Der ehemalige Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes hat Geburtstag "Halunke" oder großer Literat - Hermann Kant wird 85
Berlin (dpa). Mit seiner "Aula" hat Hermann Kant nach Meinung mancher Kritiker den "DDR-Roman schlechthin" geschrieben. Auch mit Büchern wie "Der Aufenthalt" oder "Impressum" hatte Kant in der DDR Millionenauflagen. Er war aber auch gefürchteter Kulturfunktionär.
Vermutlich wird nie ganz zu klären sein, welche Rolle Hermann Kant als Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes von 1978 bis zum bitteren Ende 1989 und auch als Mitglied des SED-Zentralkomitees wirklich gespielt hat. "Vielleicht ist er ein Halunke, aber schreiben kann er", meinte "Literaturpapst" Marcel Reich-Ranicki über ihn. An diesem Dienstag wird Kant, der heute zurückgezogen im Mecklenburgischen lebt, 85 Jahre alt.
Unbestritten hat der "Großschriftsteller" der DDR mit Millionenauflagen mit seinen Romanen "Die Aula" (1965) und "Der Aufenthalt" (1977) seinen Platz in der Literaturgeschichte gefunden. Manche meinen, er habe mit der "Aula" über die ostdeutschen Anfangsjahre nach dem Krieg den "DDR-Roman schlechthin" geschrieben. Der von Frank Beyer 1983 auch verfilmte "Aufenthalt" (Drehbuch Wolfgang Kohlhaase) reflektiert die Erfahrungen eines - wie Kant selbst - 18-jährigen deutschen Kriegsgefangenen in Polen.
Grass: "Im Fall Biermann versagt"
Den Platz in der Literaturgeschichte macht ihm auch einer seiner heftigsten ideologischen Kontrahenten, Literaturnobelpreisträger Günter Grass, nicht streitig. "Im Fall Biermann haben Sie versagt", donnerte der Autor der "Blechtrommel" bei einem Streitgespräch mit Kant im Berliner Ensemble. "Ich habe Sie immer für einen begabten Autor gehalten und wenn Sie pauschal angegriffen werden, werde ich Sie immer als den Autor von Büchern wie "Der Aufenthalt" verteidigen. Aber ich werfe Ihnen Ihr Verhalten als Verbandspräsident vor, Sie sind an der Maßregelung von Schriftstellern beteiligt gewesen", das Gegenteil von dem, was ein Schriftstellerverband zu tun habe.
Kant leugnet nicht, einem Regime auch als "Vorzeigepoet" gedient zu haben. "Das hat mich nicht gestört. Ich fand dieses Regime in Ordnung, mit all seinen Lücken und Fehlern."
1978 als Nachfolger von Anna Seghers ("Das siebte Kreuz") an die Spitze des Autorenverbandes gerückt, beteuert Kant, dass er als Verbandpräsident 1979 - als kritische Autoren wie Stefan Heym, Erich Loest und Jurek Becker aus dem Verband geworfen wurden -, nicht anders habe handeln können. Sonst wäre der Autorenverband der DDR, der für 1000 Kollegen lebenswichtig gewesen sei, von der SED aufgelöst worden. Nach dieser Sichtweise wären Schriftsteller von einem Staat mit Arbeits- und Versorgungsansprüchen erpressbar.
Doch Kant beharrt: "Ich sehe mich schon als jemanden, der es zuweilen an Umsicht fehlen ließ, aber das ist keine Groß-Überschrift über mein Leben", sagte Kant jetzt in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. "Insgesamt habe ich aufgepasst, dass ich mich anständig verhalte." Und was sein literarisches Lebenswerk im Osten Deutschlands angeht, bleibt er dabei: "Die DDR war ein Teil deutscher Geschichte, wie die DDR-Literatur ein Teil deutscher Literaturgeschichte war", eben "deutsche Literatur aus einem sozialistischen Land".
Natürlich wusste Kant auch, wovon er schrieb, war er doch auch einflussreicher Kulturfunktionär bis hin zur Volkskammer und dem mächtigen - Kritiker sagen ohnmächtigen, weil nur Ja-Sager drinsaßen - SED-Zentralkomitee. Es wurden auch Vorwürfe einer möglichen Stasi-Zusammenarbeit erhoben, die Kant stets auch mit juristischen Schritten zurückwies. Der Autor beteuerte stets, nie ein IM der Stasi gewesen zu sein.
Der Glaube des "Chef-Ironikers des Honecker-Regimes", ein Drahtseilakt zwischen Literatur und Politik sei möglich, "war eine Illusion - man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen, oder man zahlt selber drauf dabei", wie er selbst meinte. "Nichts ist schlimmer, als nicht mehr den Überblick über Freund und Feind zu haben", wie es in einem seiner späteren Romane auch hieß.
Wenig erfolgreich nach der Wiedervereinigung
Im neuen vereinten Deutschland hat der am 14. Juni 1926 in Hamburg geborene Kant noch Romane geschrieben, die meist nicht besonders gut bei der Kritik ankamen wie "Kormoran", "Kino", "Okarina" oder "Kennung". Nicht ohne Genugtuung aber hat der Autor kürzlich ein seiner Meinung nach bei aller Kritik faires Porträt in einer großen Wochenzeitung ("Die Zeit") über ihn gelesen. Kant gehöre "nicht zu den ostdeutschen Schriftstellern mit dem besten Ruf", aber selbst seine wütenden Gegner "werden seinen literarischen Rang nicht bestreiten".