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Rentendebatte SPD will Rentengarantien bis 2040

Die SPD prescht mit einer Art Rentengarantie bis 2040 vor. Aber wer soll das bezahlen?

Von Georg Ismar 20.08.2018, 17:44

Berlin (dpa) l Olaf Scholz denkt viel über Donald Trump nach. Kaum ein Buch hat ihn zuletzt so bewegt wie "Hillbilly Elegy" von J. D. Vance über die Verlustängste der ländlichen weißen Arbeiterschicht. Es beschreibt die Welt der Wähler des US-Präsidenten. Für den deutschen Vizekanzler ist eine sichere Rente ein Vehikel, um einen deutschen Trump zu verhindern. Doch die von ihm angezettelte Debatte hat auch noch einen anderen Grund: die tiefe SPD-Krise.

Sein Sprecher steht am Montag mit etwas leeren Händen da. Nein, ein eigenes Finanzierungskonzept gebe es bisher nicht. Scholz hat in ein Wespennest gestochen, als er der "Bild am Sonntag" sagte: "Wir werden darauf bestehen, dass die Bundesregierung ein stabiles Rentenniveau auch in den 20er und 30er Jahren gewährleistet und ein plausibles Finanzierungsmodell vorlegt." Sonst droht er mit einem Rentenwahlkampf. In Zeiten mieser Umfragewerte – um die 17 Prozent und einem drohenden Überrunden durch AfD und Grüne sucht die SPD händeringend ein Thema, um jenseits der ungeliebten großen Koalition das eigene Profil zu schärfen. Daher nun der Renten-Ballon.

Auf die Frage, ob Scholz den Rentenvorstoß als Vizekanzler oder als SPD-Vize getätigt habe, sagt sein Sprecher: "Grundsätzlich sind es keine gespaltenen Persönlichkeiten, die dieses Land führen." Neben parteipolitischer Abgrenzung weiß der Bundesfinanzminister aber auch: Es ist ein Problem mit sozialem Sprengstoff, die Sicherung einer auskömmlichen Altersversorgung sorgt viele Bürger weit mehr als zum Beispiel das Flüchtlingsthema. Und da sich Union und SPD nur auf Garantien bis 2025 einigen konnten, wurde eine Kommission eingesetzt.

Vereinbart wurde im Koalitionsvertrag dreierlei: eine Absicherung der gesetzlichen Rente auf dem heutigem Niveau von 48 Prozent bis 2025, eine Begrenzung des Anstiegs des Beitragssatz von heute 18,6 auf nicht über 20 Prozent und die Einsetzung einer Kommission zur langfristigen Stabilisierung der Beiträge und des Rentenniveaus nach 2025. Bis dahin wird ein Rentenniveau von besagten 48 Prozent garantiert – im Vergleich von 45 Jahren Beitragszahlung und dem aktuellen Durchschnittsverdienst im Land. Brummt die Konjunktur wie zuletzt, steigen die Löhne und damit automatisch die Renten, im Juli wurden sie zuletzt um 3,22 Prozent im Westen um 3,37 Prozent im Osten erhöht. Doch der gute Schein trügt.

Die Menschen werden immer älter – und bald gehen die sehr starken Geburtenjahrgänge in Rente, die aber weniger Kinder als ihre Eltern bekommen haben. Daher kommen auf die künftigen Arbeitnehmer höhere Lasten zu. Denn die Renten werden zum großen Teil aus den laufenden Beitragseinnahmen und über einen Bundeszuschuss finanziert. Schon im Wahlprogramm wollte die SPD das Rentenniveau von 48 Prozent bis 2030 garantieren – finanziert durch einen steigenden Beitragssatz von 22 Prozent und mit Steuerzuschüssen höherer Einkommen.

Nach teils befremdlichen Sommerdebatten ist die Rentendiskussion eine mit viel Relevanz. Die Reaktionen: Kanzlerin Angela Merkel bremst. Klar, man wolle die Alterssicherung auch nach 2025 "leistungsfähig und auch tragfähig bewahren", sagt Merkels Sprecher Steffen Seibert. Aber das Wort stabilisieren meidet man tunlichst. Die Kommission soll Lösungen diskutieren. Der Vorstoß habe "sehr viel mit Parteitaktik zu tun", meint CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Ihr SPD-Kollege Lars Klingbeil erwidert, die Union wolle "offenbar nichts für langfristig stabile Renten in Deutschland tun".

Die FDP fordert, das System umzubauen, auch mit mehr kapitalgedeckter Vorsorge. Und gezielte Maßnahmen gegen Altersarmut, statt immer größere Milliardensummen nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen. "Wir reden hier schon im Jahr 2035 über weitere 80 Milliarden Euro zusätzlich – Jahr für Jahr", sagt der rentenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, mit Blick auf den Scholz-Vorschlag für eine Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent. "Wie sollen die Jüngeren das bezahlen? Soll der Rentenbeitragssatz explodieren, was gerade Geringverdiener belasten würde?", fragt Vogel, 36 Jahre alt. Er fordert unter anderem, einen flexiblen Renteneintritt nach skandinavischem Vorbild. "Das passt besser zu den vielfältigen Lebensläufen von heute." Und würde längeres Arbeiten belohnen.

Sozialverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) unterstützen dagegen grundsätzlich den Vorstoß, einige fordern aber sogar ein Rentenniveau von 50 Prozent plus x, da etwa das Wohnen teurer wird.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach verweist zudem auf das rot-grüne Projekt der oft mit Verlusten verbundenden Riester-Rente: "Das politische Abenteuer aus dem Jahr 2001, die Alterssicherung teilweise zu privatisieren, ist krachend gescheitert", sagt sie.

Doch wie soll das Niveau garantiert werden? SPD-Generalsekretär Klingbeil sagte schon zum Start der Kommissionsarbeit im Juni: "Rente mit 68, 70 oder noch später (...) wird es mit der SPD nicht geben." Sinkt das Rentenniveau wegen weniger Beitragszahlern aber, kostet jede Erhöhung um einen Prozentpunkt nach Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung 6,975 Milliarden Euro. "Die Rente ist sicher" – kaum ein Politikersatz brannte sich in das kollektive Gedächtnis ein wie der des damaligen Bundesarbeitsministers Norbert Blüm (CDU).

Rund 20 Jahre später sind die Renten nicht mehr sicher, so wie auch die Zeiten andere sind. Daher untermauert Finanzminister Scholz seinen Vorstoß mit einem gewagten gedanklichen transatlantischen Brückenschlag: "Stabile Renten verhindern einen deutschen Trump."

Zum Kommentar "Verstörender SPD-Vorstoß zu Renten" von Steffen Honig