Bon-Pflicht Eine Zettelwirtschaft

Mit dem neuen Kassengesetz gilt ab 2020 für alle Händler die Bon-Pflicht - oder doch nicht?

18.12.2019, 23:01

Magdeburg l Ob zwei Brötchen am Morgen oder ein Stück Bienenstich am Nachmittag: Für jeden Einkauf, den ihre Kunden tätigen, muss Kerstin Ostendorf von der Bäckerei Möhring in Barleben ab Januar einen Beleg bereitstellen. „Dabei will kaum ein Kunde einen Kassenzettel“, sagt die Inhaberin. „Für mich bedeutet diese neue Regelung nur mehr Müll und mehr Kosten, für unsere Umwelt ist das eine Schande.“ Eine Bon-Rolle kostet acht Euro – ohne Mehrwertsteuer. Der Handelsverband Deutschland rechnet im Einzelhandel mit mehr als zwei Millionen Kilometer zusätzlicher Länge an Kassenbons pro Jahr.

Die Beleg-Pflicht ist Teil des „Kassengesetzes“, wie das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen umgangssprachlich bezeichnet wird. Die Bon-Pflicht wurde bereits 2016 beschlossen. Vor wenigen Tagen aber ruderte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zurück und forderte zwei Wochen vor Einführung in einem Schreiben an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), die Pflicht aus dem Gesetz zu streichen. Mit dem neuen Kassengesetz soll es schwerer werden, digitale Daten zu manipulieren – und damit Geld am Fiskus vorbeizuschleusen.

Der Bundesrechnungshof geht davon aus, dass jährlich rund zehn Milliarden Euro Steuergelder durch manipulierte Kassen hinterzogen werden. Erst im Juni dieses Jahres war bekanntgeworden, dass Betrüger in verschiedenen Asia-Restaurants auf diese Weise rund 500 Millionen Euro am Fiskus vorbeigeschleust hatten. Auch Lokale in Sachsen-Anhalt waren beteiligt. Zur jährlichen Schadenshöhe durch Fälle dieser Art im Land, liegen dem Finanzministerium keine Zahlen vor, „da die Höhe der mittels manipulierter Kassensysteme hinterzogenen Steuern nicht gesondert statistisch erfasst wird“, erklärte Sprecher Wolfgang Borchert. Man hoffe, mit dem Kassengesetz eine „eine Eindämmung der Steuerhinterziehungen“ zu erreichen.

Doch zu welchem Preis? Kassenrollen, Druckertinte, Entsorgungskosten für das spezielle Thermopapier - „der Unternehmer bleibt auf allem sitzen“, kritsiert Antje Bauer, Geschäftsführerin der IHK Halle-Dessau. „Steuerhinterziehung muss bekämpft werden, da sind wir ganz beim Gesetzgeber. Dieser Kampf darf aber nicht zu Lasten der in der übergroßen Mehrzahl seuerehrlichen Unternehmen geführt werden.“

Zusätzlich zur Bon-Pflicht müssen alle elektronischen Kassen mit einer zertifizierten, technischen Sicherheitseinrichtung (TSE) ausgestattet sein. Für Händler bedeutet das vor allem mehr Kosten. Die IHK Halle-Dessau geht bei einer Umrüstung von bis zu 500 Euro, bei einer Neuanschaffung von 2000 bis 4000 Euro aus.

Das Paradoxe: Die neue Kassentechnik ist noch gar nicht verfügbar. Auch Ostendorfs Kassenanbieter kann das geforderte, neue Kassensystem bisher noch nicht liefern. Das Problem hat auch das Bundesfinanzministerium erkannt und Anfang November die „Nichtbeanstandungsregelung“ beschlossen. Demnach müssen Händler zwar bis Jahresende einen Auftrag zur Umrüstung veranlasst oder ein neues Kassensystem bestellt haben. Die Vorschriften erfüllen, müssen die Kassen aber erst spätestens Ende September 2020.

„Die Maßnahme schießt über das Ziel hinaus, da sich die schwarzen Schafe neue Möglichkeiten ausdenken, ihr Geld am Fiskus vorbei zu schleusen“, erklärte der wirtschaftspolititsche Sprecher der CDU-Landtagsfraktion bereits im November. Die Kosten für Entsorgung, Papier und Umrüstung der Kassensysteme stünden in keinem Verhältnis.

Für einige Unternehmer könnten die Kosten zudem noch weit höher ausfallen - zum Beispiel für Metzger. Weil in Fleischereien Waage und Kasse verbunden sind. Als das neue Kassengesetz 2016 beschlossen wurde, reagierten viele der rund 300 Fleischereien in Sachsen-Anhalt prompt. Auch Klaus-Dieter Kohlmann, Vorsitzender des Fleischereiverbandes Sachsen-Anhalt, kaufte ein neues Kassensystem – für 6000 Euro. Das speichert nach jedem Arbeitstag automatisch alle Einnahmen. Kommt ein Steuerfahnder zur Prüfung vorbei, kann Kohlmann seine Umsätze, hinterlegt auf einem USB-Stick, vorzeigen.

Ob sein neues Kassensystem allerdings alle technischen Vorschriften erfülllt, weiß er nicht. „Es herrscht viel Unsicherheit bei den Fleischern“, sagt er. „Die Informationslage ist dünn. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn ich auch mein Kassensystem noch einmal nachrüsten muss.“ Laut Ralph Brügelmann vom Handelsverband Deutschland kann die Umstellung der Kassen Steuerbetrug zwar eindämmen, die Belegpflicht trage aber nicht dazu bei. „Denn mit dem ersten Tastendruck beim Kassieren wird eine Transaktion eröffnet, die sich bei einer mit einer TSE ausgerüsteten Kasse nicht ohne Spuren löschen lässt.“ Ob der Kunde einen Beleg erhalte oder nicht, sei dann unerheblich.