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Koreanischer Thriller "Burning": Verlorene Jugend voller Geheimnisse

Beinahe zweieinhalb Stunden entführt "Burning" in eine fremde Welt. Drei junge Menschen versuchen, im modernen Südkorea ihren Platz zu finden. Das mysteriöse Großstadtmärchen hält für westliche Zuschauer einige Überraschungen parat.

Von Christian Fahrenbach, dpa 02.06.2019, 13:47

New York (dpa) - Manchmal, da gibt es in einem Film diesen besonderen Moment, der Jahre im Gedächtnis bleiben wird.

Das südkoreanische Freundschafts- und Liebesdrama "Burning" hat genau nach der Hälfte solch einen Augenblick, als Hauptfigur Haemi im untergehenden Sonnenlicht am Rande eines Grundstücks vor dem Häuschen ihres Freundes Jongsu steht, so nah an der Grenze zu Nordkorea, dass schon die geplärrten Ansagen der Propaganda-Lautsprecher herüberdringen. Haemi hebt die Arme und beginnt, nackt im Gegenlicht zu tanzen, nur ihre dunkle Silhouette bewegt sich. Ausbruch und Sehnsucht stecken ihren Bewegungen, all die Energie Anfang Zwanzig, die sich ihren Weg bahnen muss und die doch schon ahnt, dass gesellschaftliche Zwänge die eigenen Träume möglicherweise zerstören.

Doch nicht nur der etwas ungelenke Jongsu betrachtet diesen Tanz, sondern auch Ben, sein Widersacher im Kampf um Haemi: reicher, besser aussehend und deutlich selbstbewusster. Dieser Tanz ist ein stiller Höhepunkt in einem ungewöhnlichen Film über unseren Wunsch zu gefallen, über den Umgang mit dem Begehren und der Wut.

Zu Beginn von Lee Chang-Dongs auf vielen Festivals ausgezeichnetem Film irrt Jongsu als Lieferjunge durch die Straßen Seouls, wo er schließlich vor einer Ladenzeile an einem Mädchen vorbeikommt, das Lose an Passanten verkauft. Sie stellt sich ihm als seine Grundschulfreundin Haemi vor und die beiden verbringen ein mühsames Date miteinander, an dessen Ende sie ihn aber bittet, ihre Katze zu füttern, während sie durch Afrika reist.

Der erfolglose Jungautor willigt ein und verbringt in ihrer Abwesenheit einige Zeit in Haemis Wohnung. Als er sie schließlich nach Wochen am Flughafen abholt, ist da plötzlich ein anderer Mann: Ben, von "Walking Dead"-Star Steven Yeun herausragend zwischen charmant und sinister angelegt. Er ist ein reicher, westlich angehauchter Erbe mit edlem Apartment und dickem Porsche, ein "Gatsby" aus Südkorea, wie Jongsu trocken kommentiert. Die entstehende Dreiecksbeziehung ist angemessen unangenehm und gerät spätestens dann aus dem Gleichgewicht, als nach dem Besuch in Jongsus heruntergekommenem Haus im Niemandsland Haemi plötzlich verschwindet.

Westlichen Zuschauern zeigt diese Coming-of-Age-Dreiecksgeschichte auch, wie wenig sie über den jungen Alltag in Ostasien wissen, wie fremd die südkoreanische Gesellschaft in ihrer Spannung zwischen Tradition und hyperkapitalistischer Moderne ist und wie sehr die Menschen am Ende doch überall auf der Erde die gleiche Sehnsucht danach teilen, zu irgendjemandem dazuzugehören.

Der ungewöhnliche Genremix aus Beziehungsthriller, Jugenddrama und antikapitalistischem Gesellschaftskommentar erlaubt sich dafür in seinen üppigen 148 Minuten viele atmosphärische Einstellungen; bis kurz vor ihrem konventionellen Ende widersteht die langsam erzählte Geschichte vielen eingeübten Sehgewohnheiten. Eine große Stärke des Films ist es außerdem, dass er vieles im Ungefähren lässt: Ist Haemi wirklich eine alte Freundin? Gibt es ihre Katze wirklich? Gibt Ben nur an, als er behauptet, dass er zur Entspannung verlassene Gewächshäuser anzündet - oder geht von ihm eine Gefahr aus?

Die Ambivalenz ist bereits im Ausgangsmaterial angelegt: Die Kurzgeschichte von Erfolgsautor Haruki Murakami, auf der "Burning" basiert, ist nur sechs Seiten lang. Regisseur und Schreiber Lee Chang-dong und sein Co-Autor Oh Jung-mi finden nur mysteriös angedeutete und immer ambivalente Antworten auf all die Fragen, die "Burning" aufwirft - möglicherweise völlig zurecht, denn wessen kann man sich überhaupt sicher sein mit Anfang 20, außer der brennenden Sehnsucht, im Sonnenuntergang zu tanzen?

Burning, Südkorea 2018, 148 Min., FSK ab 16, von Lee Chang-Dong, mit Yoo Aah-In, Jeon Jong-seo, Steven Yeun

Burning