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Tag der Sprache Interpunktion ist keine Schikane

Wissenschaftlerin Uta Seewald-Heeg sieht Sprachkompetenz von Kindern durch massenhaftes Chatten bedroht.

09.09.2016, 23:01

Die Sprachwissenschaftlerin Uta Seewald-Heeg von der Hochschule Anhalt in Köthen beobachtet diese Sprach-Verlotterung mit Sorge. Mit der Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft versucht sie, dieser Entwicklung durch Schreibwettbewerbe gegenzusteuern. Am 10. September ist der Tag der Deutschen Sprache. Volksstimme-Mitarbeiterin Kathrin Wöhler nahm das zum Anlass für ein Gespräch mit ihr.

Volksstimme: Schon Grundschulkinder haben heute Handys. Wächst eine Generation heran, die keine Text mehr geradeaus schreiben kann?

Uta Seewald-Heeg: Die Gefahr besteht. Kinder und Jugendliche verbringen viel Zeit mit ihren Geräten und kommunizieren mit Kurztexten, deren Schreibung oder Grammatik zu einem großen Teil nicht den geltenden Regeln entspricht. Dabei gibt es bei dieser Form der Kommunikation keine Korrekturinstanz. Je maßloser der Umgang mit dem Smartphone, desto weniger Zeit bleibt, um ein Buch zu lesen oder andere sprachliche Vorbilder wahrzunehmen. Hinzu kommt: Im Chat wird gesprochene Sprache wiedergegeben – aber verschriftlicht. So lange Kinder Mündlichkeit, also gesprochene Sprache, und Schriftlichkeit mit ihren jeweiligen Stilmitteln auseinanderhalten, werden sie auch der jeweiligen Situation angemessene Texte schreiben können.

Wovon hängt das ab?

Es kommt neben der Schule vor allem auf das heimische Umfeld an und darauf, ob es neben der Kommunikation über Whatsapp auch andere sprachliche Umgangsformen gibt. Kinder, denen vorgelesen wird, die selbst Bücher lesen und Unterhaltung von Angesicht zu Angesicht erleben, lernen, zwischen den Sprachwelten und ihren Stilen umzuschalten. Sie können ihre Sprache an die jeweilige Situation anpassen.

Und jene, bei denen die Mütter selbst nur ins Smartphone starren? In der Bahn zum Beispiel oder beim Abendbrot.

In solchen Familien fehlt die sprachliche Anregung. Kinder lernen dann nicht mehr, dass es auch eine Sprache gibt, mit der man Gefühle ausdrücken und Zusammenhänge vielgestaltig beschreiben kann. Auch ihre Wahrnehmung von dem, was sprachlich korrekt ist, verändert sich.

In welchem Zusammenhang beobachten Sie diese Entwicklung?

Wir arbeiten oft mit Kindern der sechsten und siebenten Klassen. In unseren Sprechwerkstätten kommt es immer häufiger vor, dass Kinder Mühe haben, laut und deutlich zu sprechen. Sie trauen sich nicht und sie wissen oftmals auch gar nicht, wie sie es anstellen sollen. Manche Kinder sind es einfach nicht mehr gewöhnt, spontan verständliche Sätze zu formulieren.

Tragen dazu auch Emoticons und Emojies bei?

Die Bildchen werden in Kurznachrichten in großer Zahl eingesetzt. Auch für meine Kinder ist das völlig normal, so zu signalisieren: „ich freue mich“, „ich habe dich lieb“ oder „ich bin glücklich“. Manche Botschaften bestehen nur noch aus Emoticons. Grundsätzlich stört mich das nicht, solange Kinder noch üben, Gefühle auch mit Worten zu beschreiben. Nehmen Sie einen romantischen Schriftsteller wie Eichendorff. Mit welch blumiger und reicher Sprache beschreibt er Gefühlszustände. Das vermögen heute selbst Erwachsene nur in seltenen Fällen. Bei so manchem Jugendlichen sehe ich schwarz, was diese Fähigkeit anbelangt.

Dabei gelten gerade Jugendliche als eifrige Sprachschöpfer. Frischen „cu“ (see you/wir sehen uns) und „BFF“ (Best Friend Forever) unsere Sprache nicht auf?

Solche sprachlichen Spielereien mögen hier und da witzig sein. Sie sind Teil einer Gruppensprache. Außerhalb der Gruppe verlieren sie ihre Funktion und werden von vielen nicht verstanden. Deshalb stellen sie keine Bereicherung des allgemeinen Wortschatzes dar, mit dem ich sprachlich differenzieren kann, wie das beispielsweise möglich ist, wenn wir aus unserem reichen Wortschatz neue Worte bilden.

Wie steht es um die Interpunktion? Schon wähnt man den Punkt auf der Liste der bedrohten Arten, weil Sätze im Chat ständig mit Emoticons beendet werden.

Um den Punkt sorge ich mich nicht – außerhalb der Sprache in sozialen Medien wird er meiner Beobachtung nach meist richtig verwendet. Aber um das Komma! Vor allem Lehrer der Sekundarstufe beklagen, dass Schüler sich sehr schwer tun mit der Kommasetzung. Selbst Studenten haben hier erhebliche Schwierigkeiten. Kommas werden im Chat oft weggelassen – aus Zeitgründen. Die sprachlichen Äußerungen sind auch meist so kurz, dass Kommas gar nicht benötigt werden. Sobald komplexere Gedanken zu Papier gebracht werden, hat eine korrekte Interpunktion ihre Bewandnis: Man erfasst den Inhalt viel schneller. Wer das nicht übt, wird später Schwierigkeiten haben, komplexere Texte als jene in Chats verständlich zu Papier zu bringen. Interpunktion ist keine Schikane.