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Hans-Günther Pölitz über DDR-Kabarett Keine Schere im Kopf

Wie war Kabarett zu DDR-Zeiten? Wie hat es sich verändert? Grit Warnat hat mit dem Magdeburger Kabarettisten Hans-Günther Pölitz über gelenkte Programme, ein Verbot und heilige Kühe gesprochen.

08.11.2014, 01:14

Zu DDR-Zeiten musste das Publikum oft zwischen den Zeilen lesen. War es damals sensibler?
Hans-Günther Pölitz: Eindeutig ja. Das Publikum hat Andeutungen stärker wahrgenommen. Man musste nicht alles bis ins letzte Detail aussprechen. Heute haben wir im Kabarett schon wieder eine Informationsfunktion. Wir müssen Sachverhalte erklären, und dann ist der Witz meist schon raus.

War die Sprache im DDR-Kabarett eine andere?
Sie war kunstvoller. Wir mussten uns gut überlegen, wie wir etwas formulieren, dass es der Zuschauer mitbekommt, aber die Genossen, die verantworten mussten, was man dem Publikum bieten darf, das akzeptieren. Nach der Wende wollte man dann Namen hören auf der Kabarettbühne. Die gab es zu DDR-Zeiten nicht. Was wollte man auch über Honecker, Hager und Axen sagen? Man kannte sie lediglich über ihre Reden. Heute wird jeder Schlüpfergummi von jedem Politiker dreimal gedehnt und gezerrt.

Inwieweit wurden Ihre Programme gelenkt?
Wir hatten es den Magdeburger Genossen schon abgetrotzt, dass sie uns arbeiten ließen. Ich weiß aber aus anderen Bezirken, dass Textbücher schon vor Beginn der Proben eingereicht werden mussten. Wir haben erst einmal geschrieben und geprobt. Dann kam es zur sogenannten Interessentenprobe mit Genossen und Gewerkschaftern. Hinterher gab es ein Auswertungsgespräch. Die Genossen gebrauchten dann immer die Formulierung: "Da haben wir aber Bauchschmerzen." Tja, dann hätten sie lieber zum Arzt gehen sollen.

Aber Sie hatten beim Schreiben schon im Gefühl, was durchgeht und was nicht. Wie groß war beim Texteschreiben die Schere im Kopf?
Ich hatte sie nicht. Als Autor habe ich vielmehr auf die Schere zwischen Theorie und Praxis hingewiesen. Die DDR wollte der bessere deutsche Staat sein. Aber was daraus gemacht worden ist, widersprach immer mehr dem, was wir gelernt hatten.

Wurde jemals eines Ihrer Programme verboten?
Ja. "Der Fortschritt ist hinter uns her" war eine Gemeinschaftsproduktion mit der "Herkuleskeule" in Dresden. Das war 1988. Da gab es eine absolute Eiszeit. Im November wurde der "Sputnik" aus dem Postzeitungsvertrieb genommen. Die Verhältnisse hatten sich unglaublich verhärtet. Kein Kabarettprogramm hatte in der DDR im Herbst 88 sein Licht der Welt erblicken dürfen. Die Genossen waren so aufgeschreckt, so verunsichert, so verstört, dass alles, was nach Kritik riechen konnte, niedergemacht wurde.

Empfanden Sie das wie ein Berufsverbot?
Nein. Wir standen ja weiterhin auf der Bühne. Und wir wollten den Finger in die Wunde legen. Das ist die Aufgabe von Kabarett. Wir haben damals alle heiligen Kühe auf den Prüfstand gestellt. Das Wohnungsbauprogramm, das ja an sich gut war, aber für das die Infrastruktur fehlte. Die Funktion der Kampfgruppen, den Erfolg des Ein-Mega-Bit-Chips, der von innen noch begehbar war, die Umweltverschmutzung, die Schadstoffe in der Elbe, die von Hamburg kommend, elbauf zu uns schwammen. Uns ging es immer um das Weiterdenken, um das Leben in der DDR. Wir haben noch versucht, in dem Programm Passagen und Formulierungen in für uns vertretbaren Grenzen zu ändern. Aber wir hätten auch das Märchen vom Rotkäppchen und dem Wolf reinschreiben können. Es wäre nicht aufgeführt worden.

Wie absurd war es da, dass den "Kugelblitzen" zu DDR-Zeiten sogar ein Neubau hingesetzt wurde?
Das war ein Novum: Der Staat baut seinen Kritikern ein Haus, übrigens der erste und einzige Kabarettneubau im gesamten deutschsprachigen Raum. Das Haus war die Fassade, durch dessen Hintertür man bestimmen wollte, wie weit die Kritik gehen durfte. Nach der Wende wurde das Haus abgerissen. Für mich war das ein Akt von Kulturbarbarei. Geld frisst Kultur.

Ihr Tagesgeschäft heute ist aufwendiger, Sie müssen Programme immer wieder aktualisieren.
Mit der 89er Herbstproduktion "Bleibe im Lande und wehre dich täglich" begann ein ständiges Ändern der Texte. Täglich gab es eine neue Situation. Das war eine Herausforderung. Wir hatten das Handwerk, das uns auch befähigte, die weitere Zeit zu überstehen. Längst leben die Texte durch die Tagesaktualität.

Ein Programm in Ihrem Haus ist für eine Saison geplant. Wie war das früher?
Da konnten wir ein Programm über vier, fünf Jahre spielen. Es änderte sich ja nichts, weder die Personen, noch die Probleme. Da musste kein Strich geändert werden. Man konnte sich für die Texte auch zwei Jahre Zeit nehmen. Damals wie heute machen wir aber das, wofür Kabarett steht, nämlich gucken, wo sich schon wieder Diskrepanzen bilden zwischen dem, was uns erzählt wird, und dem, was wir im alltäglichen Leben erfahren.

Angepasst an die Weltsituation sind Sie in Ihrem jüngsten Programm schärfer geworden. Wie tief müssen Sie den Finger in die Wunde legen?
Der Aufschrei muss größer werden. Heute haben wir eine existenzielle Problematik, es wird gezündelt. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich zu meinen Lebzeiten wieder mit der Problematik Krieg auseinandersetzen muss. Zu DDR-Zeiten war das Thema gesetzt, es war die sogenannte West-Nummer. Keiner konnte darüber lachen. Heute machen wir den ganzen Abend Westnummern und alle lachen.

Zu DDR-Zeiten war es schwer, an Kabarettkarten zu kommen. Heute müssen Sie sich behaupten zwischen zahlreichen anderen Veranstaltungen. Wie schwer ist das?
Wir haben glücklicherweise viele Stammgäste und Gäste aus allen Bundesländern. Aber das politische Kabarett, das ist übrigens in ganz Deutschland so, hat zu wenig junges Publikum. Wer an der politischen Satire Spaß haben will, sollte sich für das interessieren, was um ihn herum passiert. Bei Daily Soaps und Mario Barth muss er das nicht. Um dem zu begegnen, haben wir den Mittwoch als "Schnupperangebot" für politische Satire eingeführt. Schüler und Studenten zahlen nur 5 Euro. Unsere Beobachtung: Wer schnuppern kam, hatte hinterher nicht die Nase voll, sondern Spaß am Duft der politischen Satire.