„Babylon Berlin“-Figur Volker Kutscher erzählt von Gereon Rath im Altenheim
Eigentlich lässt Volker Kutscher seine populäre Reihe über den Ermittler Gereon Rath im Berlin der 30er mit „Rath“ enden. Doch nun gibt es mit „Westend“ einen Abschluss nach dem Ende - in den 70ern.

Berlin - Mit „Rath“, dem zehnten Band der historischen Krimis um den Berliner Ermittler Gereon Rath, trieb Volker Kutscher im vergangenen Jahr die düstere Atmosphäre der Reihe noch einmal auf die Spitze. Tod, Verrat und Gewalt allerorten, im Berlin des Jahres 1938 ohnehin, aber auch im Leben seiner Protagonisten. Das passte zum Noir-Charakter der Reihe, die die Grundlage der Fernsehserie „Babylon Berlin“ bildet, sosehr manche Leserinnen und Leser auf einen optimistisch-versöhnlichen Schluss gehofft haben mögen.
So ganz haben Gereon Rath, Charlotte Richter und die anderen Figuren des Romans den Autor aber wohl doch nicht losgelassen - mit „Westend“ (ab 4.9. im Handel) wird nun die Reihe außerhalb der Reihe in Form eines illustrierten Romans in Zusammenarbeit mit der Illustratorin Kat Menschik ergänzt.
Zeitsprung ins Berlin des Jahres 1973
Es ist ein gewaltiger Zeitsprung - sowohl für Gereon Rath als auch für die Leserinnen und Leser. Denn „Westend“ bietet gewissermaßen ein Locked-Room-Szenario im (West-)Berlin des Jahres 1973.
In dem Jahr besucht ein junger Wissenschaftler den längst pensionierten Rath in einer Seniorenresidenz, um ihn zur Geschichte der Polizei in der jungen Bundesrepublik und ihren Bezügen zum nationalsozialistischen Deutschland zu befragen. Der Roman ist gewissermaßen die Abschrift der Tonbandkassetten dieser Interviews.
Der Name des Wissenschaftlers, Hans Singer, dürfte Kutschers Leserinnen und Leser aufhorchen lassen. Romanfigur Rath dagegen stellt erst einmal keine Verbindung zu seiner Vergangenheit her - das würde den Plot schließlich verderben.
Nach und nach wundert sich der pensionierte Kriminalist aber doch, dass die Rede trotz allen Widerwillens immer wieder auf Privates wie seine Ex-Frau „Charly“ kommt und der junge Wissenschaftler ziemlich viel über Raths persönliches Leben zu wissen scheint.
Gereon Rath als grumpy old man
Der Gereon Rath des Jahres 1973 präsentiert sich in vielem als Prototyp der Generation, der die in der Nachkriegszeit Geborenen gerade erst Fragen zu stellen beginnen nach moralischer Verantwortung, nach Verwicklung und Schuld im NS-System.
Fragen, auf die er mürrisch, ein wenig selbstgerecht, abwehrend reagiert: Man habe ja vieles nicht gewusst. Man hätte ja ohnehin nichts tun können. Und viele Polizisten hätten damals wie heute einfach nur ihren Job gemacht.
In den Tonbandprotokollen fängt Kutscher den Sprachduktus des pensionierten Kriminalbeamten in den 70er Jahren sehr gut ein - wer einmal behördliche Texte oder alte Zeitungsartikel aus jener Zeit gelesen hat, wird vieles wiedererkennen. Beim Lesen stellt man sich die knarzige Stimme eines „grumpy old man“ vor, der die Vergangenheit ruhen lassen will, aber unverhofft von ihr eingeholt wird.
Vergangenheitsbewältigung in der Seniorenresidenz
Wenn Kutscher seinen langjährigen Protagonisten auf sein Leben zurückblicken lässt, ist das auch persönliche Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Leserinnen und Leser erkennen Bezüge zu den Romanen der Reihe, betrachtet aus Raths Perspektive im Abstand von Jahrzehnten.
Zugleich gibt er Antworten auf die offenen Fragen, die am Ende von „Rath“ geblieben waren. Was wurde aus Charlotte Richter, was aus dem Pflegesohn Fritze? Haben Charlotte und Gereon doch noch wieder zusammengefunden? Warum ist Gereon Rath nicht in die USA zurückgekehrt?
Doch bei reiner Nostalgie lässt es Kutscher nicht bewenden, denn Rath muss auch Fragen zu einem Spionagefall aus dem Kalten Krieg in den 50er Jahren beantworten, die mit einem seiner alten Fälle und einer persönlichen Vendetta zu tun haben.
Das macht „Westend“ nicht nur zu einem Abschluss für Rath-Fans, sondern entwickelt die Reihe und ihren Protagonisten über die 1930er Jahre hinaus. Ob dies nun endgültig das Ende aller Rath-Romane ist?