1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Jacques Brel, der große Chansonnier: Sensibel, verletzlich, draufgängerisch

"Pur Brel" – Dirk Löschner sorgt im Theater der Altmark für große Gefühle Jacques Brel, der große Chansonnier: Sensibel, verletzlich, draufgängerisch

Von Birgit Tyllack 06.12.2010, 04:18

Stendal. Der Intendant des Theaters der Altmark, Dirk Löschner, kann singen. Wie gut er das kann, hat er am Sonnabend bei der Premiere von "Pur Brel" bewiesen. Es gab frenetischen Zwischen- und nicht enden wollenden Schlussapplaus für den Abend mit Chansons von Jacques Brel.

Französischkenntnisse sind nicht zwingend erforderlich, um diese wundervollen Chansons zu verstehen. Mimik und Gestik des Interpreten geben genügend Aufschluss über das, was auf der Bühne des Kleinen Hauses in Stendal besungen wird. Zumal Dirk Löschner es geschickt versteht, die einzelnen Titel mit dem Leben des großen Brel, le grand Jacques, zu verknüpfen.

So fügen sich kleine Puzzleteile am Ende zu einem Bild zusammen. Es ist kein vollständiges Bild, soll es auch nicht sein. Aber es reicht, um ein bisschen mehr über diesen belgischen Chansonnier zu erfahren. Nein, Französisch muss man nicht sprechen, aber eins ist gewiss: jeder im Publikum wünscht sich, es zu können! Gerade in diesen Chansons ist das Französisch so schön! Hier werden – anders als im Alltagsfranzösisch – die Endungen ausgekostet. Diese Sprache ist weich und rund, an den richtigen Stellen aber auch rau und sperrig.

Die Auswahl der Lieder ist gut getroffen: "Les Bonbons", "Le Gaz" oder "Madeleine" zeigen den Frauenhelden Brel, der sich schnell verliebte und immer auf der Suche nach der großen Liebe war. "Er hat die Frauen überrannt. Für Fragen wie ¿Sind Sie noch zu haben?‘ war keine Zeit!" so Löschner. Andererseits hatte dieser große Verführer, der hemmungslos seine Ehefrau Miche hinterging, stets Angst, selbst betrogen und verlassen zu werden. "Ne me quitte pas", Verlass mich nicht, ist eines seiner bekanntesten Chansons. Hier kommt ganz besonders seine Verletzlichkeit zum Ausdruck.

Und Brel hatte Angst vor dem Alter: In "Les Vieux" (Die Alten) malt er ein beängstigendes Bild, in dem die Welt der Alten nur noch trostlos erscheint. Nun, der große Brel ist nicht alt geworden. Mit nur 49 Jahren starb er. Er hat also nie erfahren, ob es wirklich möglich ist, eine Liebe auch nach vielen zusammen verbrachten Jahren trotz – oder gerade wegen – der Alltagsgeschichten aufrecht zu erhalten. In "La Chanson des vieux amants" (Das Chanson der alten Liebenden) träumt er davon.

Von Brel wird gesagt, dass er seine Chansons nicht einfach nur sang, sondern dass er sie auf der Bühne gelebt hat. Seine Texte zeigen große Gefühle, seine Stimme spiegelte diese stets wider. Löschner zieht ebenso alle Register und macht "Pur Brel" zu einem Abend der großen Gefühle. Mal heiter, mal bitterböse, mal düster, mal traurig. Immer jedoch intensiv und überzeugend. Er trifft mit seinem Gesang mitten ins Herz, zeitweise hätte man die berühmt-berüchtigte Stecknadel fallen hören können.

Löschner wird von vier wunderbaren Musikern auf der Bühne begleitet: Mikhail Antipov (Geige), Konstantin Buryan (Akkordeon), Christian Niehues (Kontrabass) und Peter Stolle (Klavier und Arrangements). Der nicht enden wollende Applaus brachte Löschner und seine Band dazu, etwas zu tun, was der große Brel nie gemacht hat: Es gab eine Zugabe. "Le plat pays" (Das flache Land), die Liebeserklärung Brels an seine Heimat Flandern.