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Aufnahmeprüfung Schauspieler im Zittermodus

Junge Schauspieler beweisen sich derzeit an der Hochschule „ Max Reinhardt Seminar“. Nur die Besten können von Hollywood träumen.

24.07.2017, 23:01

Wien (dpa) l Die Abiturientin im roten Faltenrock ist ganz allein auf der Bühne: „Es ist ein fremder Hauch auf mir? Was soll das heißen – es ist ein fremder Hauch auf mir?“, trägt sie mit großer Gestik im Schönbrunner Schlosstheater in Wien vor. Bei ihrer Vorbereitung für Tucholskys Monolog „Lottchen“ hat sie sich Anweisungen am Ende des Blattes gemacht – „starker Kontrast zwischen weich, kokett & streng“, heißt es da. Die 18-jährige Österreicherin hofft, damit vor einer strengen Jury ihr Ticket in die Theater- und Filmwelt lösen zu können.

Darf sie vier Jahre lang am Max Reinhardt Seminar studieren und damit eine Ausbildung wie Hollywood-Star und Oscar-Preisträger Christoph Waltz oder TV-Liebling Christiane Hörbiger erhalten? Beide gehören zu den bekannten Absolventen der Schule, für die sich jedes Jahr fast 450 Kandidaten bewerben. Nur rund ein Dutzend wird genommen.

„Dankeschön“, unterbricht die Jury-Vorsitzende und Institutsleiterin Tamara Metelka. Die acht Juroren vor den rot gepolsterten Sesseln des Barock-Theaters sind umringt von kaiserlicher Pracht. Sie selber sitzen an simplen schwarzen Tischen und schreiben Notizen um Notizen. „Starke Präsenz!!!“, „Impulse? Zu äußerlich gearbeitet“ oder „Guter Sprachzugriff“ steht da auf den Blättern geschrieben. Die Experten suchen nach einem formbaren Rohdiamanten. Sprachliche Begabung, ein guter Umgang mit dem eigenen Körper, Verständnis für Literatur müssen vorhanden sein – und auch das gewisse Extra.

Jedes Jahr buhlen Hunderte um einen der heiß umkämpften Studienplätze am Reinhardt Seminar. Kaum einer Schule im deutschsprachigen Raum eilt so sehr der Ruf der brillanten Künstlerschmiede voraus. Doch selbst mit dem dortigen Magister-Abschluss sind die Aussichten im immer schlechter bezahlten Markt für viele Darsteller ungewiss.

Für die jungen Künstler heißt das Aufnahmeverfahren vor allem eins: warten. Bis zu zehn Stunden sind keine Seltenheit, ehe endlich ihre Nummer aufgerufen wird. Sie bleiben für die Juroren anonym. Nachwuchs aus bekanntem Haus soll keinen Startvorteil bekommen.

Der Entscheidungsprozess dauert bei der Jury – drei gingen selbst am Institut in die Lehre – nicht lange. „Ich weiß in der ersten Runde nach etwa zwei Sekunden, ob der Funke da ist, den man braucht. Das kann man auch im Seminar nicht lernen“, sagt Institutsleiterin Metelka. Während in den ersten beiden Runden vor allem auf Talent und Ausstrahlung geachtet werde, gehe es in der letzten Runde um die Teamfähigkeit, sagt die 44-Jährige.

Für die gebürtige Berlinerin mit der Nummer 16, Franziska Baumeister, ist es in Wien in diesem Jahr schon die dritte Aufnahmeprüfung nach Ludwigsburg und Frankfurt. „Ich war sehr nervös auf der Bühne, was ich sonst eigentlich nicht bin“, sagt die 17-Jährige, die unter anderem aus Tschechows „Die Möwe“ vorgetragen hat.

Gute Chancen haben außergewöhnliche Charaktere. „Wir wollen Typen ausbilden, keine durchschnittlichen Theaterschauspieler“, so Metelka, die das Seminar seit 2014 leitet. Früher stand die Sprachtrainerin selbst Jahre lang auf der Bühne.

Die Studenten müssten eine gewisse persönliche Reife vorweisen können. „Die Schauspielausbildung ist keine Psychotherapie.“ Trotzdem gebe es immer dramatische Szenen auf den Fluren des idyllisch gelegenen Seminars. „Wir sind es gewohnt, dass Konflikte auch mal laut bewältigt werden.“

Eine Altersbegrenzung für das kostenfreie Studium gibt es nicht. Abgezielt wird aber auf Künstler am Anfang ihrer Karriere. Danach sei vieles schon zu eingefahren, zu antrainiert. Die Darsteller sollen für die rund 60 hochkarätigen Lehrenden in den vier Jahren noch formbar sein. Der Großteil der Kandidaten stammt aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Voller Leidenschaft für das Schauspiel geben sich nahezu alle Kandidaten in den kühlen Hallen vor dem Theatersaal an jenen heißen Sommertagen. Trotz der Prognosen: Fixe Engagements sind selten, die Konkurrenz ist hart. Die Liebe zum Beruf überträgt sich auf die Zuseher.

„Wenn Sie gute Komödianten werden wollen, dürfen Sie weder auf der Bühne noch im Leben Komödie spielen. Werden Sie wesentlich!“, forderte Max Reinhardt bei der Eröffnungsrede des Seminars 1929. Der 1873 geborene Künstler galt als wichtigster Theatermann seiner Zeit. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere verfügte er in Berlin über etliche Theater. Er ist außerdem Mitbegründer der Salzburger Festspiele. Die Nazis zwangen ihn zur Emigration in die USA, wo er 1943 verarmt starb.

Die Frage nach ihren eigenen finanziellen Aussichten beschäftigt die Schauspieler heutzutage viel mehr, findet Institutsleiterin Metelka. „Wir leben in einer neoliberalen, kapitalistischen Welt. Umso mehr Feuer nehmen unsere Kandidaten mit, weil es eine Entscheidung gegen die Sicherheit und für die Kunst ist“, sagt Metelka. Deshalb hat sich die Berlinerin Baumeister zusätzlich zu ihren Schauspielambitionen an der Universität für Italienisch und Englisch auf Lehramt eingetragen. Auch zur Freude ihrer Eltern.