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2. Liga Nachreiner und das fast "luxuriöse Dasein eines Doktoranden"

Sebastian Nachreiner ist Verteidiger beim SSV Jahn Regensburg. Für einen Profifußballer macht er aber noch etwas fast schon Unerhörtes: Der 31-Jährige schreibt an seiner Doktorarbeit. Warum macht das jemand in seiner Position?

Von Martin Moravec, dpa 24.03.2020, 09:33

Regensburg (dpa) - Das Wort von Sebastian Nachreiner beim SSV Jahn Regensburg hat Gewicht. Das liegt nicht nur daran, dass der Verteidiger zu den erfahrensten und dienstältesten Spielern beim Fußball-Zweitligisten gehört. Schon seit Sommer 2010 ist Nachreiner für die Oberpfälzer aktiv.

Der "Wastl", so der Spitzname des 31-Jährigen, ist für seine Teamkollegen nämlich auch ein gefragter Ansprechpartner in juristischen Fragen. In letzter Zeit häuften sich zum Beispiel die Erkundigungen wegen angeblich abgewickelter Bestellungen über mehrere Hundert Euro.

"Eine Sprechstunde habe ich noch nicht eingerichtet. Wenn es tatsächlich etwas Gravierendes ist, verweise ich darauf, dass ich noch kein Anwalt bin und man sich besser einen nimmt, um auf Nummer sicher zu gehen", sagte Nachreiner lachend der Deutschen Presse-Agentur und gönnte sich einen Schluck heißen Tee.

Nachreiner ist eine Seltenheit im deutschen Profifußball. Er kann nicht nur gut kicken, sondern er macht auch seinen Doktor in Jura. Bis zum Ende des Jahres will ihn Nachreiner fertigbringen. Es ist ein ambitioniertes Ziel in Zeiten, in denen nicht wenige andere Profis ihre Verschnaufpausen lieber mit Videospielen oder in Sozialen Netzwerken verbringen.

"Das Wichtigste ist, dass man gut organisiert ist, sich einen realistischen Plan zurechtlegt, wann man was machen kann und wann man eine Pause machen sollte. Dann ist es machbar", meinte Nachreiner in der rustikalen Vereinsgaststätte der Regensburger.

Die Frage, warum er neben der Belastung Hochleistungs-Fußball auch noch quasi einen Zweitjob ausübt, hat sich für Nachreiner nie so richtig gestellt. Denn zu Beginn seines Studiums war er noch kein Profi. 2009 spielte er noch in der Landesliga für den FC Dingolfing, ehe er 2010 zur zweiten Mannschaft des SSV Jahn stieß. "Ich wollte nach Regensburg, um zu studieren und nebenbei Fußball spielen, weil es mir Spaß gemacht hat", erzählte der Sohn des Vorsitzenden des DFB-Kontrollausschusses, Anton Nachreiner.

Unter die Freude mischte sich aber noch ein anderes Gefühl. "Ich habe einige Verletzungen gut weggesteckt, es kann aber auch relativ schnell vorbei sein. Dann gibt es eine gewisse Sicherheit, wenn man etwas anderes machen kann", sagte Nachreiner, der zwischen 2014 und 2016 mehrere Bänderverletzungen hatte und lange ausfiel.

Zur Vorlesungszeit musste er auch schon mal ein Training ausfallen lassen. Von seinen Coaches wurde Nachreiner aber immer unterstützt. Derzeit fehlt er kaum. Ein- oder zweimal muss er für eine Veranstaltung nach Köln, wo er eingeschrieben ist. Die Präsenzzeiten in einem Promotionsstudium sind überschaubar, weil man hauptsächlich mit Schreiben beschäftigt ist.

"Die Phase mit der Doktorarbeit ist deutlich angenehmer als teilweise die Phasen während des Studiums, weil ich mein eigener Chef bin und mir komplett selbst einteilen kann, wann ich was mache. Ich führe momentan das luxuriöse Dasein eines Doktoranden, der sich die Zeit selber einteilen kann", sagte Nachreiner lachend, der sich ganz passend ein Thema aus dem Sportrecht herausgesucht hat: "Rechte und Pflichten von Fußballschiedsrichtern".

Es gibt diese Worte des Freiburgers Nils Petersen aus dem Winter 2017, der eingeräumt hatte, dass er in der oberflächlichen Fußballbranche verblöden würde. "Man kann sich ja ein Buch zur Hand nehmen und einfach lesen", entgegnete Nachreiner amüsiert.

Seiner Einschätzung nach könnten die Profivereine durchaus mehr tun, um Fußballer auch auf die Zeit nach der Karriere vorzubereiten. "Im Jugendbereich wird geschaut, dass auch die schulischen Leistungen passen. Das ist schon mal gut", meinte Nachreiner. "Mir fehlen zwar außerhalb des Jahn die Einblicke im Profifußball, aber da ist schon noch viel Luft nach oben, auch von Seiten der Hochschulen, dass man da Angebote zum Studieren schafft, die man nutzen kann, wenn man nicht so flexibel ist, weil man zum Beispiel feste Trainingszeiten hat. Da besteht in Deutschland noch Nachholbedarf, was das Bildungswesen betrifft. Darauf sollten auch die Vereine definitiv noch mehr Wert legen."

Das Leben nach der Karriere beschäftigt auch den Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV, Ulf Baranowsky. "Durch unsere regelmäßigen Erhebungen wissen wir, dass fast jeder zweite Profi weder über abrufbare berufliche Qualifikationen verfügt noch dabei ist, solche zu erwerben", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Als Spielergewerkschaft sensibilisieren wir schon in den Nachwuchsleistungszentren Talente und Eltern dafür, großen Wert auf Bildung, Vorsorge und Absicherung zu legen. Denn eine Fußballerkarriere kann schon mit dem nächsten Foul enden."

Einen ähnlichen Weg wie Nachreiner schlugen vor ihm auch die ehemaligen Bundesligaprofis Josef Kapellmann, Rainer Wirsching oder Philipp Laux ein, die ebenfalls promovierten. "Es gab und gibt sogar Spieler, die ihr paralleles Studium möglichst geheim halten wollen, um sich in sportlich schwierigen Phasen nicht vorwerfen lassen zu müssen, zu wenig auf den Fußball fokussiert zu sein", erzählte Baranowsky.

Dabei könnten auch die Vereine von Profis profitieren, die ihren Horizont nachhaltig erweitern. "Wissenschaftliche Erhebungen und unsere Erfahrungen zeigen, dass Spieler, die sich parallel beruflich weiterbilden, besser mit sportlichen Drucksituationen umgehen können. Denn sie wissen, dass sie bei Misserfolg auf dem Platz nicht ins Leere fallen", erläuterte Baranowsky.

Nachreiner kann da durchaus entspannt sein. Echter Termindruck steht ihm erst mit dem Referendariat bevor, das auf die Doktorarbeit folgt. Das sei parallel zum Fußball aber nicht zu machen, meinte er. Es sei ein Projekt für die Zeit nach der Karriere. Zwei Jahre Vertrag hat Nachreiner noch bei seinen Regensburgern.

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