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Blutige Landschaften Christian Alvarts Nachwende-Krimi "Freies Land"

Zwei Mädchen verschwinden spurlos 1992 aus einer ostdeutschen Kleinstadt. Zwei sehr ungleiche Ermittler sollen ihr Schicksal aufklären. In "Freies Land" wird die Wendezeit zum düsteren Krimi.

Von Esteban Engel, dpa 04.01.2020, 12:11

Berlin (dpa) - Blühende Landschaften sehen anders aus. Wenn die Kamera in Christian Alvarts Thriller "Freies Land" aus der Hubschrauberperspektive über ostdeutsche Fluss- und Sumpfgebiete gleitet, wird es brenzlig.

Der Himmel grauverhangen, die Felder verdörrt - Markus Bach und Patrick Stein, die beiden Ermittler, rasen im alten Mercedes über vereiste Erdwege, vorbei an Fabrikruinen und leerstehenden Häusern. Es sieht ziemlich ungemütlich aus in diesem schwarzen Krimi, der in der unmittelbaren Nachwendezeit spielt. Von rosigen Erwartungen ist hier kaum etwas zu spüren.

Junge Leute verlassen in Scharen die kleine Stadt Löwitz an der Neiße in Richtung Berlin. Sie wollen der Ödnis entkommen und in der Metropole eine Perspektive finden. Doch was steckt hinter der Geschichte der beiden Schwestern, die spurlos verschwunden sind? Sind sie auch nach Berlin abgehauen, ohne sich zu verabschieden? Wollten auch sie ihr Glück suchen in der großen Stadt?

Alvart, der unter anderem die Berliner Unterwelt-Serie "Dogs of Berlin" für Netflix drehte, lässt ein sehr ungleiches Paar das Schicksal der verschwundenen Mädchen ermitteln. Der nach Rostock versetzte West-Kommissar Stein (Trystan Pütter) und der Ost-Kommissar Bach (Felix Kramer) tauchen in eine Welt ein, über die noch der lange Schatten der DDR liegt. Mehr oder weniger rechtsstaatstreu der eine, zynisch und abgebrüht der andere - am Ende des Films werden sich der sensible Stein und der raue Bach näher kommen und ähnlicher werden.

Gesellschaftliche Umbrüche lassen sich oft mit Krimis gut beschreiben: Der Ermittler blickt in die dunklen Ecken der Gesellschaft, in der oft nicht nur sprichwörtlich die Leichen im Keller liegen. Alvart nutzt für seinen Film eine Vorlage aus Spanien. In "La Isla Mínima - Mörderland" hatte Regisseur Alberto Rodríguez anhand eines Kriminalfalls die Nach-Franco-Zeit porträtiert. Dreißig Jahre nach der Wende blickt Alvart nun auf die Wiedervereinigung wie ein Kriminalist auf einen Tatort.

Mitten im Winter begeben sich Stein und Bach auf Spurensuche zwischen verkrachten Existenzen und enttäuschten Wendeverlierern. Was zunächst als Einzellfall aussieht, entpuppt sich bald als Serientat. Denn die Schwestern sind nicht die einzigen Verschwundenen aus der Kleinstadt. Doch ob die Mutter der beiden Mächen (Nora Waldstätten) oder die Polizeiführung - sie alle schweigen aus Angst oder stiller Komplizenschaft. Und welche Rolle spielt der junge Charlie (Ludwig Simon), der immer wieder mit den Mädchen gesehen wurde?

Alvart zeichnet mit seinem Film ein düsteres Bild der Jahre unmittelbar nach dem Mauerfall - sadistische Sextäter, skrupellose Investoren, sensationslüsterne Journalisten. Manchmal fallen die Pinselstriche etwas zu grob aus. Aber "Freies Land" erinnert 30 Jahre später daran, dass nach dem Mauerfall die Landschaften doch nicht sofort zu blühen begannen.

- Freies Land, Deutschland 2019, 129 Min. FSK ab 16, von Christian Alvart, mit Felix Kramer, Trystan Pütter, Nora Waldstätten

Freies Land