1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Urteil verunsichert Landwirte

Schweinehaltung Urteil verunsichert Landwirte

Das „Kastenstand-Urteil“ hat viele Landwirte verunsichert. Sie müssen Strafen befürchten.

29.03.2017, 23:01

Iden/Hannover (dpa/kop) l Der in Iden von Agrarministerin Dalbert (Bündnis 90/Die Grünen) vogestellte Sauen-Deckstall ist nicht volkommen neu. Vielmehr wurde er an die Regularien, die das „Magdeburger Urteil“ mit sich bringt, angepasst. Die Landesanstalt für Landwirtschaft und Gartenbau (LLG) Iden ist Ausbildungsbetrieb und hat damit eine Vorbildfunktion – die neuen Gesetze gelten indes für alle Betriebe. Die Eröffnung gestern war auch von Protesten begleitet. Denn viele Landwirte fühlen sich überfordert. Was ihnen bislang von Amtswegen genehmigt wurde, soll zukünftig mit Strafgeldern geahndet werden.

Bisher verbringt die Sau einen Großteil ihres Lebens in einem engen, kastenförmigen Mini-Stall. Zu wenig Raum, um sich umzudrehen – und zu wenig Platz, um sich ungestört hinzulegen. Das soll sich ändern. Denn das Magdeburger Oberverwaltungsgericht urteilte: Die Kastenstände müssen so breit sein, dass die Tiere sich hinlegen können, ohne mit ihren Beinen in den Kastenstand der Nachbarsau zu kommen. Diese Rechtsauffassung hat das Bundesverwaltungsgericht bestätigt – was in der Branche für riesige Aufregung gesorgt hat.

Nach dem „Magdeburger Kastenstandurteil“ sind viele Sauenställe in Deutschland nicht mehr rechtskonform – und das, so klagen viele Landwirte, von einem Tag auf den anderen. Viele Landwirte wissen nicht so recht, was sie machen sollen.

In Sachsen-Anhalt weicht die Genehmigungspraxis von Landkreis zu Landkreis ab, sagt Daniel Holling vom Stallausrüster-Marktführer „Big Dutchman“ aus dem niedersächsischen Vechta. „Jeder Landkreis und jede Veterinärbehörde ist im Moment eigenständig und unterschiedlich in der Auslegung des Gerichtsurteils unterwegs“, erklärt er. Dass die entsprechende Regel mit dem bürokratischen Bandwurm-Namen Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung geändert werden muss, ist den Ländern und dem Bund klar. Aber die Forderung, die Kästen nur größer zu machen, sei der falsche Weg, sagt der Vorsitzende der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, Thomas Blaha. Der frühere Professor der Tierärztlichen Hochschule Hannover hat sich sein halbes Berufsleben mit der Haltung von Schweinen beschäftigt. „Wenn wir die Kästen vergrößern, haben wir sie wieder für 30 Jahre“, sagt Blaha. Er plädiert mit vielen anderen Tierschützern für den weitgehenden Verzicht auf die Haltung im Kasten. „Man kann die Haltung so betreiben, dass man außer bei der Besamung die Fixierung nicht braucht“, sagt der Tiermediziner.

Andere Länder – die Niederlande und vor allem Dänemark – machen es bereits vor. Dort sind die Sauen für die Zeit der Besamung im Kasten, und kommen kurz darauf wieder in die Gruppe. Für das „dänische Modell“ spricht sich unter anderem auch der niedersächsische Agrarminister Christian Meyer aus. Der Grünen-Politiker hofft, dass sich die Agrarministerkonferenz der Länder bei ihrer Konferenz in Hannover bis Freitag auf eine gemeinsame entsprechende Linie einigen - mit Übergangsfristen von bis zu 20 Jahren für die Landwirte.

Mayer spricht sich für Übergangsfristen aus. „Wir wollen nicht den Abbau, sondern den Umbau der Sauenhaltung“, sagte der Grünen-Politiker vor wenigen Tagen. Die Landwirte sollen beraten und wissenschaftlich begleitet werden. Blaha hält hingegen von einer Übergangsfrist nichts. Die Gefahr, dass viele Landwirte Änderungen auf die lange Bank schieben könnten, sei zu groß. Es müsse vom Ausstieg aus der Kastenstandhaltung die Rede sein. „Für jeden Betrieb müssen Konzepte entwickelt werden, wie man mittelfristig da hinkommen kann“, sagt der Tiermediziner. Mit anderen Worten: Es braucht noch Zeit – aber auch einen Druck auf die Branche. Dann könne der Umstieg gelingen.