1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. "Die Theaterlandschaft muss neu betrachtet werden"

Im Gespräch mit Magdeburgs Generalintendantin Karen Stone und ihrem Stellvertreter Marc Stefan Sickel "Die Theaterlandschaft muss neu betrachtet werden"

19.10.2011, 04:23

"Wir haben geleistet, was von uns verlangt wurde", sagt Generalintendantin Karen Stone. Doch das Theater Magdeburg muss mit einer vorläufigen Haushaltsführung leben. Was bedeutet das für das Vierspartenhaus? Wie geht es weiter? Grit Warnat sprach mit Karen Stone und ihrem Stellvertreter Marc Stefan Sickel.

Volksstimme: Frau Stone, als Sie zur Spielzeit 2009/10 die Generalintendanz am Magdeburger Haus übernahmen, sprachen Sie von großer Freude. Jetzt hat das Theater eine vorläufige Haushaltsführung. Wie groß ist Ihre Freude noch?

Karen Stone: Es hat sich gar nichts geändert. Ganz im Gegenteil. Als Menahem Pressler vor wenigen Tagen hier spielte, hat er das Orchester zu noch höheren Leistungen ermutigt. Die wollen wir auch, dafür sind wir da. Diese Auftritte bringen Seele in das Haus und Selbstbewusstsein bei den Akteuren. Ich denke, wir haben uns in den vergangenen zwei Jahren gut entwickelt. Die Arbeit macht Spaß, sie ist aber auch hart. Auch, weil wir natürlich sehr, sehr genau schauen müssen, wie viel Geld wir ausgeben. Wir müssen bei unseren Ausgaben genau aufzeigen können, dass das, was wir machen, Hand und Fuß hat.

"Wir können das künstlerische Produkt finanzieren"

Karen Stone

Volksstimme: Inwieweit hemmt Sie diese vorläufige Haushaltsführung? Ein Theater muss langfristig planen.

Stone: Wir haben uns mit der Stadt auf ein grobes Gerüst für die Spielzeit 2012/13 geeinigt, weil wir natürlich für die Aufrechterhaltung des Spielbetriebes so manches planen müssen. Ansonsten hätten wir im nächsten Herbst keinen Spielplan und keine Einnahmen. Das ist nicht denkbar. Wir haben die Zusage, dass wir mit diesem Gerüst weiterarbeiten dürfen. Das bedeutet auch, dass viele Details und wichtige Ausgaben fehlen. Das sind die Engpässe, mit denen wir zurzeit leben müssen. Aber wir stehen in gutem Kontakt zur Stadt. Das ist gut und wichtig für unsere Arbeit.

Volksstimme: Aber Sie haben keinen ausgeglichenen Wirtschaftsplan.

Marc Stefan Sickel: Im Jahr 2011 haben wir ein Jahresbudget von 27 Millionen Euro. Davon sind für die 450 Beschäftigten des Theaters knapp 20 Millionen Euro fest gebunden. Wenn wir jetzt 2011 nur über ein Prozent Tarifsteigerung reden, dann sind wir schon bei 200000 Euro. Das müssten wir, weil es bei unserem eng gestrickten Haushalt nicht anders möglich wäre, bei der Kunst einsparen.

"Wir müssen anderen Häusern gegenüber konkurrenzfähig bleiben"

Karen Stone

Stone: Zehn Prozent des Etats geben wir für die Produktionen aus, für das Bühnenbild beispielsweise, Kostüme, Gastregisseure. Aber diese zehn Prozent spielen wir auch ein. Das ist eine wichtige Ziffer für uns: Wir können das künstlerische Produkt finanzieren. Wir haben geleistet, was von uns verlangt wurde.

Volksstimme: Das Landesverwaltungsamt sitzt dem Theater im Nacken. Sparmaßnahmen werden gefordert. Die Rede ist von Personalabbau und Spartenschließung. Wie schockierend wirkt das auf Sie?

Sickel: Das schockt nicht. Wir hatten einen Wirtschaftsplan 2011 vorgelegt mit einem Defizit in Höhe von 566000 Euro. Dieses prognostizierte Defizit werden wir zum Ende des Jahres aufgrund von Einsparmaßnahmen im Theater deutlich unterschreiten. Der Stadtrat hat diesen defizitären Wirtschaftsplan beschlossen. Das sieht das Eigenbetriebsgesetz des Landes nur in Ausnahmefällen vor. Das Landesverwaltungsamt hat diesen Wirtschaftsplan beanstandet. Das Landesverwaltungsamt meint, wir dürften einen defizitären Wirtschaftsplan nicht aufstellen, wir müssten ihn ausgleichen. Die Stadt hat jetzt Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Ein juristisch normaler Vorgang. Jetzt müssen wir den Ausgang abwarten.

Stone: Und zwischendurch müssen wir ein paar Vorstellungen organisieren.

