie 1977 auf einem Volksfest in Dossenheim nahe Heidelberg einen Luftballon mit einer Postkarte steigen ließ. Darauf stand: „Bin sechs Jahre alt und habe zur Zeit das Bein gebrochen. Würde mich freuen, wenn ich Antwort bekäme.“

Der Wind trieb den gelben Ballon vor 40 Jahren über die innerdeutsche Grenze hinweg. Drei Tage später ging ihm nahe Meißen die Luft aus. Stefanie erhielt Ankes Antwort in Kinderschönschrift: „Mein Opa fand den Luftballon heute auf einem Feld bei unserem Dorf. Ich wohne in Dennschütz bei Lommatzsch. Ich bin sechs Jahre alt und gehe in die erste Klasse. Für Dein gebrochenes Bein wünsche ich Dir gute Besserung. Über einen Brief von Dir würde ich mich sehr freuen.“ Das war der Beginn ihrer Verbindung, von der Stefanie Wally heute sagt: „Die hält lebenslang.“

Für Psychotherapeut und Buchautor Wolfgang Krüger liegen die beiden Frauen, die sich wie Schwestern fühlen, im Trend. „Wir leben in einer Blütezeit der Freundschaft“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur vor dem Internationalen Tag der Freundschaft am 30. Juli. Krüger definiert Freundschaften als Sympathiebeziehungen, in denen Menschen offen und vertrauensvoll über sich selbst reden können. Der Forscher schätzt, dass das in Deutschland erst seit rund 40 Jahren in dieser Intensität möglich ist. „Wir leben in einer Zeit, in der wir in der Lage sind, über uns selbst nachzudenken. Das war unseren Eltern und Großeltern in den Kriegs- und Nachkriegszeiten kaum möglich, sie waren mit Überleben und Wiederaufbau beschäftigt.“

Für Stefanie Wally und Anke Behrendt gibt es keine Tabuthemen. Aus Mädchenbriefen über die Schule und Postkarten aus dem Urlaub wurde ein tagebuchartiger Austausch junger Frauen über ihren Alltag in einer westdeutschen Einfamilien- haussiedlung und dem ländlichen Ostdeutschland, über die erste Liebe – und immer häufiger auch über Politik.

Elf Jahre lang haben sich die beiden Mädchen geschrieben, bis sie sich mit 17 das erste Mal in Ostberlin treffen konnten. Das war 1988. „Wir haben bald Fluchtpläne für Anke geschmiedet. Ich dachte an einen doppelten Boden im Auto bei Ferien in Ungarn“, erzählt Wally.

Die Geschichte war schneller. Rund ein Jahr nach ihrem ersten Treffen fiel die Mauer. Stefanie Wally studierte Geschichte, Politik und Germanistik – im Westen. Anke Behrendt blieb im Osten und studierte in einer neuen Zeit, was ihrem Traum am nächsten kam: Betriebswirtschaft. Auch im Zeitalter von Internet und E-Mails halten die Freundinnen am Briefschreiben fest – und an gegenseitigen Besuchen in Leipzig und Karlsruhe.