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Mit dem Stück "Crash-Kids" wirbt das Nordharzer Städtebundtheater um das jugendliche Publikum Dem Traum vom Fliegen folgt der Absturz in die Realität

Von Hans Walter 28.01.2013, 01:29

Quedlinburg l Eine der aufregendsten und beglückendsten Inszenierungen der letzten Zeit im Nordharzer Städtebundtheater ist das Jugendstück "Crash-Kids". Am Freitag erlebte es seine Premiere in Quedlinburg. Ein Multitalent von Regisseur, ein tolles Stück, großartige Darsteller und eine assoziative Bühnenbildnerin - hier kam für den Erfolg alles zusammen.

"Crash-Kids" sind Jugendliche, die Autos knacken und zu Schrott fahren. Just for fun. Der britische Autor Marcus Romer (geboren 1961) schrieb in den 90ern das böse kleine Stück. Seine Akteure sind jung. Nicht unsensibel, frei von Verantwortungen und Erfahrungen, aber mit ungebärdigem Drang auf Leben. "Taken without consent" ist der Originaltitel. "Ohne Erlaubnis entwendet" im Juristendeutsch (Übersetzung: Jürgen Flügge).

Viper (Teresa Zschernig) und Colly (Gregor Faubel) werden ein Paar. Er - in roten Chinos und mit Kapuzenshirt - wartet auf sie vor der Schule. Und sie kriegt das große Herzflattern. Er wirkt cool - aber nach innen ist er noch ein schüchterner Junge. Sie, mit einem blonden Zöpfchen, bekommt wacklige Knie, wenn sie ihn sieht. Ihren Traumboy.

Zschernig und Faubel spielen die Annäherung der beiden mit unglaublicher Zartheit und Delikatesse. Wie Romeo und Julia. Der erste Abend in der Disco ist öde. Er lädt sie zur Pizza ein - aber hat kein Geld. Der erste Wagen wird geknackt. Er findet ein Handy und eine Kreditkarte. Und startet mit dem Auto durch. Up the down staircase. Immer weiter hinauf auf der Treppe, die hinunter führt.

Sex ja, aber bloß kein Kind!

Glücksmomente. Sie schlafen miteinander. Als Vipers Regel ausbleibt, ist Colly entsetzt. Alles - bloß kein Kind! Sie zieht sich zurück, vertraut sich halbherzig ihrer Mutter an. Und lässt sich doch in seinen Strudel hineinziehen. Nur noch eine Tour mit einem gestohlenen Wagen, immer schneller, immer hemmungsloser, es gibt keine Grenzen! Dabei fährt er in eine Kindergruppe, ein Junge stirbt. Nach drei Tagen Fahrerflucht wird er gefunden und zu drei Jahren Knast verurteilt. Es gibt kein Happy End. Colly ist unfähig, sich zu reflektieren. Aber der Zuschauer gibt ihn dennoch nicht auf. Vipers Glück ist ihr Sohn; studieren wird sie später.

Der junge Regisseur heißt Sebastian Stolz, geboren 1980 in Gera. Er denkt theatral-optisch in den Maßstäben der Handy-, iPod- und Game-Generation. Seine Inszenierung ist ungeheuer schnell und so sentimental wie ein Roadmovie. Er findet die Dreh- und Angelpunkte des Stücks, die Wechsel zwischen Rückblenden und rasanter Gegenwartshandlung (Dramaturgie: Sebastian Fust). Er strukturiert die Handlung mit Rock, Rap und Elektropop. Und er produzierte die herausragenden Videos durch die virtuellen Räume der Autorennen wie der sozial nahestehenden Menschen. Sie erscheinen in Großporträts auf der bühnenbreiten Videofläche: Vipers Freundin Tina (Julia Siebenschuh), ihre Mutter (Illi Oehlmann), Collys Kumpel Andy (Till Petri). An vielen Stellen verzahnt Stolz seine Videos mit der Bühnenhandlung und der Ausstattung. Das ist großartig.

Ausstatterin Susanne Bachmann schuf ein spielerisch leichtes Bühnenbild, auf dem wirklich alle Elemente in Aktion bedient werden; ihre Kostüme sind Teil der Geschichte!

Theresa Zschernig und Gregor Faubel spielen Höhenflug wie Absturz. Man muss sie ihrer fantastischen Darstellung wegen einfach lieben. Sie bringen das Kunststück fertig, nicht nur für die Jugend, sondern auch für die älteren Besucher eine Geschichte für den Dialog der Generationen zu spielen. Ganz leicht, ganz unaufdringlich und schön.