Volksstimme: Das Landesverwaltungsamt fordert Sparmaßnahmen. Sie haben keinen Haustarifvertrag ...

"Ein Haustarifvertrag kann kein Dauer- zustand sein"

Marc Stefan Sickel

Stone: Unser Haustarifvertrag war zum 31. Dezember 2010 ausgelaufen. Deshalb haben wir 2011 das Defizit. Es ist die Auswirkung der gültigen Tarifverträge.

Volksstimme: Könnten Sie sich vorstellen, wieder zu einem Haustarifvertrag zurückzukehren?

Stone: Sich auf einen Haustarifvertrag ohne Ende einzulassen, nein. Wir müssen anderen Häusern gegenüber auch konkurrenzfähig bleiben. Das ist sehr wichtig für uns.

Sickel: Ein Haustarifvertrag kann nur eine Brücke und kein Dauerzustand sein. Man darf sich auch nicht der Hoffnung hingeben, dass man mit einem Haustarifvertrag die Probleme dauerhaft lösen würde. Dann muss man ganz ehrlich sein und sagen, wir müssen über Strukturänderungen, auch über Personalstärke nachdenken. Übrigens reden wir hier über Künstler, Bühnentechniker und andere Mitarbeiter, die oftmals nicht mehr als die Mindestgage erhalten oder leicht darüber liegen. Es geht um Monatsverdienste von 1600, 2000 Euro Brutto. Hier wären langfristig reale Lohneinbußen Wahnsinn.

Volksstimme: Alle Theater schauen auf das nächste Jahr, weil dann die Theaterverträge auslaufen und neu verhandelt werden müssen. Kultusminister Dorgerloh plant, die Verträge um ein Jahr zu den gleichen Konditionen zu verlängern. Was halten Sie davon?

Stone: Ich habe keine Panik. Ich weiß, dass die Stadt hinter uns steht. Die Stadträte sehen uns nicht nur als wichtige Kunststätte, sondern auch als wichtigen Wirtschaftsfaktor.

Volksstimme: Das Theater und die Stadt haben aber stets höhere Zuschüsse vom Land eingefordert, um Tarifsteigerungen ausgleichen zu können.

"Ohne höhere Zuschüsse wird sich unser strukturelles Defizit vertiefen"

Marc Stefan Sickel

Sickel: Ohne höhere Zuschüsse wird sich unser strukturelles Defizit weiter vertiefen. Aber wir fordern nicht nur. Zusammen mit dem defizitären Wirtschaftsplan wurde vom Stadtrat auch ein Konsolidierungskonzept, das das Theater vorgelegt hat, beschlossen. Dieses Konsolidierungskonzept sieht vor, dass wir in den nächsten Jahren unsere Umsatzerlöse jedes Jahr um 100000 Euro steigern. Das bedeutet auch eine Anhebung der Ticketpreise in moderater Form. Im Gästeetat sparen wir bereits. Das Konsolidierungskonzept sieht aber auch vor, dass sich das Land in einer stärkeren Form als bislang an der Finanzierung des Theaters beteiligt. Es geht zusätzlich um eine Million Euro jährlich ab 2013.

Volksstimme: Wie realistisch ist dieser höhere Zuschuss?

Stone: Die Entscheidungsträger müssen überlegen, wo die Schwerpunkte gesetzt werden sollen. Wir denken, die Theaterlandschaft muss neu betrachtet werden und dabei muss diskutiert werden, welche repräsentative Rolle das Theater Magdeburg als Institution in der Hauptstadt des Landes Sachsen-Anhalt spielen soll. Uns geht es um eine gleichberechtigte Behandlung.

"Es geht uns um eine gleichberechtigte Behandlung"

Karen Stone

Volksstimme: Diese Arbeit soll der Kulturkonvent übernehmen. Was erwarten Sie?

Sickel: Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Kulturkonvent im Hinblick auf die notwendige Neuordnung der Theaterfinanzierung überzeugende Antworten finden wird.

Stone: Ich begrüße ihn sehr. Ich erhoffe mir einen realistischen Finanzplan für den gesamten Kulturbetrieb in Sachsen-Anhalt, in dem das Theater Magdeburg als Theater der Landeshauptstadt als ein sehr wichtiger Teil gesehen wird und entsprechend seinen Platz findet. Ich sehe der Diskussion sehr positiv entgegen, weil wir ja nicht Gelder einfordern, um damit Luxus zu finanzieren. Wir erbringen für die Stadt und die Menschen eine Leistung, und die wollen wir erhalten.

Volksstimme: Die Theater sind nur über einen Vertreter des Bühnenvereins in den Konvent involviert. Stört Sie das?

Stone: Nein. Ich denke eher, das ist auch gut so. Ich als Engländerin will keine Speakers Corner haben, es geht darum, die gesamte Landschaft zu betrachten, und nicht darum, wer am lautesten schreien kann. Ich begrüße eine nüchterne Betrachtung und Analyse.